Ferdinand von Schirach: „Der stille Freund“

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In seinen Kurzgeschichten versammelt Ferdinand von Schirach Episoden, die teilweise zufällig geschehen, teilweise bewusst herbeigeführt werden.

In der Titelgeschichte „Der stille Freund“ wird Massimo, ein reicher Farmer aus Namibia, der alles besitzt, um glücklich zu sein, beim Start seiner Propellermaschine von einem Schwarm Webervögel überrascht. Das führt zum Absturz des Flugzeugs und zu Massimos Tod. Ja, dachte sich die Leserin, so schnell kann es manchmal gehen.

Massimo, ein reflektierter Freund des Autors, hat sein Leben lang um Erkenntnis gerungen. Er beschäftigte sich mit dem Weltwissen, versuchte, den Sternenhimmel zu verstehen und tauchte in die Religion ein – einzig um zu Erkenntnissen zu gelangen, was ein Menschenleben ausmacht. Im Moment seines Todes kommt das Ende sehr schnell, überraschend und nicht vorhersehbar. Alle seine Fragen waren „Kinderfragen“ – so von Schirach: „Niemand weiß, warum das eine Leben glückt und das andere nicht. Es gibt keine Regel, es gab sie noch nie.“

In der Geschichte „Mozart ist tot“ erzählt von Schirach die Lebensgeschichte seines Freundes Klapper. Klappers Vater war Bergmann in einer Zeche in Gelsenkirchen. Als sein Sohn geboren wurde, starb die Mutter, und der Vater musste mit der vierjährigen Lisa und dem Baby alleine zurechtkommen. Da das praktisch unmöglich war, wendete sich der Vater an den Pfarrer, der für Hilfe sorgte. Die Pfarrersfrau war bereit, sich um die beiden Kinder zu kümmern.

Der kleine Max – sein Spitznamen lautet „Klapper“ – kommt als Vierjähriger in die musikalische Früherziehung. Schon bald erkennt eine Musiklehrerin, dass Max über ein absolutes Gehör verfügt und unbedingt gefördert werden sollte. Max überspringt in der Schule zwei Klassen und spielt bald virtuos Cello. An seinem 17. Geburtstag erhält er eine Einladung zum internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Als seine Schwester ihn zum Flughafen bringen will, teilt Max ihr mit, dass er nicht nach Moskau fliegen werde.

Von diesem Tag an wird er kein Cello mehr anrühren. Stattdessen steigt er in einen Kölner Hähnchengrill ein und beginnt, das Lokal als Jazz-Lokal zu vermarkten. Auch hier agiert er wieder äußerst erfolgreich. Die neue Geschäftsidee läuft, und er verdient viel Geld. Doch eines Abends nach einem Konzert erklärt Klapper, er höre auf, weil er jetzt etwas anderes machen müsse. Anschließend reist er vier Jahre lang rund ums Mittelmeer, meistens zu Fuß, manchmal mit dem Schiff. In der Jazz-Kneipe habe er sich zuletzt gelangweilt, es müsse etwas Neues her. Bis ihm schließlich im Grand Hotel in Rom der Teufel begegnet.

Der Autor kann das nicht ernst nehmen und fragt seinen Freund, woran er denn den Teufel erkannt habe. Klapper antwortet, dass es in der Nähe dieses Mannes sofort um fünf bis sechs Grad kälter geworden sei. Er sei förmlich vor dem Teufel geflüchtet und nach Köln zu seiner Schwester zurückgekehrt. Erst dort im Bett habe zu frieren aufgehört.

Damit endet auch Klappers Wanderschaft, und er verdingt sich als Friedhofsgärtner. Er liebt diese einsame Arbeit und fühlt sich wohl, bis er bei einer Beerdigung Mozarts Requiem hört…

Wer jetzt wissen will, wie die Geschichte ausgeht, sollte in von Schirachs Erzählungen eintauchen. Es lohnt sich. Der Leser erlebt viele Überraschungen, begegnet außergewöhnlichen Menschen und findet durchaus neue Erkenntnisse für das eigene Leben.

Das Buch ist im Luchterhand-Verlag erschienen, umfasst 172 Seiten und kostet 22 Euro.

Barbara Raudszus

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