Peter Handke: „Mein Tag im anderen Land – Eine Dämonengeschichte“

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Eigentlich wollte ich nach „Das zweite Schwert“ keinen Handke mehr lesen. Nun bin ich aber doch rückfällig geworden und habe den neusten Text von Peter Handke „Mein Tag im anderen Land – eine Dämonengeschichte“ gelesen. Und das gleich zweimal,  denn nach der ersten Lektüre ließ mich dieser äußerst schmale Band von nur 94 Seiten in weiträumigem Druck mehr als ratlos zurück.

Handke präsentiert hier eine Erzählung, die so verrätselt ist, dass es schwierig ist, einen Deutungsansatz zu finden. Oder sind es nur die monologischen Betrachtungen eines alten, einsamen Mannes, der sich über alle und alles in der Welt stellt und der sich herablässt aus seiner übergroßen Welterkenntnis nur denen etwas zu vermitteln, die ihm intellektuell ebenbürtig sind?

Aber nun erst einmal zum Inhalt. Der Ich-Erzähler berichtet über eine Jahrzehnte zurückliegende Phase in seinem Leben, in der er „von Sinnen“, ja „außer sich“ war, an die er selbst keine Erinnerung hat. Erfahren hat er darüber von der ihm gewogenen Schwester und von anderen Außenstehenden. In dieser Phase hatte er sich auf einem aufgelassenen Friedhof zwischen alten Grabsteinen ein Eremitenlager eingerichtet. Von dort aus durchstreifte er jeden Tag die Umgebung, dabei alles aus sich herausschreiend, was in ihm wütete und tobte. Das war Hass auf alles und jedes in dieser Welt, das waren „Wahrheiten“, die er anderen an den Kopf warf.

Es scheint ein Zustand des völligen Kontrollverlusts zu sein, der keinen Unterschied zwischen Innenwelt und Außenwelt kennt. Da entäußert sich ein Ich, ohne etwas davon zu wissen. Als Motto stellt Handke einen Spruch Pindars voran, des großen Dichters der griechischen Antike: „Ich, Idiot, ins Gemeinwesen gestellt“. „Idiotes“ bedeutet im Altgriechischen die „Privatperson“, d.h. eine Person, die sich aus allen öffentlichen Ämtern heraushält. Sie war in der attischen Demokratie, die den bewussten Bürger brauchte, nicht geschätzt.

Mit diesem Bezug schlägt Handke sein Thema an: das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Dieses Ich stellt sich im ersten Teil der Erzählung gegen alle Normen des Zusammenlebens, um dann schließlich durch den Blick eines Mannes, genau eines Fischers, erlöst zu werden, durch einen Menschen, der ihn in seiner Besonderheit wahrnimmt, ihn sieht und ihm zuhört, ein „guter Zuschauer“ ist.

Die Hoffnung auf Aufnahme in die Gemeinschaft zerschlägt sich aber sogleich wieder, denn er erhält einen Auftrag. Er muss, mit dem Nötigsten ausgestattet, den bekannten Lebensraum verlassen, über „den See“ zum anderen Ufer rudern und dort, in der „Dekapolis, im ehemaligen Zehn-Städte-Land“, weitergeben, was ihm geschehen ist.

An dieser Stelle muss die Leserin erst einmal googeln, was die Dekapolis ist bzw. war. Es sind 10 Städte zwischen dem See Genezareth und dem Toten Meer, also zwischen Damaskus und dem heutigen Amman, die sich im ersten vorchristlichen Jahrhundert zusammengeschlossen haben. Die Funktion dieses Zusammenschlusses ist umstritten. Es ist zugleich die Gegend, in der Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem gelebt und gelehrt hat.

Das erzählende Ich wird nun in diese Welt geschickt, um ebenfalls zu verkünden. Hier wird er erkannt als der, der den Menschen guttut, ohne aber zu ihnen zu gehören. Gleichzeitig ist es eine Prüfung, gleichsam eine Strafe für die Zeit des Außer-Sich-Seins.

Dieser Tag endet für den Erzähler nach langen Jahren als „Allein-Esser“ mit einem Nachtmahl an einem „gemeinsamen Tisch“: „Eine kleine Gesellschaft waren wir, fremd einer dem andern, und doch, auf eine Weise die Fremdheit still bewahrend, eines Sinnes“. Nun erzählen die Menschen ihm Geschichten, und er ist der gute Zuhörer, nimmt alles in sich auf, um es später in seinen Büchern aufzuschreiben. Mitten in dieser Nacht begegnet ihm dann seine „Zukünftige“. Damit beginnt eine neue Lebensphase, die der Harmonie und als „gesellschaftliches Wesen“, als „Angehöriger“.

De Erzählung endet mit einem Traum des alternden Erzählers. Er sieht sich in einem Spiegel und ist erschrocken über das ihm fremde Gesicht, das erst nach und nach zu etwas Vertrautem wird: Ein „so müder, wie sanfter Mann“ blickt ihm entgegen, das Gesellschaftswesen, das er geworden ist. Aber er vermisst in diesem Gesicht das Widerständische, das Ungesellschaftliche, das er doch auch als Teil seines Wesens erkennt, denn „das unausrottbar Widerständische im Wesen ist eine Krankheit, aber die ist auch gesund“.

Hier schließt sich der Kreis zum Beginn, von hier aus ergibt sich ein Deutungsansatz.

Handke schreibt eine Parabel über das Leben, sein eigenes? Das Außer-Sich-Sein ist die Jugend, da hat auch er herausgeschrien, etwa in der „Publikumsbeschimpfung“. Die Reifezeit ist dann die Zeit der Welterfahrung in der Fremde, das Alter die Zeit der Gesamtschau und der Selbsterkenntnis.

Stilisiert Handke sich hier als den weisen Alten, der – ähnlich der Jesus-Figur – den Menschen zugehört hat, den Menschen gutgetan hat, sie verstanden hat? Nun im Alter nimmt er beide Seiten von sich an: das Gesellschaftliche und das Ungesellschaftliche, das Harmonische und das Widerständische, sie gehören zusammen. Er umarmt schließlich den immer noch in ihm schlummernden jungen Widerständigen. Daraus schöpft er neue Kraft und „Abenteuerlust“. So wirkt der Schluss wie eine Feier des eigenen Selbst.

Es ist damit auch eine Parabel über das Werden des Schriftstellers, der das „Außer-Sich-Sein“ ebenso braucht wie das Gemeinschaftliche, die Einsamkeit ebenso wie die Zugehörigkeit. Daraus ergibt sich die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen.

Handke, der in „Das zweite Schwert“ den gegen die Welt Trotzenden in den Mittelpunkt stellt, bejubelt am Schluss dieser Erzählung den in sich selbst Verliebten, den der Welt Überlegenen, den Einzelgänger. Schwierig, das nicht auf Handke selbst zu beziehen. Dieser Hintergrund ist das Ärgerliche an dieser Erzählung: Sie wirkt eitel, wenn nicht gar herablassend.

Gleichzeitig ist die Erzählweise geprägt von Handkescher sprachlicher und gestalterischer Meisterschaft, dass man schon fast wieder versöhnt sein will. Dennoch, solche egozentrische Selbstüberhöhung ist denn doch zu viel.

Was bleibt, ist die Ambivalenz in der Leserin. Es packt sie gerade dieser Gegensatz von Meisterschaft  einerseits und durchklingender Arroganz andererseits. Deshalb verkneift sie sich dieses Mal das „Nie-Wieder- Handke-Lesen“. Sie weiß, sie würde doch wieder rückfällig werden.

Das Buch ist im Suhrkamp Verlag erschienen, es hat 94 Seiten und kostet 18 Euro.

Elke Trost

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