Redereiche Preisverleihung

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Am 1. November fand im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt die diesjährige Preisverleihung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in drei Kategorien statt. Der Johann-Heinrich-Merck-Preis ist der Literarischen Kritik und dem Essay gewidmet, der Sigmund-Freud-Preis ehrt Wissenschaftliche Prosa und der Georg-Büchner-Preis schließlich gilt – ohne weitere Fokussierung – einfach der Literatur.

In seiner Begrüßungsrede beklagte der Akademie-Präsident – und freie Schriftsteller – Ingo Schulze den allgemeinen politischen wie moralischen Rückschlag in Deutschland und der Welt sowie die finanziellen Sorgen der Akademie aufgrund der allgemeinen Kürzungen. Anschließend übernahm Staatsminister Wolfram Weimer das Mikrofon und zitierte Georg Büchners Metapher über die Statue der Freiheit und den Ofen für deren Herstellung, der noch glühe. Und nach einer kurzen rhetorischen Verneigung vor Ursula Krechel und ihrem Buch „Sehr geehrte Frau Ministerin“ versprach er zum Abschluss der Akademie die Finanzierung ihrer nächsten Jahrestagung.

Die anschließende Laudatio für die Preisträgerin „Literarische Kritik“ Ilma Rakusa durch die Lektorin Katharina Raabe geriet zwar etwas lang, lieferte dadurch aber auch viele Details zu Leben und Schaffen der Kritikerin und Essayistin. Diese selbst hielt eine erfrischend offene und publikumsnahe Dankesrede, in der sie die Sprache(n) als ihre eigentliche Heimat bezeichnete und ihre Liebe zu der osteuropäischen Literatur bekannte. Allerdings stellte sie auch die skeptische Frage, ob Literatur die in sie gesetzten Erwartungen überhaupt erfüllen könne, und ließ die Antwort offen. Doch hoffen dürfe und müsse man das, lautete die latente Antwort zwischen den Zeilen.

Die Laudatio auf Dan Diner – Preisträger für Wissenschaftliche Prosa – von Stephan Malinowski, selbst Historiker und Professor an der Universität von Edinburgh, bestach durch ihre intellektuelle Brillanz und Konsistenz. Wenn er vom „Minenfeld“ der Themen des Preisträgers sprach, tauchten auch ohne explizite Erwähnung Palästina, Gaza und das Dritte Reich als Assoziationen auf, und die Schlacht von El Alamein, in der die Briten die Deutschen im Jahr 1942 erst knappe tausend Kilometer vor Jerusalem stoppten, bildete einen Schwerpunkt seines Vortrages. Preisträger Dan Diner stellte in seiner Dankesrede das schwierige Verhältnis Albert Camus´ zum algerischen Befreiungskrieg in den Mittelpunkt. Der aus dem Milieu der in Algerien „naturalisierten“ Franzosen stammende Schriftsteller habe eine doppelte Entrechtung gesehen: die der eingeborenen Algerier durch die Kolonialmacht und die der integrierten Franzosen durch die nationalen Revolutionäre. Die revolutionäre Alternative „Koffer oder Sarg“ an die Adresse der Algerienfranzosen habe Camus schließlich zu dem Romanfragment „Der erste Mensch“ motiviert, das er aufgrund seines frühen Unfalltods nicht mehr fertigstellen konnte.

Bei der letzten Preiskategorie schließlich bezog sich die Laudatorin Sabine Küchler gezielt auf verschiedene Bücher der Preisträgerin, so wenn diese über die frühen Erlebnisse eines kleinen Mädchen auf einer Kirmes und dann seine Erfahrungen mit Erziehung und Aufwachsen in der Nachkriegszeit schreibt. Die Erwartungen der Kriegsgeneration an Leistung und Funktionieren ihrer Kinder seien schwerwiegende Prägungen gewesen, die die Preisträgerin nie mehr losgeworden sei und die sie in ihrer Literatur habe verarbeiten und in aufklärerische, emanzipierende Botschaften umsetzen müssen. Ursula Krechel antwortete darauf in ihrer Dankesrede mit dem Datum der Völkerschlacht, das gleichzeitig der Geburtstag Georg Büchners gewesen sei. Nach einem Ausflug in die enge Verwandtschaft von Revolution und Terror kam sie zu Büchners Schwester Luise, die sich entgegen den gesellschaftlichen Verhältnissen systematisch bildete und als eine der ersten Feministinnen gelten darf.

Präsident Ingo Schulze dankte allen Beteiligten sowie dem zahlreich erschienenen Publikum – ausverkauft! – und verabschiedete sich bis zur nächsten Preisverleihung in einem Jahr.

Frank Raudszus

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