Der Roman „Heute kein Abschied“ beginnt mit einem Todesfall. Oskar, Vater von drei erwachsenen Kindern, bricht auf dem Flughafen Schiphol zusammen und stirbt. Obwohl er herzkrank war, hatte er nicht mit diesem jähen Ende gerechnet, genauso wenig wie seine Kinder. Seine Ex-Ehefrau und die Kinder Tessel, Moor und Cat werden plötzlich aus ihren Leben gerissen. Gerade hatte noch jeder mit seinem Alltag gerungen, da wird die tägliche Sorge durch den Tod des Ehemannes und Vaters erst einmal wichtiger. Der Tod ist eine ganz andere Kategorie weil so erschreckend endgültig.
So rückt der Vater, obwohl verstorben, für alle Protagonisten in den Mittelpunkt. Hatte man in den letzten Jahren wenig oder nur oberflächlichen Kontakt zueinander, so ist jetzt die Kontaktlosigkeit endgültig. Mit seinem möglichen Tod hatte sich vorher niemand beschäftigt. Er wurde vom Tagesgeschäft verdrängt, das jeder zu bewältigen hat. Mit dem Tod ist Oskar jedoch plötzlich präsent. Eigentlich verrückt, denn er ist nicht mehr auf dieser Welt. Doch alle seine Lieben denken nun an ihn.
Anfangs geht es noch um die Organisation der Trauerfeier, wie bei jedem Trauerfall. Dann muss das Haus des Verstorbenen ausgeräumt werden. Welche Gegenstände möchte man als Erinnerungsstücke behalten, und welche können entsorgt werden? Wird es Streit darüber gehen, oder einigt man sich gütlich? Wird der Tod Konflikte zwischen den drei Geschwistern aufbrechen lassen? Schleicht sich Wehmut über Versäumtes in der Beziehung zum Vater ein?
Durch das Stöbern in alten Dokumenten, Briefen und persönlichen Dingen nähern sich die Kinder dem Vater Oskar auf eine intensive Art an. Sie entdecken Geheimnisse und Lebenslügen und zum Schluss ein furchtbares Verbrechen, das an dem zehnjährigen Oskar verübt wurde und das ihn zu einem Menschen ohne rechten Halt gemacht hat, der immer ein bisschen auf der Flucht war und keine tiefen Bindungen eingehen konnte.
All diese späten Erkenntnisse erhellen für die Kinder ihre Beziehung zum Vater, die oft etwa Unfassbares, Abweisendes an sich hatte. Am schlimmsten war es für den Sohn Moor, den der Vater oft misshandelt und mit einer ihm unverständlichen Strenge überzogen hatte. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Leben seines Vaters wird für Moor vieles verständlich.
Daan Heerma van Voss rollt eine komplette Familiengeschichte vom Ende her auf. Konfrontiert mit dem Endgültigen wird ein Familienleben auf ganz eigene Art noch einmal lebendig.
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 490 Seiten und kostet 26 Euro.
Barbara Raudszus
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