Stefan Buijsman: „Ada und die Algorithmen“

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Der Untertitel dieses Buches lautet „Wahre Geschichten aus der Welt der künstlichen Intelligenz“. Beide Titel vermitteln – etwas unglücklich – zusammen den Eindruck, der Autor nähere sich diesem höchst aktuellen und kontrovers diskutierten Thema auf anekdotische, weniger wissenschaftliche Weise. Das ist jedoch nicht der Fall, sondern Buijsman erläutert die grundlegenden Eigenschaften der heutigen KI auf anspruchsvolle Weise, wobei er jedoch stets auf Allgemeinverständlichkeit achtet.

Der Begriff „Ada“ verweist auf Ada Lovelace, eine Mathematikerin des 19. Jahrhunderts und Mitarbeiterin von Charles Babbage, der die erste, noch mechanisch betriebene Rechenmaschine erfand. Später wurde Ada Lovelace Namensgeberin der Programmiersprache ADA, die vor allem in der militärischen Software-Entwicklung Verwendung fand. Der Untertitel verweist zwar zutreffend auf konkrete Projekte der KI-Entwicklung, doch die drehen sich nicht um menschliche Schicksale und Ereignisse alltäglicher Art, sondern um die Technologie und ihre Evolution selbst.

Gleich zu Beginn nimmt Buijsman Stellung zu den Befürchtungen, die KI könne irgendwann einmal die Weltherrschaft übernehmen und schlimmstenfalls sogar die Menschheit eliminieren, wie in dem Buch „Die technische Singularität“ angedeutet. Buijsman schließt solche apokalyptischen Vorstellungen von vornherein aus zwei Gründen aus: erstens seien die Rechner auf absehbare Zeit zu schwach dazu, und zweitens sei auch der technologische Stand derzeit recht begrenzt, und die Anwendungen seien viel zu speziell für globale, machtorientierte Anwendungen. Die logisch zwingend wirkenden Überlegungen von Murray Shanahan sind für ihn offensichtlich reine Spekulationen, die derzeit keiner eingehenden Diskussion bedürfen.

Buijsman startet bei der berühmten ELIZA, der ersten echten KI-Anwendung aus den sechziger Jahren, bei der ein Computer in einen sehr echt wirkenden Dialog mit Menschen trat. Buijsman zeigt aber, dass diese Software nur aus wenigen und recht einfachen sprachlichen Regeln sowie einem kleinen Wörterbuch bestand und die psychologische Wirkung der scheinbar menschlichen Aussagen der Software ELIZA nichts mit Begriffen wie „Verständnis“ oder „Bedeutung“ zu tun hatte.

Das sieht bei späteren Entwicklungen ganz anderes aus. In den 90er Jahren löste man sich von den regelbasierten KI-Systemen, die nur innerhalb eines vorgegebenen Regelsystems eines wohldefinierten Anwendungsbereiches arbeiten konnten. Im Sprachbereich suchte man nach Wörtern, die statistisch in der Nähe des jeweiligen Wortes auftauchten, um damit Verbindungen zu entsprechenden Themen herzustellen und Dialoge gestalten zu können.

Als Grundlage aller neueren KI dienen neuronale Netze, und Beuijsman stellt diese Technologie ausführlich dar. Die aus der Gehirnforschung stammenden Erkenntnisse über diese Netze werden in der KI gezielt für spezielle Anwendungen genutzt. Dafür werden „virtuelle“ Neuronen definiert, die – wie im menschlichen Gehirn – nach vorgegebenen Mustern suchen. Andere Neuronen wiederum setzen diese Muster zu größeren Bedeutungseinheiten wie Zeichen oder Ziffern zusammen. Beuijsman zeigt deutlich den Unterschied zu früheren Ansätzen auf, die durchweg bereits anwendungsbezogene Kriterien nutzten. Die heute genutzten neuronalen Netze arbeiten jedoch nur mit generellen Kriterien wie „gewinnen“ bzw. „möglichst viele Punkte erreichen“. Das ermöglicht beliebige Suchvorgänge in den Netzen, ohne dass explizit bestimmte Muster vorgegeben sind. Erfolglose Versuche werden nicht wiederholt, sondern nur die, die nachweislich zu einem Erfolg führen. Man lehnte sich dabei an die Entwicklung der menschlichen Intelligenz an. Fehlerhafte Mustererkennung führte in der Entwicklung der Hominiden schnell zum Tode und damit zum Ende des individuellen neuronalen Netzes, bei den Netzen der KI jedoch führen sie lediglich zu einem Ausschließen der fehlerhaften Suchvorgänge, so dass diese Netze viel schneller lernen können. Bei der Evolution des Menschen war das nur durch das Miterleben einer letztlich letalen Fehlentscheidung seitens anderer Gattungsgenossen möglich.

Beujsmann stellt dann verschiedene Anwendungsgebiete der neuronalen Netze vor, unter anderem die Herstellung von Bildern nach Beschreibungen, etwa Tieren oder Menschen. Dazu benötigen die Netze entsprechende Datenmengen, etwa Detailangaben zu Tieren oder menschlichen Portraits. Je nach Umfang und Qualität dieser Daten erstellen diese Netze dann täuschend ähnliche Bilder, etwa Portraitfotos nicht existierender Menschen nach reinen Beschreibungen oder unsinnige Kombinationen verschiedener Bildelemente. Beuijsman will damit zeigen, dass die Netze kein eigentliches „Verständnis“ ihrer eigenen Produkte entwickeln, sondern diese lediglich nach statistischen Werten aus kleinsten Bildelementen zusammenbauen. Diese Bilder sind teilweise von echten Portraits nicht zu unterscheiden, können aber im nächsten Fall wiederum geradezu abstrus wirken.

Bei der Bildherstellung verweist er auf das GAN – „generative adversial network“ – und das CAN („creative adversial Network“ vor. Ersteres erstellt Bilder auf der Basis einer möglichst großen Datenbasis, wobei eine hohe Ähnlichkeit mit dem statistischen Werten des Datenmaterials wichtig ist, etwa eine Portrait einer jungen Frau oder eines älteren Mannes. Ein zweites Netz – der „Polizist“ – vergleicht die erstellten Bilder mit der Realität und meldet Unterschiede an das erste Netz zurück, bis diese Unterschiede nicht mehr nachzuweisen sind. Das CAN jedoch folgt keiner Vorgabe, sondern erstellt aus den allgemeinen statistischen Strukturen des Datenmaterials „freie“ Werke, die sich letztlich nur aus der zufälligen Kombination unterschiedlichster Bildelemente ergeben. Man kann dies als „Kreativität“ definieren, doch Beuijsman verweist auf die fehlende verbindliche Definition menschlicher Kreativität, die zwar gerne (Künstlern) attestiert, aber nie konkret definiert wird. Damit lässt sich die angebliche Kreativität neuronaler Netze weder wider- noch belegen. Bei einer Ausstellung solcher Werke jedenfalls hielten ausgewiesene Kunstexperten, denen man die wahre Herkunft verschwieg, diese Werke für moderne Kunst hoher Qualität. Bei diesen Beispielen widerspricht sich Beuijsman ein wenig selber, hat er doch anfangs die „Menschenähnlichkeit“ der KI negiert, ja fast als technophobe Paranoia dargestellt.

Das spricht jedoch nicht gegen das Buch, denn dessen Stärke liegt in der sowohl anspruchsvollen als auch verständlichen Darstellung dieses komplexen Themas. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich der Leser nicht anstrengen muss, denn die komplexen Abläufe erklären sich nicht von selbst. Man muss die grundlegende Funktionalität und die Strategie dieser Systeme erst verstehen und dann anhand der einzelnen Anwendungen im Detail nachvollziehen. Im Wissen um diese Schwierigkeit hat Beuijsman sein Buch mit vielen Beispielbildern angereichert, sowohl schematischen Abstraktionen der Funktionsweise als auch vor allem die zum Teil erstaunlichen – und durchaus erschreckenden – Ergebnisse dieser KI-Systeme.

Was den neuronalen Netzen fehlt, ist die Transparenz ihrer Entscheidungen. Die Herleitung eines Ergebnisses lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Dies mag bei der Herstellung eines Bildes eher nebensächlich oder gar beabsichtigt sein, bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit eines Bankkunden oder der latenten Kriminalität eines menschlichen Gesichts ist diese fehlende Transparenz jedoch ein Ausschlusskriterium. Man forscht zwar an Möglichkeit, diese Transparenz nachträglich durch zusätzliche neuronale Netze herzustellen, stößt dabei jedoch noch auf erhebliche Probleme. Man möchte daher diese Netze nicht gerade für den sensiblen Bereich menschlicher (Inter-)Aktionen eingesetzt wissen.

Am Ende des Buches schaut Beuijsman denn auch nicht nur technologisch, sondern auch normativ in die Zukunft, verweist warnend auf die Gesichtserkennung sowie die damit zusammenhängenden „social credit points“ der Chinese und stellt normative Warnschilder bezüglich des Einsatzes der KI in gesellschaftlich sensiblen Bereichen auf.

Das Buch ist im Verlag C. H. Beck erschienen, umfasst 236 Seiten und kostet 20 Euro.

Frank Raudszus

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