B. Roidinger/B. Zuschnig: „Sexpositiv“

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Sexualität wurde seit Jahrhunderten aus den verschiedenstem Gründen tabuisiert, entweder aus gesundheitlichen oder – meistens – machtorientierten Gründen. Da die Sexualität als einer der zentralen menschlichen Triebe das Denken und die Sehnsüchte seit jeher existenziell bewegt, lässt sie sich hervorragend als Mittel der Machtausübung benutzen. Die Religionen haben dies früh erkannt und bis heute zu einer wahren Meisterschaft entwickelt.

Im Zuge des sich entwickelnden Feminismus hat sich das „sexpositiv“-Konzept entwickelt, das ursprünglich den Frauen ein selbstbestimmtes Ausleben ihrer Sexualität ermöglichen sollte. Doch selbst innerhalb des Feminismus entstand eine Gegenbewegung, die darin nur eine Fortsetzung des Patriarchats wittert(e).

Beatrix Roidinger und Barbara Zuschnig sind als Sexual-Therapeutinnen in Wien tätig und haben es sich mit diesem Buch zur Aufgabe gestellt, einerseits Aufklärung zu leisten über dieses Konzept und dabei andererseits die ganze Palette sexueller Ausrichtungen abzudecken. Wer hier allerdings eine Anleitung zu neuen erotischen Praktiken sucht, wird enttäuscht. Den beiden Autorinnen geht es um die Grundprinzipien und nicht um vordergründige Anregungen.

„Sexpositiv“ bedeutet, dass jegliche Intimität zwischen zwei Menschen, welchen Geschlechts auch immer, ausgehandelt werden muss. Es gibt keine „normale“, gesellschaftlich anerkannte Sexualität, sondern nur das, was die Beteiligten untereinander verhandeln. Das erfordert natürlich offene Kommunikation ohne Vorurteile, erlaubt jedoch auch Einschränkungen oder gar Ablehnung. Auch diese ist vom jeweiligen Partner – generisches Maskulinum! – zu akzeptieren. Eine für beide Beteiligten wirklich zufriedenstellende Sexualität kann laut den beiden Autorinnen nur über dieses Konzept erfolgen.

Das variieren die beiden in verschiedenen Kapiteln über die jeweiligen Ausprägungen. Nach der eher kurzen Erwähnung der klassischen Homosexualität – Schwule und Lesben – gehen sie detailliert auf LGBTIQ, Kink und Tantra ein und beschreiben die unterschiedlichen Ansätze der einzelnen Bewegungen. Bei Kink spielen Dominanz und Unterwerfung sowie die erregende Wirkung des Schmerzes eine wesentliche Rolle, während bei Tantra trotz des sexuellen Schwerpunktes ein eher ganzheitlicher geistig-seelischer Ansatz vorherrscht. In allen Fällen weichen die Praktiken von dem gewohnten „Normalen“ deutlich ab und mögen bei dem einen oder der anderen Abwehrreaktionen hervorrufen. Die Autorinnen warnen jedoch davor, nur dem Partner zuliebe zuzustimmen und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, da das letztlich zu Frustration führe. Nur die völlig freiwillige, am eigenen Interesse ausgerichtete Zustimmung kann aus ihrer Sicht zu einem befriedigenden Resultat führen.

Die „sexpositiv“-Bewegung bietet mittlerweile in vielen Städten eigene Veranstaltungen an, bei denen die Interessenten ihre Vorlieben ohne Scheu vor Ablehnung offen zeigen können. In einer Art Register stellen die Autorinnen verschiedene dieser Veranstaltungen samt Ort und Konzept vor, wobei sie gleich betonen, dass „Gaffer“ aus den Kreisen sogenannter Normalos nicht nur unerwünscht seien, sondern auch erkannt und hinauskomplimentiert würden.

Die Autorinnen vermeiden bewusst jegliche schlüpfrige Anmutung und bemühen sich um eine sachlichen, aufklärerischen Stil. Das Buch eignet sich deshalb auch für Leser, die sich mit dieser Thematik bisher noch nicht auseinandergesetzt haben und sich eher in gewohnten Bahnen bewegen. Die Lektüre lohnt sich auf jeden Fall, weil dabei nicht nur Vorurteile abgebaut werden, sondern auch Verständnis für andere Lebensentwürfe geweckt wird. Und auch normale heterosexuelle Paare können für ihr Liebesleben hier eine Menge lernen.

Das Buch ist im Goldegg-Verlag erschienen, umfasst 200 Seiten und kostet 22 Euro.

Frank Raudszus

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