Die Oper „Die Stumme von Portici“ von Daniel-Francois Auber – Libretto Eugen Scribe – handelt von einem Aufstand napolitanischer Fischer gegen die spanische Besatzung im 17. Jahrhundert. Der Hintergrund der Uraufführung im Jahr 1825 war natürlich die restaurative, sprich: autoritäre Situation im Europa nach Napoleons endgültiger Niederlage. So versuchten Scribe und Auber durchaus, die vielleicht noch vorhandene revolutionäre Glut von 1789 zu schüren, und das gelang ihnen auch wenige Jahre später in Brüssel, wo diese Oper einen Aufstand auslöste.
Im Staatstheater Darmstadt versucht Paul-Georg Dittrich, diese Oper auf eine politische Meta-Ebene zu heben, indem er ihr grundsätzliche Perspektiven und Handlungselemente revolutionären Charakters hinzufügt. Im Stillen – und im Programmheft schimmert es durch – sieht er wohl derzeit eine vorrevolutionäre Situation, die es wie auch immer zu nutzen gelte. Ob aber die weltweite Lage eher auf autoritäre denn revolutionäre Zustände hinsteuert, darüber ließe sich streiten, doch krisenhaft sind die Zeiten auf jeden Fall.
Diese Oper macht es einem Regisseur jedoch nicht einfach, daraus einen revolutionären Impetus zu gewinnen. Zwar wird viel von Revolte gesprochen bzw. gesungen, doch lässt das Libretto logische Stringenz vermissen. Dass sich im 17. Jahrhundert ein Volk erhebt, weil ein einfaches Mädchen vom Sohn des Vizekönigs verführt wird – wohlgemerkt: nicht vergewaltigt oder gar ermordet -, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Eher spielen da schon die Steuern eine Rolle, die aber in einer Oper nicht so gut zu vermarkten sind wie erotische Emotionen. Dass der Verführer sich jedoch noch in Gewissensqualen windet, macht ihn auch nicht gerade zum Objekt des Hasses, und dass sich zum Schluss die Anführer der Revolte zerstreiten bis zum „Brudermord“, hilft der Revolution auch nicht. Dass sich das verführte Mädchen nach dem Tod ihres revolutionären Bruders in die Lava des ausgerechnet um diese Zeit ausbrechenden Vesuvs stürzt, hat mit einer politischen Revolte auch wenig zu tun.
Einerseits sieht Dittrich dies Problem, denn er stellt in seiner Inszenierung die Frage, ob denn Revolution heute noch möglich sei, und, wenn dies der Fall sei, was zu tun sei. Doch stehen bei seiner Skepsis ausgerechnet die logischen Inkonsistenzen der Librettos im Wege. Offenbar haben Komponist und Librettist doch eher an den Erfolg der Oper bei einem bürgerlichen Publikum gedacht als damit die Revolution anzuheizen.
Darüber hinaus hat die Regie noch weitere fragwürdige Entscheidungen getroffen. So wird die stumme Fenella, das verführte Mädchen, durch eine von zwei Puppenspielerinnen geführte, lebensgroße Puppe dargestellt. Das ist zwar anfangs recht originell, doch eine dreistündige Vorführung dieses Puppentheaters durch zwei ausgewachsene Kräfte verlagert die Aufmerksamkeit des Publikums auf eine spezielle Kunstgattung, die mit dem Stoff der Oper nichts zu tun hat. Dabei lässt die Faszination schnell nach und es entstehen deutliche Längen. Diesen Effekt versucht die Regie ausgerechnet mit ausgedehnten Video-Sequenzen zu vermindern, die – nicht nur – das Puppenspiel aus verschiedenen Perspektiven auf große Leinwände werfen.
Damit nicht genug, werden auch noch die verschiedenen Zeitebenen in einer Art Zeitreise mit eingebaut. Zur Ouvertüre betritt eine der Puppenspielerinnen ein heutiges Einzimmer-Appartement mit Fensterblick auf Darmstädter Altbauten, um sich dann plötzlich in einem rasanten Umbau zu einem Biedermeier-Ambiente von 1825 mit frühen Fotos Pariser Straßen wiederzufinden. Später wird dann noch das erwähnte Brüsseler Theater mit großen Pappmaché-Kulissen auf die Bühne gezaubert, nur, um an den damaligen Aufstand aufgrund der Oper zu erinnern. Diese zusätzlichen Zeitreisen zerfasern natürlich die sowieso nicht nach einem großen politischen Konflikt aufgebaute Handlung noch weiter, so dass die Zuschauer immer wieder mühsam in die eigentliche Handlung zurückfinden müssen.
Das verstärkt sich noch im zweiten Teil, wenn Darmstädter Bürger in die Inszenierung integriert werden, die man vorher nach ihrer Meinung über politische Krisen und Revolution befragt hat. Zwar tragen diese Personen ihre Meinung aus berechtigten Gründen nicht „live“ vor, doch werden die vorgefertigten Ausführungen in Live-Videos der an Tischen auf der Bühne sitzenden Frauen und Männer präsentiert. Und zwischen dieses „aktuellen“ Szenen heutiger Verhältnisse geistern weiter die Figuren der Oper umher, seien es der Verführer Alphonse (Ricardo Garcia), seine ihm frisch angetraute Frau Elvire (Megan Marie Hart) oder die Revolutionäre Masaniello (Matthew Vickers) und Pietro (Georg Ferstl), und tragen ihre Gesangstexte vor. Zeitweise herrscht auf der Bühne ein Chaos, aber nicht unbedingt ein revolutionäres.
Doch auch das reicht Regisseur Dittrich noch nicht, denn er lässt in einer besonders originellen Szene das frische Ehepaar im Video auf der Vorderseite des heruntergelassenen eisernen Vorhangs erst singen und dann sich plötzlich auf der Meta-Ebene als Ricardo Garcia und Megan Marie Hart über den politischen Sinn und Unsinn dieser Heirat streiten. Dann wirft Megan Maire Hart ihrem „Mann“ die edlen Klamotten vor die Füße, nur, um im nächsten Augenblick doch die emotionale Liebesarie zu singen. Dann wieder streiten sich Zuschauer in diesem Video mit einem Regisseur der 1830er Jahre mit Zylinder über die politischen Hintergründe der Oper, und zu allem laufen Texte über Revolution und Georg Büchner – wohl ein Zugeständnis an Darmstadt – über die halbrunde Wand des eisernen Vorhang.
Am Ende weiß niemand mehr so recht, was eigentlich in der Bühnenhandlung geschieht, während Masaniello starr mit einer übergroßen Krone auf einem Tisch steht, Pietro verzweifelt mit den Fäusten auf einen Tisch haut und gleichzeitig ringsumher Soldaten erst mit Gewehren drohen und dann massakriert werden. Dass Pietro seinen Kumpanen Masaniello aus revolutionärer Rache vergiftet, geht in dem thematischen und szenischen Tumult genauso unter wie der dramatische Selbstmord der stummen (Puppe) Fenella in der Vesuv-Lava.
Dazu ertönt drei Stunden lang eine meist forsch. fast revolutionär aufspielende Musik aus dem Orchestergraben. Lyrische Szenen sind natürlich Mangelware, aber die revolutionären Töne ähneln sich über lange Strecken, ob mit markanten Orchesterschlägen oder nicht. Durchaus schmissig und auch markant, aber eher mit einem Mangel an Vielfalt und Feingliedrigkeit behaftet. Doch feinsinnig sollte diese Oper wohl auch musikalische nie sein.
Positiv hervorzuheben sind jedoch die sängerischen Leistungen, wobei vor allem Megan Maire Hart mit ihrer ausgesprochen präsenten und in allen Lagen sicheren Stimme zu nennen ist. Doch Ricardo Garcia als meist verzweifelter Alphonse, Matthew Vickers als mutiger und doch skrupulöser Masaniello und Georg Ferstl als erst begeisterter und dann wütender Pietro stehen ihr kaum nach. Und auch die zahlreichen Nebenrollen und vor allem der geradezu auftrumpfende Chor beeindrucken durch überzeugende sängerische Leistungen.
Schade, dass die überladene, keine szenische Grenzen kennende Regie das Ganze spätestens ab der Mitte total zerfasern lässt. Hier trifft wirklich der alte Satz zu, dass weniger mehr gewesen wäre.
Der Beifall des nur mäßig gefüllten Großen Hauses war freundlich.
Frank Raudszus
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