Julia Phillips: „Das Verschwinden der Erde“

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Der Roman spielt in Russland auf der ostasiatischen Halbinsel Kamtschatka. Wir erfahren viel über die indigene Bevölkerung und ihre Naturverbundenheit, aber auch über ihre Probleme.

Zu Beginn des Romans spielen die beiden Schwestern Aljona und Sofija am Strand, wobei die größere sehr umsichtig auf die kleinere aufpasst. Die Mutter muss arbeiten und kann sich daher nicht um die Kinder kümmern. Am Strand sitzt in einiger Entfernung ein Mann mit ausgestreckten Beinen mitten auf dem Weg. Er wirkt etwas verloren. Als die Mädchen vorbeikommen, spricht er sie an. Er habe sich verletzt und bittet um ihre Hilfe. Gemeinsam gehen sie mit dem vermeintlich Verletzten zu dessen Auto. Dort angekommen, packt er die beiden Mädchen ins Auto und fährt davon. Es gibt nur eine Zeugin, die den Täter aber nicht genauer beschreiben kann.

Bei der Mutter löst das Verschwinden ihrer Töchter Entsetzen und Trauer aus. Auch die Bevölkerung der Halbinsel ist schockiert und hilft bei der Suche nach den Mädchen. Es ist nicht der einzige Fall, denn schon einige Monate zuvor ist die Studentin Lilja verschwunden.

Was ist los auf Kamtschatka? Wer treibt hier sein Unwesen? Die Polizei legt beide Fälle nach einiger Zeit intensiven Suchens zu den Akten, aber in den Köpfen der Bewohner, besonders der Frauen, herrschen Angst und Unruhe. Überhaupt ist es um die Frauen auf Kamtschatka schlecht bestellt. Die Gesellschaft ist von Männern dominiert, und die Frauen, die sich oft sehr früh binden, müssen mit der Lieblosigkeit und dem Macho-Gehabe ihrer Wodka saufenden Männer zurechtkommen. Die Welt ist dazu da, dass Menschen leiden. Das ist die Grundhaltung, die den Roman durchzieht, daher auch der Titel „Das Verschwinden der Erde“. Man könnte es auch als Verschwinden der Bodenhaftung und der Verwurzelung bezeichnen.

Der Roman ist spannend und raffiniert konstruiert. Er schildert die Einzelschicksale verschiedener Frauen über den Zeitraum von etwa neun Monaten. Die verschiedenen Erzählstränge verweben sich im Laufe des Romans zu einem engen Netz, das alle Protagonisten miteinander verbindet. Alle leiden unter dem Leben, sind aber nicht fähig, ihre Situation zu ändern. „Das Leid ist unser Schicksal“ sagt leise eine der Frauen zur Fensterscheibe.

Das Buch ist im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) erschienen, umfasst 374 Seiten und kostet 22 Euro.

Barbara Raudszus

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