Romanadaptionen für die Bühne sind seit einiger Zeit „en vogue“, erfüllen jedoch wegen der Diskrepanzen der Genres Roman und Theater nicht immer die Erwartungen. Man kann es aber auch ganz anders angehen, und das beweist das Schauspiel Frankfurt mit Peter Jordans Bühnenversion von Cervantes´ „Don Quijote“. Aus guten Gründen fügt der Autor seinem Stück die Einschränkung „frei nach Cervantes“ bei, denn der spanische Originalautor würde sich wohl sehr darüber wundern, was Jordan aus seiner Vorlage gemacht hat. Allerdings glauben wir nicht, dass Cervantes sich im Grabe umdrehen würde, vielmehr hätte sein Sinn für hintergründigen Humor Gefallen an dieser rasanten Transformation gefunden.
Das Bühnenbild von Stefanie Bruhns empfängt die Zuschauer noch mit einem naturalistischen Blick über die weite und baumlose Mancha Alta de Toledo, über der sich ein nächtlicher Sternhimmel wölbt. Wenn die Sonne sich erhebt und Sancho Panza (Sebastian Reiß) seine müden Glieder streckt, stehlen sich nach und nach einige Windmühlen als abstrahierte Schwarz-Weiß-Grafiken in die farbige Landschaft und lassen bisweilen sogar die Flügel kreisen. Damit ist bereits ein ironisches Augenzwinkern gesetzt, und das bedient auch Sancho, der in Peter Jordans Version durchaus heutiges – na ja: Deutsch (statt Spanisch) spricht und dabei gründlich seinem Ärger über seinen verrückten Chef Ausdruck verleiht. Ganz im Sinne der Romanvorlage erscheint dieser dann auch in Gestalt von Holger Stockhaus mit Brustpanzer, Schienbeinschützern und (hölzernem) Schwert, dessen Schneide er gerne mit der Zunge liebkost. Stockhaus gibt diesen Quijote durchaus als Phantasten, der einen Trauerzug als vermeintlich feindliche Truppe angreift und dem Leichnam in selbstloser Tapferkeit einen Arm abtrennt. Es folgen Diskussionen zwischen den beiden Männern über diese Tat, aber Sancho gelingt es nicht, auch nur einen Funken von Realismus in Quijotes Hirn zu zünden.
Soweit, so werkgetreu – abgesehen vom immer wieder durchbrechenden Slapstick. So liefern sich die beiden ein absurdes Wortgefecht über das „er“ als Anrede in der dritten Person Singular und die Verwechslung mit der echten dritten Person, das nahtlos in die Verwirrung von „Sie“ und „sie“ übergeht. Jordan spielt hier kunstvoll mit der Sprache und transformiert dabei Cervantes´ ironische Sprachkunst in die Jetztzeit. An späterer Stelle führen die beiden einen ebenso absurden Diskurs über Don Quijotes einzigartige Stellung als „tapfererer“ Ritter und Sanchos Unkenntnis vergleichbarer Geschichten mangels der Kunst des Lesens.
Dann tritt auch noch Don Quijotes Stute Rosinante in Gestalt von Christina Reiße auf, aber mit der Kunst des Sprechens, was die beiden Männer nicht merken. Genüsslich macht sich Rosinante vor allem über die nur der menschlichen Sprache mächtigen Männer lustig, wahrt dabei aber selbstverständlich die nötige Distinktion gegenüber Sanchos dummem Esel(ebenfalls Sebastian Reiß).
Wenn man als Zuschauer sich an diese durchaus witzige Persiflage des berühmten Romans gewöhnt hat und die Inszenierung innerlich als Satire ad acta legt, entwickelt die Inszenierung erst richtig Fahrt. Auf Sanchos Vorhaltungen wegen Quijotes Realitätsflucht eröffnet ihm dieser, seine aus der Zeit gefallene, pathetische Art sei nur Spiel, um die Aufmerksamkeit der Welt zu gewinnen. Er wolle die Welt von Königen und Kirche befreien und jedem Menschen zur persönlichen Entfaltung verhelfen. Nun beginnt ein rhetorischer Schnelldurchgang durch die noch in der Zukunft liegende Aufklärung. Kants „selbstverschuldete Unmündigkeit“ wird zwar nicht explizit zitiert, schimmert aber durch Quijotes idealistischen Freiheitsreden durch. Nun sei Zeit, echte Maßnahmen zu ergreifen, und dazu müsse der Kampf gegen die Windmühlen von dem eher metaphorischen durch Anzünden derselben zum echten Kampf werden. Also flackern bald die Windmühlen-Graphiken auf dem Bühnenbild, und Don Quijote wird zur RAF der frühen Neuzeit. Als dann auch noch eine begeisterter Anhängerin (Christina Geiße) ihm fünftausend kampfbereite Anhänger zuführt, folgt die nächste und folgerichtige Volte. Eben noch Idealist, mutiert Don Quijote zum kampfbereiten Revolutionär, und wenn er nach einer Kunstpause auf die Frage der Gefolgsfrau nach der ersten Aktion „alle töten“ antwortet, assoziiert man sofort Jennys kategorisches „Alle!“ aus Brechts „Dreigroschenoper“.
Sancho verlässt zwar bereits früh seinen Herrn mit der Bemerkung „ich habe meine Schuldigkeit getan, ich kann gehen“, kehrt aber aus Mitleid zurück, nur um zu erleben, wie Don Quijote etwas später in seiner idealistischen Verzweiflung an die Rampe tritt und ein pathetisches „Sterben, Schlafen“ von sich gibt. Grüße an Stratford. In den revolutionären Schriften von Marx bis Fanon sattelfeste Zuschauer werden sicher viele weitere Zitate in Don Quijotes Befreiungsreden entdecken.
Den Höhepunkt liefern dann der König (Sebastian Reiß), der sich im Phantasiekostüm höchstpersönlich zum mittlerweile gescheiterten Revolutionär Quijote begibt und ihm etwas über wahre Macht und deren Fallstricke erzählt. Das ist mit viel philosophischem und machiavellistischen Witz gewürzt und bringt die Geschichte der Macht und der Revolution dagegen(?) auf den Punkt, ohne eine der beiden Seiten zu denunzieren. Scheinbar beiläufig, doch im Kern sehr ernsthaft wird hier das revolutionäre Wesen diskutiert, hinterfragt und auf seine Umsetzbarkeit geprüft. Peter Jordan hat dabei den Vorteil der späten Geburt, kann er doch dem König wie Don Quijote aus der weltpolitischen Erfahrung der letzten zweieinhalb Jahrhunderte einige Wahrheiten oder Fragen ins Stammbuch schreiben. Der König zitiert diese Fragen mit latenten Zynismus und Don Quijote mit ungläubiger Verzagtheit. Und es kommt noch schlimmer für ihn, denn der König verweigert ihm eine märtyrerhafte Hinrichtung und lässt ihn leben.
Ach ja, auch Rosinante bekommt zum Schluss noch ihre Abreibung, wenn der dumme Esel sich der tierischen Sprache als durchaus mächtig erweist. Nirgends ist man seiner Überlegenheit sicher!
Holger Stockhaus und Sebastian Preiß geben zusammen ein unschlagbares Duo ab und verstehen sich blind, wobei auch ihre spürbare Spielfreude eine große Rolle spielt. Christina Geiße rundet dieses Duo zum Trio ab und agiert dabei in mehreren Rollen auf Augenhöhe mit ihren beiden Kollegen.
Das Publikum war begeistert und spendete lang anhaltenden Beifall.
Frank Raudszus
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