Guillaume Musso: „Das Atelier in Paris“

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Der Gymnasiallehrer Guillaume Musso, Jahrgang 1974, ist binnen kurzer Zeit zu einem der bekanntesten französischen Gegenwartsautoren avanciert. Das vorliegende Hörbuch bestätigt diese internationale Einschätzung, bietet es doch sowohl Spannung als auch ein gewisses literarisches Niveau und eine ernst zu nehmende Aussage.

Der erfolgreiche Theaterautor Gaspard, einzelgängerischer Misanthrop und selbstdiagnostizierter Alkoholiker, mietet sich in Paris ein Haus, um in Ruhe sein nächstes Theaterstück zu schreiben. Die englische Polizistin Madeline aus New York (!)  fasst den gleichen Entschluss, um nach einer schweren inneren Krise wieder zu sich zu finden. Durch einen Buchungsfehler landen sie beide im selben Haus, was gleich eine Grundlage für eine gesunde gegenseitige Antipathie schafft. Doch der erfahrene Leser bzw. Hörer ahnt die Entwicklung bereits.

Das Haus gehörte dem bekannten Maler Shawn Lawrence, der nach dem Tode seines kleinen Jungen sich erst von seiner Ehefrau trennte, dann jegliche Schaffensfreude verlor und schließlich vor etwa einem Jahr ausgerechnet in New York, wo er aufgewachsen war und auch später seinen Sohn verlor, auf der Straße einem Herzinfarkt erlag. Der Vermieter ist auch gleichzeitig der ehemalige Galerist und Testamentsvollstrecker des Künstlers, und von ihm erfahren Gaspard und Madeline Details über das Vorleben des Künstlers und den tragischen Tod des Jungen.

Lawrence wuchs in New York in eher prekären Verhältnissen auf und erwarb sich einen anfangs zweifelhaften Ruf als kleinkrimineller Grafitti-Künstler. Seine dabei bereits zu Tage tretende Begabung führte ihn später in die internationale Kunstszene, machte ihn berühmt und führte ihn schließlich nach Paris. Für den Tod seines Sohnes machten die Behörden eine ehemalige Grafitti-Freundin verantwortlich, die anlässlich eines Besuchs in New York von Lawrence aus Eifersucht dessen Frau und Sohn entführte und den Kleinen vor den Augen der gefesselten Ehefrau erstach. Die vermeintliche Mörderin warf sich anschließend vor einen Zug, doch die Leiche des Jungen wurde nie gefunden.

Diese unklare Situation reizt die jeweils anders gelagerte professionelle Neugier des Schriftstellers und der Polizistin. Beide versuchen, mehr Informationen aus den Beteiligten – Galerist, Ehefrau und andere Kontaktpersonen – herauszuholen, und setzen mühsam ein Puzzle zusammen, das anfangs nur sehr wenig Teile enthält und keine verwertbaren Erkenntnisse bringt. Doch Unstimmigkeiten und Widersprüche gibt es ebenfalls. Was wollte Lawrence ein Jahr nach dem Tod seines Jungen in New York? Gute Kardiologen für die Behandlung seiner Herzprobleme – ein angeblicher Grund  – gibt es in Paris auch; und dann stimmen einige Namen und Adressen in New York nicht. War Lawrence auf der Suche nach seinem Sohn? Als dann noch kolportiert wird, er habe kurz vor seinem Tod geäußert, der Kleine lebe noch, sind beide Rechercheure hellwach. Deswegen mögen sie sich immer noch nicht besonders und arbeiten mehr gegen- als miteinander. Doch in entscheidenden Momenten tauschen sie dann doch Informationen aus.

In einer Nebenhandlung verfolgt Madeline das Projekt einer künstlichen Befruchtung, da sie sich dringend eine Familie wünscht. Das wirkt ein wenig aufgesetzt, da mit keinem Wort Probleme mit Männern oder gar eine lesbische Neigung erwähnt wird. Doch zumindest bereitet diese Neigung die Grundlage für eine spätere Entscheidung. Als sich für Gaspard die Anzeichen verdichten, dass die Auflösung dieses verworrenen Falles in New York zu suchen ist, reißt er Madeline mit völlig empathielosem psychischem Druck aus der Fortpflanzungsklinik in Madrid heraus und fliegt mit ihr mit vorgebuchten(!) Tickets nach New York.

Dort kommen die beiden einer Familientragödie antiken Ausmaßes auf die Spur. Dabei sorgen ihre Hartnäckigkeit und zunehmende Ungereimtheiten dafür, dass bereits verschüttete oder zugewachsene Spuren ihre Bedeutung wieder enthüllen. Natürlich darf eine (letzte?) große Auseinandersetzung zwischen den beiden von Frustration und Resignation gezeichneten Akteuren nicht fehlen. Doch der Showdown im buchstäblich letzten Moment schafft nicht nur Spannung sondern auch den Zusammenhalt, den die beiden zukünftig dringend benötigen.

Richard Barenberg liest diesen Roman mit hoher Intensität, situationsgerechter Intonation sowie glaubwürdiger Simulation verschiedener Stimmen und Charaktere und hält damit den Spannungsbogen bis zum Schluss straff gespannt.

Das Hörbuch ist bei Hörbuch Hamburg in der Reihe Osterwold erschienen, umfasst 6 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 432 Minuten und kostet 19,99 Euro.

Frank Raudszus

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