Honoré de Balzac: „Verlorene Illusionen“

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Honoré de Balzac (1799-1850) hat in unnachahmlicher Weise die Gesellschaft seiner Zeit mit all ihren Schwächen und Eigenarten charakterisiert und dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Seine epische Kraft und die Fähigkeit, menschliche Konflikte auf den Punkt zu bringen und lebendig zu beschreiben, haben dabei seinen bleibenden Ruhm begründet.

In dem vorliegenden Roman, der zwischen 1837 und 1843 entstand, schildert Balzac den raschen Aufstieg und tiefen Fall des jungen Lucien Chardon aus dem provinziellen Angoulème und rechnet dabei mit der damals bei Künstlern verhassten – weil korrupten – „Journaille“ ab. Lucien besticht die Frauen durch seine Schönheit und sein poetisches Talent. Vor allem der vierzigjährigen Madame de Bargeton, einer Dame der lokalen Gesellschaft, hat er es angetan. Sie ist mit einem ungeliebten weil leicht vertrottelten älteren Mann verheiratet, der ihr außer Status und Wohlstand nichts geben kann. Als die keimende Liebe zwischen dem ungleichen Paar in Angoulème zu einem Problem zu werden droht, flieht sie mit Lucien nach Paris, um sich dort inkognito mit ihm zu vergnügen und ihn über ihre verwandschaftlichen Beziehungen in die Pariser Gesellschaft einzuführen. Der adelige Stammbaum von Luciens Mutter soll ihm das entsprechende Entrée und später die königliche Erlaubnis verschaffen, diesen Namen auch offiziell zu tragen. Doch die Angoulèmer Intriganten folgen Madame Bargeton und verhindern das traute Glück. Unter dem Druck der Veröffentlichung der niederen Herkunft Luciens und wegen seines anfangs eher peinlichen Auftretens lässt Madame Bargeton den Jungen auf Anraten ihrer adeligen Cousine fallen wie eine heiße Kartoffel.

Doch Lucien kämpft und gewinnt – total verarmt – einige junge Künstler als Freunde, die wie er sich ihrer jeweiligen Kunst widmen und ihre wenigen Habseligkeiten teilen, beseelt nur von der künstlerischen Idee. In dieser Umgebung könnte auch Lucien sein literarisches Werk vorantreiben.

Doch sein Ehrgeiz und seine Eitelkeit verlangen mehr. Als er das Angebot einer Zeitung erhält, dort als Theaterkritiker zu schreiben, nimmt er trotz der Warnungen seiner Freunde an, die ihn schnell auf einer schiefen journalistischen Laufbahn sehen. Und so kommt es auch. Die Redaktion erweist sich als ein Nest von Lügnern und Intriganten, die ihre mediale Macht sehr wohl erkannt haben und sie skrupellos nutzen, um Menschen zu machen und zu vernichten.

Wahrhaftige Kritiken sind nicht gefragt, nur politisch und gesellschaftlich motivierte Auftragsarbeiten mit eindeutigen Absichten. Lucien fügt sich hier schnell ein, vergisst seine Freunde und rächt sich an der adligen Gesellschaft, die ihn so schnöde hat fallen lassen. Diese jedoch, ins Mark getroffen, sinnt ihrerseits auf Rache und lockt ihn in eine süße Falle, die der unerfahrene und eitle Jungstar nicht durchschaut. Und so nimmt das Unglück seinen Lauf….

In diesem Hörspiel aus dem Jahre 1971 sprechen unter der Regie von Fritz Schröder-Jahn so bekannte Darsteller wie Jürgen Goslar (Erzähler), Dagmar Altrichter, Horst Tappert (Derrick!), Maria Körber, Klaus Schwarzkopf, Gerd Baltus, Bum Krüger und Herrmann Treusch, um nur einige zu nennen. Viele Sprecher aus dem rund sechzigköpfigen Aufgebot treten heute nicht mehr auf oder sind sogar bereits verstorben, so dass diese Aufnahme auch ein Stück Kulturgeschichte darstellt. Die technische Qualität ist trotz der dreißig Jahre hervorragend, und die Regie zeichnet sich durch eine wohltuende Ausgeglichenheit aus, die in einer Zeit der beschleunigten Handlungen und schneller Schnitte angenehm überrascht. Die epische Darstellung lässt das Werk in den Ohren der Hörer geradezu erblühen und wird damit dem großen Romancier Balzac in hohem Maße gerecht. Wer bereit ist, mit diesem Hörspiel noch einmal in das 19. Jahrhundert einzutauchen, wird feststellen, dass sich Menschen und Gesellschaft kaum geändert haben……

Das Hörbuch umfasst 5 CDs mit einer Laufzeit von ca. 300 Minuten und ist im HÖR-Verlag unter der ISBN 3-89940-085-2 erschienen.

Frank Raudszus

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