Annette Hess: „Deutsches Haus“

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Eva, Protagonistin des Romans „Deutsches Haus“, wächst in der Frankfurter Berger Straße der späten sechziger Jahre auf. Ihre Eltern betreiben die Gastwirtschaft „Deutsches Haus“ und servieren dort deftige Gerichte wie Schnitzel mit Bratkartoffel oder – in der Weihnachtszeit – Gänsebraten mit Rotkohl. Während Evas Vater kocht, hilft die Mutter im Service. Die Gastwirtschaft läuft gut, verlangt aber dem Gastwirtsehepaar alle Kräfte ab. Besonders Evas Vater klagt über massive Rückenschmerzen und muss den täglichen Mittagstisch einstellen, um das Abendgeschäft bewältigen zu können.

Die Familie hat drei Kinder: besagte Eva, die ältere Tochter Annegret, Ende zwanzig, und den Nachzügler Stefan. Annegret arbeitet im Krankenhaus als Säuglingsschwester und opfert sich schier für die Babys auf, wenn mal wieder eines an Kolibakterien erkrankt, was immer mal wieder geschieht. Außerdem unterhält sie ein Verhältnis mit einem der Ärzte.

Eva arbeitet als Dolmetscherin. Sie übersetzt aus dem Polnischen ins Deutsche. Sie ist verliebt in Jürgen, dessen Vater es in den Nachkriegsjahren mit einem Versandhaus zum Millionär gebracht hat. Inzwischen leidet der Vater jedoch an Demenz. Unter den Nazis wurde er als Kommunist schwer gefoltert. Jürgen soll bald die Firma übernehmen und will dann mit Eva in das noble Haus der Eltern einziehen. Doch die Liebesgeschichte läuft nicht so glatt wie anfangs geplant.

Eva erhält den Auftrag, bei den Auschwitzprozessen als Übersetzerin mitzuarbeiten. Was sie dabei über das Leid der KZ-Häftlinge erfährt, verändert sie. Das spießige, wohl geordnete Familienleben gerät ins Wanken, als Eva erfährt, dass ihr Vater in Auschwitz als Koch gearbeitet und mit der ganzen Familie mehrere Jahre im Lager gelebt hat. Sie kann einfach nicht glauben, dass ihre Eltern von Vergasungen und Verbrennungen nichts mitbekommen haben. Eva bricht mit ihrer Familie. als ihr Verlobter hinter ihrem Rücken versucht, Evas Übersetzertätigkeit zu kündigen, bricht sie auch mit ihm. Sie muss sich völlig neu erfinden.

Was mit an dem Buch gut gefallen hat, ist die Zwiespältigkeit aller handelnden Personen. Auch wenn sie noch so sehr die Vergangenheit zu verdrängen suchen, sind sie doch geprägt durch die Jahre der Hitlerzeit. Nach vorne schauen und weitermachen, nur keinen Blick zurück werfen, so lautet das Lebensmotto einer ganzen Generation. Bei der Elterngeneration hat das zur Härte im Gefühlsleben gegenüber ihren Kindern geführt. Für die Kinder bleiben viele Fragen unbeantwortet. Eva emanzipiert sich von der Bevormundung durch Jürgen, so dass ein Neustart bei den beiden möglich wird.

Fazit: Ein lesenswertes Stück Zeitgeschichte, wobei die Berichte über die Greueltaten der Nazis bisweilen kaum zu ertragen sind.

Das Buch ist im Ullstein-Verlag erschienen, umfasst 365 Seiten und kostet 11 Euro.

Barbara Raudszus

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