Mord auf offener Bühne

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Hermann Schein inszeniert am Staatstheater William Shakespeares Drama „Richard III.“

Am Abend des 7. Februar fand auf der Bühne des Kleinen Hauses im Staatstheater Darmstadt das Stück „Richard III.“ eines gewissen William Shakespeare einen gewaltsamen Tod, der nach ersten Erkenntnissen auf Auszehrung und Bewegungsmangel zurückzuführen ist. Die Hintergründe dieser Tat sind noch nicht endgültig geklärt, einige tiefer gehende Indizien liegen jedoch bereits vor.

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder)

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder)

In „Richard III.“ geht es um die Aufhebung sämtlicher in der menschlichen Gesellschaft vereinbarter moralischer und ethischer Normen um der reinen Macht und der Rache wegen subjektiv empfundener Ungerechtigkeit willen. Shakespeare stellt König Richard III. von England – historisch ein eher gemäßigter Herrscher – als missgestalteten Krüppel dar, der seine Behinderung durch Macht über Menschen zu kompensieren trachtet. Nacheinander lässt er seine mit ihm um den Thron konkurrierenden Verwandten umbringen, nachdem er sie noch umarmt und ihnen seine Hilfe versprochen hat. Als Höhepunkt lässt er auch die beiden noch kindlichen Thronfolger umbringen, die ihm irgendwann mal gefährlich werden könnten. Auch treue und loyale Weggefährten bringt er kaltblütig um, nur weil sie Bedenken äußern oder zu stark zu werden drohen. Kurz, Richard ist ein Ausbund an Bösartigkeit, Skrupellosigkeit und Verschlagenheit, ein Vorläufer Hitlers, Stalins oder Maos. Doch zuletzt ereilt ihn sein gerechtes Schicksal in der Entscheidungsschlacht, wo auch die berühmten Worte „Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“ fallen.

Ein Grund für das Dahinsiechen dieser Inszenierung liegt im Bühnenbild begraben. Eine Wand mit drei übereinander angeordneten Spielebenen verkürzt die Bühne über die gesamte Breite, Leitern führen auf die schmalen Simse, die keine größeren Bewegungen zulassen. Großflächige Fotos von Waldszenen – frischgrüner Frühling unten, rotbrauner Herbst in der Mitte und sattgrüner Sommer oben – bedecken die Wand. Die bucklige Struktur des Frühlingswaldes weckt spontane Assoziationen an den Wald von Verdun. Falls dies beabsichtigt gewesen sein sollte, ist der Bezug unklar, denn es geht in „Richard III.“ nicht in erster Linie um den Krieg sondern um eine monströse Psyche.  Auch die Jahreszeiten lassen sich nicht oder nur mit viel Phantasie als Symbol der Handlung interpretieren.

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder)

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder)

Die Schauspieler spielen abwechselnd auf der Bühne oder auf den verschiedenen Galerien und agieren aus den unterschiedlichen Ebenen miteinander. Das soll vielleicht die Unfähigkeit zeigen, miteinander zu kommunizieren; aber darum geht es in dem Stück nicht, das sich auf Richards Person und Psyche konzentriert. Die anderen Personen spielen zwar auf ihn zu – Angst, Hoffnung, Hass und Rache spielen dabei eine Rolle -, aber um Sprachlosigkeit geht es nicht in erster Linie. Doch die Verteilung auf die schmalen Simse in unterschiedlichen Höhen führt dazu, dass die Personen untereinander in körperlicher Distanz bleiben und sich die Texte mehr oder minder zurufen. Dadurch kann sich nur sehr selten ein Spannungsbogen aufbauen.

Die Symbolik des Bühnenbildes ist bisweilen etwas platt, etwa wenn Richard am Ende als König mit Krone auf dem obersten Sims residiert, während er vorher von unten gegen die höher angesiedelte Königin und später gegen den kranken König agiert und intrigiert. Die Agilität der handlungsführenden Personen wird hier einer starr durchgehaltenen Symbolik geopfert, denn das Bühnenbild ändert sich – von Beleuchtungseffekten abgesehen – in den fünf Akten nicht. Auch auf der eigentlichen Bühne agieren die Schauspieler seltsam unkörperlich. Zwar ist das Stück an sich bereits recht textlastig, aber man könnte durch mehr Bewegung der einzelnen Darsteller sicher mehr Situationsspannung erzielen. So stehen die Darsteller zu oft auf der Bühne und sprechen den Text der deutschen Übersetzung von Thomas Brasch, die zwar die Sprache an die heutige Umgangssprache angleicht, dabei aber das rhythmische Versmaß weitgehend bestehen lässt. Dieses beinhaltet besonders bei längeren Monologen für jeden Schauspieler die Gefahr, in eine Art Deklamation zu verfallen. Wenn dann keine körperlichen Aktivitäten oder bewusste Dynamikänderungen der Sprache den steten Fluss der Rede unterbrechen, kann leicht dieser deklamatorische Effekt eintreten.

Regisseur Hermann Schein bietet auch keine überzeugende Neu-Interpretation des Stoffes. Dass er die Schauspieler in heutiger Alltagskleidung spielen lässt, ist nachvollziehbar, weil die Machtgier ein zeitloses Phänomen ist. Warum Stefan Heyne (Bühne und Kostüme) allerdings fast allen (warum nicht allen?) Darstellern seltsame Schwärzungen auf eine Gesichtshälfte hat auftragen lassen, bleibt sein Geheimnis. Politische, dynastische oder historische Assoziationen stellen sich da auch nach einigem Nachdenken nicht ein. Ansonsten enthält die Inszenierung keinerlei weiteren Assoziationen an die heutige Zeit oder gar an aktuelle politische Beispiele brutaler Machtpolitik, von denen es weiß Gott genug gäbe. Die fehlende Aktualisierung ist zwar kein Schwachpunkt an sich, aber sie wäre eine von mehreren Möglichkeiten, dem Stoff einen neuen Aspekt abzugewinnen. Es ergeben sich sogar in dieser Inszenierung mit heutigen Kostümen unfreiwillig komische Momente, so wenn Richard im grauen Anzug stets mit einem mittelalterlichen Schwert herumfuchtelt. Das wiederum liegt am Text, der eben dieses Schwert immer wieder beschwört.

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder), Andreas Manz-Kozár (Buckingham|Mörder)

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder), Andreas Manz-Kozár (Buckingham|Mörder)

Man hat bei dieser Inszenierung auch das Gefühl, dass die Schauspieler nicht hundertprozentig hinter ihr stehen. Darsteller, die in anderen Rollen ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten durchaus bewiesen haben, wirken hier streckenweise matt und ziellos und scheinen sich buchstäblich am Text entlang zu hangeln.

Matthias Kleinert in der Hauptrolle des Richard bemüht sich zwar, der Rolle Gewicht und Kontur zu verleihen, bringt jedoch nur selten das Dämonisch-Unheimliche dieses Psychopathen zum Ausdruck. Kleinert ist ein Meister des Sarkasmus, der Selbstironie und der Selbstdistanz. Am besten spielt er Männer, die das Leben und seine Tücken durchschaut haben und mit einer Art abgeklärtem Galgenhumor auf sich und die Welt schauen. Seine besten Rollen haben immer ein selbstironisches oder auch melancholisches Bonmot parat. So legt er streckenweise auch den Richard an, wobei ihm Thomas Braschs teilweise etwas zu saloppe Übersetzung hilft. Richard wirkt dann wie ein Strippenzieher, der sich über seine eigenen Intrigen amüsiert und alles gar nicht so dramatisch findet. Fast könnte man über einige seiner Randbemerkungen und Repliken im Stück lachen oder zumindest schmunzeln, obwohl es dabei in Wirklichkeit – d. h. in der Shakespeareschen Fiktion – stets um Leben und Tod geht. Angesichts der geradezu spontanen Entscheidungen, einen Verwandten oder Freund zu verraten und zu töten, sind ironische Bonmots nicht glaubhaft. Man kann sich auch nicht vorstellen, dass ein solch skrupelloser Machtmensch bei seinen mörderischen Aktivitäten sein Restgewissen mit sarkastischen Witzchen würzt. Zum kaltblütigen Massenmord gehört eine gehörige Portion seelischer Überwindungsarbeit, wie selbst Aussagen von Tätern der schrecklichen deutschen Vergangenheit des letzten Jahrhunderts zeigen. Diesen Richard muss man als Paranoiker und Psychopathen zeigen, der seinen Blick auf sein eigentliches Ziel verengt und links und rechts davon alles Ethische und Moralische konsequent ausblendet.

Für Andreas Kozár-Manz gilt Ähnliches, wenn es auch bei seiner weniger zentralen Rolle nicht so stark ins Gewicht fällt. Auch er ist ein Spezialist des Sarkasmus und der Ironie, die bei ihm meist ziemlich trocken ausfallen und gerade dadurch ihre Wirkung entfalten. Doch sein Buckingham befindet sich wie alle Personen in Richards Umfeld in einer Ausnahmesituation. Sie erkennen bald, dass sie entweder mit Richard siegen oder von seiner Hand fallen werden. Ja, sie müssen angesichts der Skrupellosigkeit Richards sogar einkalkulieren, dass sie auch ohne Verschulden – einfach nur durch ihre Präsenz – für Richard zur Bedrohung werden. Das führt zu einer latenten Todesangst und Verkrampfung, wie man sie aus der Umgebung Stalins während der Säuberungswelle in den dreißiger Jahren kennt. Manz bringt zwar recht gut die geradezu zwanghafte Loyalität Buckinghams zum Ausdruck, aber das Grauen vor diesem Richard spürt man, wenn überhaupt, erst sehr spät.

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder), Harald Schneider (Stanley|Bürgermeister), Andreas Manz-Kozár (Buckingham|Mörder)

Matthias Kleinert (Gloster, später Richard III.|Mörder), Harald Schneider (Stanley|Bürgermeister), Andreas Manz-Kozár (Buckingham|Mörder)

Da haben es andere Darsteller etwas einfacher, weil sie weniger komplexe Figuren darstellen. Stefan Schuster tritt gleich in drei Rollen als Clarence, Edward IV und Richmond auf, kann sich dabei aber jeweils auf ein zweifelsfreies Rollenprofil verlassen, das entweder ein Mordopfer oder einen positiven Helden beschreibt. Aart Veder spielt einen aufrechten Hastings, der seine rechtlichen und moralischen Bedenken furchtlos äußerst und darüber den Kopf verliert; Harald Schneider den angstbesetzten Bürgermeister Stanley, der seinen eigenen Sohn als Geisel bei Richard lassen muss und sich verzweifelt Richards Feinden anvertraut. Tobias Gondolf, Hagen Bähr und Gerd K. Wölfle spielen andere Rollen mit klarem Opfer- oder Täterprofil, denen keine Zweifel, persönliche Ängste oder Machtgelüste unterlegt sind.

Die Frauen spielen natürlich in dieser Inszenierung eine zentrale Rolle. Christina Kühnreich verleiht der Königin Elisabeth – Richards Schwägerin – eine bewundernswerte Kontur. Sie modelliert auch die Sprache auf eine nie deklamatorische Weise, und man nimmt ihr das Entsetzen, die Trauer und den Hass auf das Ungeheuer Richard jederzeit ab. Sie trägt streckenweise die Inszenierung und verleiht ihr Spannung, kann aber gegen die statischen Auswirkungen des Bühnenbildes auch wenig ausrichten.  Und wenn sie die Gelegenheit zur Nutzung des Bühnenraumes erhält, nutzt sie diese auch energisch. Sie ist auf jeden Fall ein Lichtblick dieser Inszenierung. Dagegen verfällt Anette Krämer als König Heinrichs Witwe Margaret zu oft ins deklamatorische Fach und ruft ihre Flüche gegen Richard in gleichmäßigem Versmaß und in Rampenpose in den Bühnenraum. Liljana Elges als Herzogin von York, ebenfalls leidgeprüftes Opfer Richards, kommt mit der Shakespeares Sprache etwas besser zurecht und setzt ebenfalls einige dramatische Akzente. Sie hat wie alle Frauenrollen in diesem Stück allerdings den Vorteil, dass sie stets die Mutter oder Frau eines ermordeten Thronanwärters spielt. Starke Emotionen wie persönliche Trauer, Hass oder Entsetzen lassen sich leichter spielen als taktische oder strategische Überlegungen. Das gilt auch für Ronja Losert, deren Lady Anna nicht nur in ihrer Schutzlosigkeit anrührt, sondern auch in ihrer Verzweiflung und ihren Selbstvorwürfen wegen ihres Nachgebens gegenüber Richard.

Wenn am Ende dann Richmond alias Stefan Schuster über Richards pferdeloser Leiche die abschließenden Worte ins Publikum spricht, sind das auch Abschiedsworte auf eine Inszenierung, die über zweieinhalb Stunden langsam in den Bühnentod abgeglitten ist. Gründe gibt es einige, von Schuldigen zu sprechen wäre angesichts der Thematik dieses Stücks beckmesserisch.

Das Premierenpublikum spendete eher zurückhaltenden Beifall. Man hatte sich wohl mehr versprochen.

Frank Raudszus

 

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