Ein Abend der dunkleren Töne

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Beim 8. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt gastierte das noch junge Frankfurter Eliot-Quartett mit Maryana Osipova (v), Alexander Sachs (v), Dmitry Hahalin (va) und Michael Preuss (vc) in der gut gefüllten Orangerie. Das Programm spannte einen weiten musikhistorischen Bogen von Joseph Haydn über Maurice Ravel bis zu Dmitri Schostakowitsch.

Das Eliot-Quartett mit (v.l.n.r.) Dmitry Hahalin. Maryana Osipova, Michael Preuss und Alexander Sachs

Wie in Konzertkreisen üblich, begann dieser anspruchsvolle Abend mit einem eher leichteren, weil klassischen Stück, Haydns Streichquartett C-Dur, op. 54 Nr. 2. Bereits die ersten Takte zeigten, dass dieses Ensemble die außergewöhnlichen Kompositionen und vor allem die volleren, dunklere Klangbildung bevorzugt. Statt wie gewohnt heller, silbriger Streicherklänge dominierten die tieferen, vollen Lagen. Und Haydns Quartett fällt insofern aus dem Gattungsrahmen, als es mit einem „Vivace“ beginnt und dafür im Finalsatz überwiegend im „Adagio“ verharrt. Trotz der Satzbezeichnung beginnt der Kopfsatz eher getragen und mit vollem, streckenweise fast orchestralem Klang und gewinnt nur zögernd an Tempo. Im zweiten Satz soliert die erste Violine längere Zeit über einem nahezu homophonen, dunkel gefärbten Hintergrund voller Weltentsagung, dann folgen „attaca“ ein tänzerisches Menuett im Dreivierteltakt und Trio. Der Finalsatz beginnt mit einem eingängigen Thema im Adagio, schwingt sich dann zu einem bewegten Presto auf, um dann im Adagio leise zu verklingen.

Das Ensemble interpretierte dieses ungewöhnliche Quartet mit viel Gespür für die dunkleren Klänge, denen die erste Violine immer wieder einen hellen Kontrast entgegensetzte. Offensichtlich bevorzugen diese Musiker die dunkleren Klänge, wohl weil sie auch tiefere emotionale Lagen widerspiegeln. Wenn man so will, interpretierten die vier Musiker (mask. gen.) Haydn „gegen den Strich“, denn man verbindet mit Haydns Streichquartetten gerne eine leichte, helle Klangfarbe. Hier jedoch lernte man einen anderen, fast schon melancholischen Haydn kennen.

Das setzte sich in Maurice Ravels Streichquartett F-Dur op. 22 aus dem Jahr 1902 fort. Den ersten Satz prägen polyphone Motive statt ausformulierte Themen, und der Klang ersetzt die Melodie, wobei die einzelnen Motive durch die Instrumente wandern. Hier zeigt sich die Eigenart der Musik, durch Sprache nicht zu beschreibende Emotionen und Assoziationen wiederzugeben, die in diesem ersten Satz an verlorene Seelen erinnern. Im zweiten Satz steigert sich diese emotionale Klangwirkung noch durch einen Wirbel tänzerischer Bewegungen, getragene Motive und gezupfte Passagen zu einer abgrundtiefen Stimmung. Der dritte Satz, „Très lent, modéré“ überschrieben, kommt wie eine weltferne Totenklage daher, wobei vor allem das dunkle Cello mit markanten Einsätzen zum Tragen kommt, Dagegen erhebt sich der Finalsatz mit einem furiosen Auftakt, der in eine Folge ostinater musikalischer Figuren mit starken Kontrasten übergeht. Das Stück lässt sich als Spiegelbild des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen großen Umbrüchen der Industrialisierung und den daraus resultierenden Verlusterfahrungen und -ängsten verstehen. Dem Eliot-Quartett gelang es auf unvergleichliche Weise, diese Kontraste nicht nur darzustellen, sondern sie vor allem in einer ganzheitlichen Art miteinander zu verbinden und in einen interpretatorischen Rahmen einzufügen, sodass trotz starker harmonischer wie dynamischer Kontraste ein so stimmiger wie eindringlicher Gesamteindruck entstand.

Nachdem das Quartett bereits mit großem Beifall in die Pause verabschiedet worden war, steigerte sich das Ensemble im zweiten Teil noch einmal mit Schostakowitschs Streichquartett F-Dur op. 73. Das unmittelbar nach dem Krieg entstandene Stück spiegelt den ganzen Schrecken des Krieges und der politischen Repression unter Stalin wider. Alles, was Schostakowitsch nicht sagen konnte, schrieb er in dieses Stück hinein. Was teilweise wie eine Parodie herkömmlicher musikalischer Standards und Konventionen aussieht, ist wohl eher als Camouflage einer Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu verstehen. Was man der politischen Führung als beißende Kritik an westlicher Kammermusik verkaufen konnte, war wohl in Wirklichkeit nur der Versuch, durch die emotional überspitzte und verzerrte Verwendung eben dieser Konventionen die eigene Seelenlage widerzuspiegeln. Dabei beginnt der erste Satz noch fast normal mit zwei aufeinander folgenden Themen, um dann bald mit schroffen Kontrasten und fremdartigen Harmonien einen musikalischen „Tanz auf dem Kraterrand“ aufzuführen. Im zweiten Satz dominieren geradezu ostinate Dreiklang-Arpeggien im 3/4-Takt mit einem Dauer-Stakkato, das an das drohende Ticken einer ablaufenden Uhr erinnert. Dann folgen wilde Motive über schroffen Akkorden, die sich zu einer entgrenzenden Parodie rhythmischer und harmonischer Merkmale klassischer Satz- und Musikstandards entwickelt. Dagegen beginnt der vierte Satz fast majestätisch, nimmt sich dann zurück ins Nachdenkliche mit feinen Dissonanzen, die wie Nadelstiche wirken. Dann verbinden sich Viola und Cello zu einem wahrhaft abgründigem Duo, das alle Hoffnung fahren lässt. Aus diesem endzeitlichen Tief findet selbst der Finalsatz nicht mehr heraus, sondern verharrt trotz vordergründig bewegter Motive in einem verhaltenen, fast resignierenden Gestus, und das Ende gleicht eher einem Erlöschen.

Das Eliot-Quartett schaffte mit dieser Interpretation noch einmal eine Steigerung nach dem schon beeindruckenden Ravel-Quartett und präsentierte die vielfältigen Kontraste und Extreme dieser Musik mit gebündelter Konzentration, wobei das Kunststück gelang, die starken emotionalen Ausschläge in den einzelnen Sätzen in eine Gesamtinterpretation einzubinden, ohne dass sich die einzelnen Sätze voneinander lösten. Bis zum Ende hatte man als Zuhörer den Eindruck einer starken musikalischen Einheit, wenn diese auch von Emotionen wie Klage und Verzweiflung geprägt war.

Dass dieser Abend – und vor allem das Stück eines russischen Komponisten – als musikalischer Kommentar zur aktuellen Weltlage zu verstehen war, lag auf der Hand und wurde wohl auch von vielen so verstanden.

Das Publikum dankte dem Ensemble mit lang anhaltendem, mehr als kräftigem Beifall.

Frank Raudszus

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