Es lebe die Bratsche

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Die Bratsche alias Viola ist aus unerfindlichen Gründen das Aschenputtel des Orchesters und wird in unzähligen Musikerwitzen als mausgraue kleine Schwester der strahlenden Violine denunziert. Dabei besticht dieses Instrument gerade durch seinen warmen und vollen Ton. Das Staatstheater Darmstadt wollte mit der Programmplanung offensichtlich zur Rehabilitierung der Bratsche beitragen und engagierte daher die international renommierte Bratschistin Tabea Zimmermann und den spanischen Pianisten Javier Perianes für ein Kammerkonzert, das – ohne das Klavier minder schätzen zu wollen – der Bratsche gewidmet war.

Die Bratschistin Tabea Zimmermann

Der Abend begann mit einer Sonate Franz Schuberts für Arpeggione und Klavier. Der Arpeggione war ein gitarrenartiges Instrument, das jedoch gestrichen wurde, und ist im Nebel der Musikgeschichte verschwunden. Offensichtlich lässt sich das Klangbild jedoch recht gut mit der Bratsche nachbilden. Die Sonate beginnt typisch „schubertianisch“ mit einem ruhig fließenden Thema, das die Bratsche mit vollem Ton ausmalt. Der zweite Satz – Adagio – schwingt sich nach einem getragenen Beginn mit lang gezogenen Bögen zu einer Art kleinen Scherzos auf, und der dritte Satz, ein Rondo, besticht durch sein Temperament und die markanten Tempoänderungen. Tabea Zimmermann überzeugte bei diesem Stück vor allem mit ihrer gesanglichen Interpretation und dem warmen, volltönenden Klang ihres Spiels.

Danach sprang das Programm um siebzig Jahre auf das Jahr 1894, als Johannes Brahms seine Sonate für Viola und Klavier Es-Dur schrieb. Dieses Spätwerk strahlt die für Brahms typische emotionale Spannung auf, die mit weiten melodischen Sprüngen, Tempoänderungen und Tonartwechseln aufwartet. Brahms´ Musik entwickelt ganz andere emotionale Momente als die von Schubert und reflektiert bereits die gesellschaftlichen Umbrüche durch die Industrialisierung. Das dreisätzige Werk kann man auch als viersätziges interpretieren, weil Brahms dem Allegro des zweiten Satzes noch ein Trio anfügt. Typisch auch für Brahms, dass er die typische Satzfolge schnell-langsam-schnell in mäßig-schnell (Allegro amabile), leidenschaftlich (Allegro appassionato) und langsam-schnell (Andante-Allegro) umwandelt und die übliche Aufteilung bis zum Verschwinden aufweicht. Der musikalische Ausdruck ist vorrangig, die Form ist zweitrangig.

Die beiden Musiker zeigten bei diesem Stück nicht nur ihr individuelles technisches und interpretatorisches Können, sondern beeindruckten vor allem mit ihrem Zusammenspiel gerade bei den schnellen Intensitäts- und Tempowechseln. Brahms´ Sonate wurde bei ihnen zu einem Juwel der komplexen und spannungsreichen Spätromantik.

Der Pianist Javier Perianes

Der zweite Teil des Abends war dann der Musik von Javier Perianes´ Heimat gewidmet – Spanien. Außerdem wollte Tabea Zimmermann wohl zeigen, dass die VIola auch für diese temperamentvolle und musikantische Gattung geeignet ist. Es begann mit Manuel de Fallas „Siete canciones populares espanolas“, das Volkslieder in typischen spanischen Musikstilen enthält. Bei den mal eleganten, mal wilden Tänze tritt die Bratsche auch mal als Gitarre auf, und zwischendurch klagt eine Elegie über die Vergänglichkeit alles Schönen. Tabea Zimmermann brachte diese unterschiedlichen Emotionen mit hoher Intensität und Einfühlung zum Ausdruck. Der darauf folgende Tango von Isaac Albeniz verbindet Pathos mit Melancholie und bot beiden Musikern eine gute Gelegenheit, vor allem ihre Virtuosität zu beweisen. Die „Cantilena“ von Heitor Villa Lobos ergänzte diesen Reigen der südländischen Emotionen um die Sehnsucht.

Den Abschluss bildete „Le Grand Tango“ des Argentiniers Astor Piazolla, der hier einmal nicht betont jazzig interpretiert wurde. Die musikalischen und emotionalen Grundeigenschaften des Tangos waren jedoch unüberhörbar, und dieses Stück mündete in einen fulminanten Schlusswirbel, der den ganzen Abend geradezu apotheotisch in wenige Takte zusammenfasste.

Tabea Zimmermann überzeugte an diesem Abend durch ihre breite Palette musikalischer Ausdrucksvarianten, von ihrem technischen Können ganz zu schweigen, das man allerdings bei solchen Besetzungen schon als selbstverständlich hinnimmt. Javier Perianes war ihr ein musikalischer Begleiter auf Augenhöhe, der nicht nur eine Solistin auf dem Klavier begleitete, sondern selbst in hohem Maße zu der Wirkung dieses breit gefächerten Programms beitrug.

Der begeisterte Beifall des Publikums motivierte die Künstler noch zu einer weiteren Zugabe aus dem spanischen Musikraum.

Frank Raudszus

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