Johann Kresnik inszeniert in Darmstadt seine Choreographie „Sylvia Plath“

Print Friendly, PDF & Email

Eszter Kozár (Sylvia Plath), Ensemble
Tänzerische Annäherung an ein Kultobjekt

Johann Kresnik inszeniert in Darmstadt seine Choreographie „Sylvia Plath“
Der österreichische Choreograph Johann Kresnik stellt von Zeit zu Zeit ausgewählte Frauenfiguren der Zeitgeschichte in den Mittelpunkt seiner Choreographien, darunter Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und – welch Bandbreite! – Hannelore Kohl. In Heidelberg hat er bereits 1985 seine Choreographie „Sylvia Plath“ über die gleichnamige amerikanische Dichterin inszeniert, die sich im Jahr 1963 im Alter von dreißig Jahren das Leben nahm.

Lee Bamford , Eszter Kozár (Sylvia Plath)Um die Choreographie einordnen und – über die rein technische Leistung hinaus – bewerten zu können, ist ein kurzer biographischer Abriss ihres Gegenstands erforderlich, zumal sich der Nebel des Geheimnisses um Sylvia Plath in den letzten Jahren etwas gelichtet hat. Sylvia Plath galt als großes lyrisches Talent, und sowohl ihre Gedichte als auch die eher knappe Prosa tragen unverhüllte autobiographische Züge, die sich in äußerst kritischer Form mit ihrer familiären Umwelt beschäftigen. Das hat viele Sekundärliteraten und Kritiker dazu verleitet, sie als Opfer ihrer Familie und vor allem ihres Ehemanns Ted Hughes – ebenfall Schriftsteller – zu sehen. Damit bot sie sich in den späten sechziger jahren als ideales Identifikationsobjekt und Märtyrerin der aufkeimenden feministischen Bewegung an. Fast zwangsläufig entwickelte sich Sylvia Plath posthum zum Kultobjekt des Feminsimus und der dazugehörigen intellektuellen Subkultur(en). Erst neuere Erkenntnisse aufgrund lange zurückgehaltener Tagebuchnotizen und späterer Aussagen ihrer Verwandschaft haben das Bild dieser Frau geklärt und ein Stück weit aus dem Kultstatus hin zu einer realitätsnahen, durchaus kritischen Sicht gerückt.

Kresnik geht in seiner 1985 entstandenen Choreographie noch von dem Bild Sylvia Plaths als „Opfer“ ihrer Umwelt aus, beutet jedoch, im Gegensatz zu der späteren Produktion „Ulrike Meinhof“, die damalige Sicht nicht zu einem gesellschaftspolitischen Rundumschlag aus. Er versucht, den Menschen Sylvia Plath aus der vermuteten Eigensicht zu beschreiben. In dreiundzwanzig ineinander übergehenden Szenen schildert er ihren Alltag zwischen Schreibmaschine, Küche, Kindern, Ehe und restlicher Familie. Offensichtlich war Sylvia Plath mit dieser Mehrfachrolle überfordert. Angesichts ihres unbestrittenen schriftstellerischen Talents und ihres unbändigen Ehrgeizes folgt diese Überforderung zwangsläufig aus der Konstellation der kollidierenden Rollen von Ehefrau, Mutter und Schriftstellerin. Wie sich aus später freigegebennen Tagebuchaufzeichnungen ergibt, lebte Sylvia Plath nach dem Prinzip „alles oder nichts“ und verlangte von ihrer Umwelt kein abgewogenes Lob sondern bedingungslose Anerkennung. Fehlte diese auch nur ansatzweise, reagierte sie nach Aussagen ihr Nahestehender aggressiv. Dazu passen auch ihre Gedichte, die zum Beispiel mit dem Vater abrechnen, als sei er SS-Scherge im Dritten Reich gewesen, obwohl er als Deutscher lange vor Hitlers Machtrergreifung in die USA ausgewandert war und dort eine respektable Stellung als Professor für Biologie bekleidete. Ihre Familie förderte und unterstützte sie nach Kräften und öffnete ihr alle Türen, andere Gönner und Freunde sorgten für großzügige Stipendien. Dass Sylvia Plath darauf in ihren Gedichten nur mit aggressiver Ablehnung reagierte, lässt sich wohl mit einer krankhaften Egozentrik erklären, die sie nicht ohne Gründe mehrfach in eine Nervenheilanstalt führte.

Eszter Kozár (Sylvia Plath), EnsembleKresnik räumt natürlich dem traumatischen Erlebnis der psychiatrischen Behandlung viel Raum ein, zumal die damaligen Methoden – unter anderem Elektroschocks – nicht gerade zimperlich und von fragwürdiger Wirkung waren. So lässt er zu einer Szene im Hintergrund einen Tänzer mit Schutzmaske an einem Metallkopf schweißen, dass buchstäblich die Funken fliegen. Immer wieder thematisiert er auch das Gefühl des Bedrängtseins, so wenn die anderen Tänzer – die Umwelt darstellend – sie mit langen Stangen einkesseln und -klemmen, sodass sie sich nicht mehr bewegen kann. Oder sie versteckt sich unter dem Tisch, unter dem Bett oder in anderen engen Ecken und verschafft sich damit selbst das Gefühl der Einengung, dem sie eigentlich entrinnen will.

Immer wieder bedrängen sie auch die Erinnerungen an ihre Jugend und an ihren Vater, den sie als Achtjährige nach einer Beinamputation verlor. Dabei erscheint ihr „alter ego“ in Gestalt einer anderen Tänzerin. Eszter Kozár tanzt die Rolle der Sylvia Plath, Andressa Miyazato die ihres Doubles in den Rückblenden. Dabei überlappen sich die beiden Bilder immer wieder, wie es auch in den Erinnerungen an die eigene Vergangenheit zwangsläufig geschieht. Kresnik veranschaulicht diese Überlappung durch eine enge Verzahnung der beiden Körper in verschiedenen Positionen und Figuren, soweit man hier noch von tänzerischen „Figuren“ reden kann.

Neben all dem Düsteren blitzen auch humorvolle Momente auf, allerdings immer mit dem Beigeschmack des übertrieben Grotesken. So soll Sylvia zum erfolgreichen Collegegirl buchstäblich dressiert werden. Mit erotischem Kleid und Marylin-Monroe-Mähne führt sie sich selbst – hier als „graue Maus“ – an einer Longe durch die Manege, und die Gemeinde der aufgetakelten anderen Studenten tanzt und jubelt dazu. Die anderen Frauen werden noch dadurch grotesk verzerrt, dass sie von Männern in Frauenkleidern dargestellt werden.

Neben den Aufenthalten in den psychiatrischen Anstalten und ihren unerträglichen Quälereien – zumindest aus der Sicht der Patientin – und dem täglichen Kampf zwischen Herd, Kindern und Schreibmaschine stellen auch die Treffen mit dem Rest ihrer Familie quälende Momente für Sylvia Plath dar. Aus ihrer Sicht sind dies alles nur Marionetten, Hohlköpfe wie der Sonnenbrille tragende Vorstadt-Dandy, die Mutter mit biederem Hut, die Handtasche an die Brust geklemmt, der einbeinige Vater, der für sie im wahrsten Sinne des Wortes eine schwere Bürde darstellt, die sie ein gefühltes Leben lang auf sich lasten fühlt.

Der Selbstmord einer guten Freundin, dessen Grund nicht weiter erläutert wird, stellt für sie in weiteres erschütterndes Ereignis dar, und die Freundin hängt wie ein Menetekel mit abgewinkeltem Kopf in den Seidenbändern, die ihr das Leben geraubt haben. Dieser – vielleicht nur imaginierter – Anblick steht Sylvia wie ein Albtraum vor den Augen.

Ihr Verhältnis zu Männern ist mehr als ambivalent. Offensichtlich kommt sie als hochintelligente, sensible Frau mit den erotischen Trieben der Männer nicht zurecht. Die Trennung von ihrem Mann bleibt in der vorliegenden Choreographie ohne handfesten Grund. Die Tatsache, dass eine zweite Frau ins Spiel kommt, lässt sich auch anhand von Kresniks Choreographie eher auf die zerrüttete Psyche Sylvia Plaths als auf hemmungslose Untreue des Ehemanns zurückführen. In einer anderen Vision mit dem Titel „Männer“ saugt eine Gruppe Männer ihr buchstäblich das Blut aus den Adern – dargestellt durch ein rotes Stoffband, das von Männermund zu Männermund geht.

Die Musik zu dieser Choreographie stammt von dem Münchner Komponisten Walter Haupt und intoniert die wechselnden Stimmungen von Sylvia Platth auf geradezu beklemmende Weise. Schrille Dissonanzen aus halben Sekunden, ostinate Klänge hoher Frequenz und hektische Rhythmen beherrschen die Choreographie, unterbrochen von plötzlichen Eruptionen, die einschneidende Erlebnisse musikalisch kommentieren. Die Zuschauer werden durch diese Musik genauso in die zunehmend von Krankheitsbildern geprägte Welt der Sylvia Plath hineingesogen wie von dem Bühnenbild, das sich als sich verengender Tunnel in den Bühnenhintergrund hineinzieht. Lange, in Längsrichtung gespannte Tücher verstärken diesen saugenden Tunneleffekt noch.

Die Tänzer stellen die Emotionen Sylvia Plaths in hoch konzentrierten Figuren und Körperkonstellationen dar, die man weniger mit dem klassischen Ausdruck „Tanz“ belegen möchte. Körpersprache und – ausdruck stehen im Mittelpunkt und bringen die Panik und die zunehmende Lebensentfremdung der Protagonistin überzeugend zum Ausrcuk. Das Stück ist von hoher Dichte und Ausdruckskraft und spiegelt die Phasen einer psychischen Erkrankung und ihre Wechselwirkung mit der Umwelt auf beklemmend treffsichere Weise wider.

Am Ende bleibt ein ambivalenter Eindruck von der Person Sylvia Plath. Statt einer Schuldzuweisung an bestimmte Personen oder Personengruppen verstärkt sich das Bild einer fortschreitenden Krankheit, deren Leiden sich nur noch durch den Tod beenden lässt.

Frank Raudszus

Alle Fotos © Barbara Aumüller

 

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar