Greg Smith: „Die Unersättlichen“

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Der Protest eines Abtrünnigen

Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gab es bereits zwei weltweite Finanzkrisen: im Jahr 2001 platzte die Technologieblase – auch „Internetblase“ genannt – in den USA und breitete sich epedemieartig weltweit aus. Kaum davon genesen, stürzte die Welt in die Immoblienkrise – auch „Subprime“-Blase genannt -, die ebenfalls von den USA ausging und fast das gesamte weltweite Finanzsystem kollabieren ließ. Die daran anknüpfende europäische Schuldenkrise zu Anfang des zweiten Jahrzehnts, die noch lange nicht ausgestanden ist, lässt sich letztlich auch auf die US-Krise(n) zurückführen.

Es muss also „etwas faul sein im Staate Geld“, sprich: der Finanzindustrie. Seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks hatte der westliche Finanzkapitalismus freie Fahrt, zumal die ehemaligen Ostblockländer viel nachholen müssten. Ungehindert von einer zweiten, konträren und damit kontrollierenden Ideologie konnte er sich in dem kurzfristig entstandenen Vakuum ungebremst ausbreiten. Hier setzt im Gründe genommen das vorliegende Buch an.

Greg Smith stammt aus Südafrika und träumte schon immer den Traum von den USA. Er erhielt ein Stipendium an der kalifornschen Stanford-Universität und im letzten Semester sogar einen der heiß begehrten Praktikumsplätze bei Goldman Sachs, der angesehensten und erfolgreichsten Investmentbank. Dank seiner guten Leistungen gehörte er zu denen, die eine feste Anstellung bei Goldman Sachs erhielten, und begann dort im Jahr 2001 seine Arbeit im Handelsraum.

Greg Smith schildert seine zwölf Jahre bei Goldman Sachs in fortlaufender, chronologischer Weise. Finanztheoretische Ausführungen beschränken sich auf den für das Verständnis des Buches notwendigen Umfang und wirken nie abstrakt-trocken. Smith hätte sogar eInige der komplizierten Finanzprodukte, die mit zum Crash von 2008 beitrugen, etwas genauer erklären können, damit auch der Laie ihre Wirkung besser versteht. Der Schwerpunkt des Buches liegt allerdings nicht auf den finanztechnischen Details sondern auf der Firmenkultur von Goldman Sachs. Mit viel Menschenkenntnis und auch Empathie stellt Smith seine Vorgesetzten und Kollegen der ersten Stunde und auf seinem weiteren Weg bei Goldman Sachs vor. Dabei liegt ihm viel daran, die durchaus vorhandenen menschlichen und beruflichen Stärken dieser Menschen herauszustellen. Goldman Sachs ist nicht einfach ein Rudel eiskälter Finanzhaie.

Smith zeigt auch deutlich, dass bei Goldman Sachs nur die Besten der Besten arbeiten – ganz ohne Eitelkeit. Das beginnt bei den Abschlussnoten an einer Elite-Universität, setzt sich fort in den Intelligenz- und Fleißnoten während des berühmten Praktikums und findet seinen Höhepunkt in der kompromisslosen aber fairen Leistungsbeurteilung in der täglichen Arbeit. Smith verdeutlicht, dass hohe Intelligenz und Ehrgeiz bei einer Bank nicht notwendigerweise mit einem schlechten Charakter gepaart sein müssen, was ja gerne von einschlägigen Kreisen suggeriert wird. Gerade Im ersten Teil des Buches verweist er auf das Ethos des „guten Bankers“, das bei vielen Führungskräften von Goldman Sachs Anfang des letzten Jahrzehnts noch existierte. Nicht umsonst lauteten die vom Gründer der Bank aufgestellten Grundsätze unter anderem, das Wichtigste bei Goldman Sachs seien die Kunden und der gute Ruf der Bank – in dieser Reihenfolge. Wenn diese Regeln eingehalten würden, käme der wirtschaftliche Erfolg fast von selbst. Der „Dienst am Kunden“ und der absolute Vorrang der Kundeninteressen waren eherne Grundsätze bei Goldman Sachs, und Greg Smith hatte sie verinnerlicht.

Dann erlebte er jedoch ab der Mitte des ersten Jahrzehnts, wie diese Grundsätze erodierten und wie der schnelle und hohe Gewinn für die Bank zum alleinigen  Maßstab wurde. Von oben herab wurde diese neue „Firmenmoral“ vorgelebt und weiter unten entweder bereitwillig aufgenommen oder mit Frustration beantwortet.

Als Goldman Sachs die Finanzkrise ohne existenzielle Gefährdung überstanden hatte – obwohl so mancher Mitarbeiter das Schlimmste befürchtet hatte -, führte Smith das auf die immer noch in den Grundzügen bestehende Firmenkultur zurück, musste jedoch bald anlässlich einer Klage gegen Goldman Sachs erfahren, dass dies durchaus nicht mehr der Fall war. Die Vertreter des. Eigeninteresses und des schnellen Gewinns hatten endgültig das Ruder übernommen, und Smith musste feststellen, dass große Kunden dies nicht nur bemerkten, sondern auch mehr oder weniger deutlich äußerten. Schlimmer noch: dIe Führungskräfte der Bank schien dies nicht zu stören, solange die Kunden (noch) Aufträge vergaben – aber nur, weil sie vom Knowhow der Bank abhängig waren.

Das Fass zum Überlaufen brachte Smiths Wechsel nach London, eigentlich eine Aufstiegschance, aber im Grunde genommen ein Spießrutenlauf, da Neider und Karrieristen jede Änderung ablehnten, die auf langfristige, stabile Geschäfte ausgerichtet waren und auf den schnellen Gewinn verzichteten. Entsetzt musste Smith feststellen, dass in London große Kunden, die man leicht über den Tisch ziehen konnte, abfällig „Muppets“ genannt wurden – wie die beiden senilen Herren in der gleichnamigen Comicshow. Diese Implosion der alten Firmenkultur führte schließlich dazu, dass Smith seine Bedenken in einem Artikel zusammenfasste, der im Mai 2011 in der „New York Times“ erschien. Am selben Tag kündigte Smith und zog sich zurück, um anschließend das vorliegende Buch zu schreiben.

Er beweist damit, dass auch ein Bericht aus dem täglichen Arbeitsleben spannend und faszinierend sein kann. Smith erzählt geradeheraus und verzichtet auf jeglichen literarischen Überbau. Und gerade dieser unverfälschte Stil „aus dem Bauch heraus“, aber ohne Jammern und Rundumschläge, verleiht dem Buch eine gewisse literarische Qualität. Smith kritisiert seine Kollegen und Vorgesetzten zwar, beschädigt oder beleidigt sie jedoch nicht. Sie bleiben Menschen mit ihren Stärken, leider aber auch mit starken Schwächen, die das Fundament der Bank gefährden. Davor warnt Smith, und er erinnert an die Verantwortung, die gerade Banker für die Gesellschaft und für die Spargroschen der „kleinen Leute“ haben.

Das Buch ist im Rowohlt-Verlag unter der ISBN 978-3-498-06056-5 erschienen, umfasst 366 Seiten und kostet 19,95 €.

Frank Raudszus

 

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