Das Burgtheater Wien zeigt Mozart mit der Leichtigkeit von Varieté und Straßentheater – und spickt die Zauberflöte mit musikalischen Zitaten.
Das Burgtheater ist kein Volkstheater. Und doch fühlt sich das Volk an diesem Abend der Bühne und den Darstellern nah. Das ist nicht nur dem plüschig-opulenten Theatersaal zu verdanken, sondern vor allem Regisseur Nils Strunk, der die „Zauberflöte“ mit seiner außergewöhnlichen Inszenierung an ihren Ursprung im Jahr 1791 in einem Wiener Vorstadt-Theater zurückführt.
Wolfgang Amadeus Mozart schrieb die Zauberflöte gemeinsam mit Lukas Schikaneder in einer Zeit, in der das Genre der Zauberstücke Hochkonjunktur hatte. Schikaneder leitete damals ein Theater, kam aber aus ärmlichen Verhältnissen und war in seiner Vergangenheit Teil einer fahrenden Schauspielertruppe. Schikaneder und Mozart waren in finanziellen Nöten und standen unter Druck. Die erste Regieanweisung
Schikaneders „Das Theater ist eine felsichte Gegend“ spiegelt sowohl seinen steinigen Weg zum Erfolg als auch die zu diesem Zeitpunkt harten Rahmenbedingungen für das Theater wider.
Nils Strunk und Lukas Schrenk lassen in ihrer Inszenierung eine fahrende Schauspieltruppe, das „Kratky-Baschik Zaubertheater“, die Oper neu gestalten – als Unterhaltungsshow. Frech und ohne Ehrfurcht für die „heilige Komposition“ wird diese radikal komprimiert, neu arrangiert und in die Neuzeit überführt. Die damalige Umgangssprache wird in die heutige übersetzt. Bühnenbild und Kostüme vereinen Elemente des Varietés, des Revuetheaters und des Gauklertums. Die Zauberflöte wird so zum Stück für jedermann.
Dies gelingt mit lediglich sechs Schauspielerinnen und Schauspielern. Wie das Ensemble eines Straßentheaters füllen sie gleich mehrere Rollen aus – und brillieren in jeder einzelnen.
Anfangs stolpert Tamino (Gunther Eckes) noch tölpelhaft in die Geschichte, doch in den Prüfungen gewinnt er an Haltung und Würde. Die taffe und reflektierte Pamina (Lilith Häßle), seine ersehnte Gefährtin, zeigt moralische Größe. Papageno (Tim Werths) sorgt als komisch-naiver Gegenpart für glänzende Unterhaltung, die exaltierte und rachsüchtige Königin der Nacht (Katharina Pichler) triumphiert in grellen Höhen. Sarastro (Wolfram Rupperti) erscheint als düster-weise Autorität im Joker-Kostüm mit Monostatos (Annamária Láng) als niederträchtigem, gleichzeitig lächerlichem Vasallen; Papagena wandelt sich von einer alten zur lebenslustigen, jungen Frau (Annamária Láng) – und die drei Damen glänzen
als divenhafte Revuetänzerinnen: ein Feuerwerk an Sprüngen und Überzeichnungen.
Rüschenmanschetten aus Mozarts Zeiten kontrastieren mit engen Lederröcken aus der Op-Art-Ära, opulente Rokoko-Perücken und eine Prunk-Kavaliersrüstung aus Samt und Schnallen mit dem Federschmuck und den Burlesque-Outfits aus Cabarets. Die Inszenierung zitiert die eingängigen Melodien aus der weltberühmten Oper Mozarts, die sich ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt haben, von „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ über „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ bis hin zum Papageno-Papagena-Duett. Und verwebt sie mit anderen Klassikern der Musikgeschichte – von den Beatles, von Queen oder
aus dem Kultfilm „Dirty Dancing“.
All das gelingt Regisseur Strunk, der selbst auch Schauspieler und Musiker ist, nicht mit einem großen Orchester, sondern auf spektakuläre Weise mit einer dreiköpfigen Band, in der er selbst der Hauptakteur am Klavier, an der Gitarre und mit Vocals ist. Bernhard Mooshammer/Hans Wagner begleiten mit Gitarre, Bass und Vocals; die Drums spielen Jörg Mikula/Teresa Müllner. Als „die drei Knaben“ werden sie darüber hinaus zu Nebenfiguren der Inszenierung. Auch der Titel eines namhaften österreichischen Musikers wird zitiert; ein Brückenschlag zu Mozart – mit „Rock me Amadeus“ von Falco finden damit sogar Rap-Elemente ihren Weg in das Stück.
Diese vielfältigen Verflechtungen mit anderen Genres und Zeiten überwinden 232 Jahre und
katapultieren das Werk spektakulär in unsere Gegenwart. Mozart hätte seine Zauberflöte
heute vermutlich ebenso inszeniert: nah am Publikum, furchtlos, gegen den Strich.
Anna Hinrichsen
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