Leonard Mlodinow: „Stephen Hawking – Erinnerungen an den Freund und Physiker“

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Der Engländer Stephen Hawking (1942-2018) gilt als einer der bedeutendsten Physiker der letzten hundert Jahre. Doch das Besondere an ihm war nicht seine – heute unbestrittene – Genialität und intellektuelle Kreativität, sondern die Tatsache, dass er diese trotz – oder gerade wegen? – seiner schweren Erkrankung an ALS entwickelte und dass gerade seine Leidenschaft für die Physik ihm überhaupt ein so langes Leben ermöglichte.

Mlodinow lernte Stephen Hawking erst Anfang des neuen Jahrtausends kennen, als dieser bereits über sechzig Jahre alt war. Die Biographie beruht daher größtenteils auf Erzählungen verschiedenster Lebensbegleiter Hawkings, denn er selbst war zu der Zeit nicht mehr zu längeren Gesprächen fähig. Für „Hawking-Laien“ hier eine kurze Erklärung. ALS ist eine unheilbare Nervenerkrankung, die im Laufe der Zeit die gesamte Muskulatur und zum tödlichen Schluss die der Atemorgane zerstört. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Hawking im Rollstuhl, den er irgendwann nicht einmal mehr mit den Fingern steuern konnte. Nachdem auch seine Sprachorgane ausgefallen waren, konnte er nur noch den Cursor eines am Rollstuhl befestigten Computers durch Bewegungen der Augenlider steuern, an die entsprechende Sensoren angeschlossen waren.

Mlodinow hat wegen der nur kurzen gemeinsamen Zeit für sein Buch eine zweistufige Zeitstruktur gewählt. Die erste Ebene verläuft chronologisch vom Tage des Kennenlernens bis zu dem Ende der Zusammenarbeit, die zweite Ebene ergibt sich aus entsprechenden Situationen in Gestalt von Rückblenden auf Hawkings früheren Lebenslauf. Sie ist notwendig, um Hawkings beruflichen, körperlichen und geistigen Entwicklungsprozess aus der indirekten Perspektive der Erzählungen darzustellen.

Die Zusammenarbeit der beiden ergab sich aus dem Wunsch, ein Buch über den aktuellen Stand der Kosmologie zu verfassen. Hawking benötigte das Geld dringend, da nur eine kompetente Betreuungsmannschaft – bestehend aus Frauen – sein Überleben sichern konnte. Nachdem die großzügige Unterstützung durch eine Stiftung ausgelaufen war und sein erstes Buch – „Eine kurze Geschichte der Zeit“ – sich als Bestseller erwiesen hatte, musste er wegen der aufwändigen Betreuung neue Geldquellen erschließen. Da er zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage war, ein ganzes Buch ohne fachkundige Unterstützung zu erstellen, kam er auf Mlodinow, der ihm als Autor einschlägiger naturwissenschaftlicher Bücher aufgefallen war.

Mlodinow beschreibt sein Erstaunen über die Lebensenergie dieses scheinbar zum Tode verurteilten Mannes, der sich weder bewegen noch sprachlich artikulieren kann, aber eine unglaubliche wissenschaftliche Energie und wache Intelligenz ausstrahlt. Angesichts Hawkings intellektuellen Charismas´ erscheint ihm die faktisch mühsame Zusammenarbeit – ein bis zwei Sätze pro Minute von Hawking! – irgendwann gar nicht mehr ungewöhnlich, und seine größte Ungeduld gilt nicht etwa der langsamen Artikulation, sondern Hawkings Perfektionismus, der auch an längst verabschiedeten Kapiteln immer noch Mängel findet und nie zum Ende findet.

Auch der Humor und die Lebenslust dieses körperlichen Wracks beeindruckt Mlodinow. Hawking liebt nicht nur gutes Essen und Wein, obwohl ihm beides löffelweise zugeführt werden muss, sondern er verspürt auch fast bis an sein Lebensende erotische Bedürfnisse und flirtet mit seinen Betreuerinnen, von denen er dann auch zwei nacheinander heiratet oder zumindest in einem eheähnlichen Verhältnis lebt. Die Trennungen gehen auch jeweils von den Frauen aus, weil sie sich neben der Bedeutungsmacht dieser Persönlichkeit zu mausgrauen Nebenfiguren erniedrigt fühlen. Hawking hat das aus Mlodinows Sicht nicht forciert, aber es ist für ihn teils Folge seiner einzigartigen Leidenschaft für die Physik, der sich alles unterordnen musste, teils bedingt durch das egozentrische Weltbild Hawkings, das sich vor allem in späteren Jahren aus seiner weltweiten Bedeutung und seiner speziellen Situation fast zwangsläufig ergibt. Mit der ersten Frau hatte Hawking sogar drei Kinder, obwohl er zu dem Zeitpunkt schon schwer behindert war.

Mlodinow räumt in der Biographie auch ein wenig mit möglichen Verklärungen Hawkings auf. Viele Berühmtheiten schönen gerne rückwirkend ihre Jugend, sei es intellektuell, sei es moralisch, doch Hawking hat nie darauf Wert gelegt. Er war als Student höchstens mittelmäßig, weil am Studium desinteressiert und eher auf ein angenehmes Leben mit hedonistischen Tendenzen ausgerichtet. Erst seine ALS-Erkrankung setzte in ihm einen Prozess in Gang, der mit dem Wunsch begann, die restliche – vermeintlich kurze – Lebenszeit für etwas Sinnvolles zu nutzen. Das Interesse an der Kosmologie ergab sich eher zufällig, aber nachdem Hawking einmal Blut geleckt hat, warf er sich mit dem Eifer und der Ausschließlichkeit eines zum Tode Verurteilten auf dieses Gebiet, der nur noch wenig Zeit für sein letzte großes Werk hat.

Auch sein Durchbruch ließ viel länger auf sich warten, als sein heutiger Ruf erwarten lässt. Seine Theorie, dass „Schwarze Löcher“ strahlen, erntete nur Augenrollen und Ablehnung, weil dem wissenschaftlichen Zeitgeist nicht entsprechend, und auf Konferenzen wurde er oft mitleidig belächelt. An anderen Orten konnte es ihm als schon international bekanntem Physiker passieren, dass an einer Ampel ein mitleidiger Bürger dem behinderten Obdachlosen ein Almosen zukommen ließ. Laut Mlodinow nahm er auch das mit Humor und zeigte bei solchen Erniedrigungen nie Wut oder gar Verzweiflung. Er war sich seiner Situation und vor allem seines Eindrucks auf eine noch nicht informierte Öffentlichkeit voll bewusst und akzeptierte das auch. Erst Jahre nach seinem enttäuschenden weil belächelten Vortrag über die „Schwarze-Loch-Strahlung“ wurde diese von der Fachwelt bestätigt und machte Hawking zu dem , der er in seinen späten Jahren war.

Mlodinow lässt all diese Stationen in Hawkings Leben Revue passieren und ergänzt sie mit seinen persönlichen Eindrücken dieses wohl einzigartigen Menschen. Er betont dabei vor allem die menschliche Seite und die Empathie, die Hawking trotz allen Unglücks für seine Umgebung zeigte und auch zum Ausdruck brachte. Das schloss natürlich nicht aus, dass er auch richtig ärgerlich oder gar wütend werden konnte, wenn etwas überhaupt nicht nach seinen Vorstellungen verlief. Aber solche Situationen waren laut Mlodinow äußerst selten.

Obwohl die beiden sich die letzten Jahre nach der gemeinsamen Arbeit an Hawkings letztem Buch nicht mehr oder nur sehr selten sahen, betrachtete Mlodinow seinen Partner bis zum Schluss als seinen wohl besten Freund.

Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, umfasst 268 Seiten und kostet 22 Euro.

Frank Raudszus

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