Der Titel dieses (Hör-)Buches trifft den Nagel in doppelter Hinsicht auf den Kopf: einerseits beschreibt er auf geradezu schlichte, chronologische Art und Weise ein menschliches Leben vom Säugling bis zum sterbenden Greis, andererseits übermittelt er in dem Wort „ganzes“ auch eine Botschaft der Geschlossenheit und Stimmigkeit, obwohl dieses Leben alles andere als ein „gelungenes“ im bildungs-bürgerlichen Sinne ist. Alleine durch den Ablauf dieses Lebens stellt der Autor den heutigen Wunsch nach einem „erfüllten“ und „reichen“ Leben in Frage, ohne dabei auch nur andeutungsweise in wohlfeiles „Bürger-Bashing“ zu verfallen.
Andreas Egger kommt Anfang des 20. Jahrhundert als elternloser Säugling zu einem Bauern in einem abgelegenen österreichischen Bergdorf, und seine Kindheit verläuft zwischen Ausbeutung und Prügel durch den Pflegevater. Persönliche Zuwendung und Fürsorge lernt er nie kennen. Nach einer fast schon gewaltsamen Befreiung von seinem Peiniger verbringt er sein weiteres Leben bei harter körperlicher Arbeit in sehr bescheidenen Verhältnissen. Eine vom mühsam Ersparten erworbene Berghütte wird sein Zuhause und das seiner einzigen Liebe, bis eine Lawine Hütte samt Frau davonrafft. Egger nimmt diese Schicksalsschläge wie Selbstverständlichkeiten hin und macht weiter. Für ihn gibt es nur die Gegenwart, Hoffnungen auf eine Zukunft geschweige denn deren Gestaltung hat er nie erfahren. Im Zweiten Weltkrieg gerät er in russische Gefangenschaft und überlebt sogar diese trotz Hunger und bitterer Kälte. Bevor er schließlich – hoch in den Siebzigern – am Küchentisch stirbt, gesteht er sich sogar ein, im Ganzen ein gutes Leben geführt zu haben.
Wenn man so will, dreht sich in diesem Roman alles um diesen Augenblick der Selbstreflexion, die aus Dankbarkeit darüber, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, ein positives Fazit zieht. Seethaler zeigt an diesem Beispiel eines „minimalen“ Lebens, auf welch hohem Niveau die heutigen – westlichen! – Gesellschaften klagen. Doch diese Kritik erfolgt nicht explizit oder gar polemisch-platt, sondern erwächst ausschließlich aus der Schilderung eines schweren, von harten Schlägen schwer getroffenen, einfachen Lebens. Indem man – als Hörer oder Leser – dieses „Hineingeworfensein“ ins Dasein Tag für Tag und Jahr für Jahr miterlebt, erkennt man einerseits, wie wenig für ein (Über-)Leben wirklich erforderlich ist, und andererseits, wie belastungsfähig die menschliche Gattung ist. Die Ansprüche der heutigen Generationen – ob jung oder alt – erscheinen dann angesichts der Zustände in anderen Zeiten und Regionen maßlos. Das geradezu wiedergekäute Versprechen politischer Kreise, es werde immer besser, erscheint dann nicht nur unglaubwürdig und abgehoben, sondern geradezu größenwahnsinnig.
Matthias Brandt liest dieses Hörbuch mit einer betonten Sachlichkeit, die auch in den tragischsten Momenten nie in emotionales Pathos verfällt. Brandt hat Seethalers Credo, die Tatsachen ohne moralisierende Zutaten für sich sprechen zu lassen, in Vortragsform gefasst und lässt gerade dadurch das Leben dieses hart geprüften, schlichten Mannes zur Erfolgsgeschichte werden. Man möchte sich – frei nach Camus – Andreas Egger als glücklichen Menschen vorstellen.
Das Hörbuch ist bei „Hörbuch Hamburg“ erschienen, umfasst eine Gesamtlaufzeit von 213 MInuten und kostet als Einzelkauf (Thalia) 11,89 bzw. 11,99 Euro.
Frank Raudszus
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