David Fray spielt beim Rheingau-Musik-Festival Klaviersonaten von Mozart und Beethoven

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Der Pianist David Fray
Bergsteigen durch die Wiener Klassik

David Fray spielt beim Rheingau-Musik-Festival Klaviersonaten von Mozart und Beethoven
Der junge französiche Pianist David Fray, Jahrgang 1981, stellte sein Programm am 26. Juni auf Schloss Johannisberg im letzten Augenblick um. Das Publikum nahm die Ankündigung, dass die beiden Klavierstücke von Franz Schubert zu Beginn entfielen, mit Bedauern entgegen, war dann aber zufrieden zu hören, dass Fray stattdessen eine frühe Klaviersonate von Mozart spielen würde. Nachträglich ergab diese Umstellung durchaus Sinn, denn das Programm erhielt so eine symmetrische und in sich konsistente Struktur.

Mozarts Klaviersonate KV 311 entstand auf der Reise nach Paris 1777-78 und gehört als neunte von insgesamt achtzehn Klaviersonaten eher noch zum Frühwerk und den konventionellen Klaviersonaten Mozarts. Daher eignet sie sich daher ideal als Auftakt.
David Fray interpretierte diese Sonate ausgesprochen zurückhaltend, fast spröde. Er versagte sich jegliche Überinterpretation und spielte diese Musik genau so, wie sie vielleicht einmal gemeint war: als Stück für adlige Damen, die gerne ohne größere Schwierigkeiten schön Klavier spielen wollten. Mit leichtem Anschlag, fast beiläufig, aber mit markanter Betonung an den wichtigen Stellen verlieh er diesem Musikstück die Leichtigkeit des Rokokko. 

Diese Leichtigkeit wich dann mit Beethovens Sonate Nr. 15 in D-Dur, der „Pastorale“, einer tieferen Bedeutung und einem ganz anderen musikalischen Anspruch. Man spürte plötzlich, dass hier ein Musiker nicht mehr für ein zahlendes Publikum sondern allein für sich und die Musik komponierte. Die Themen und ihre Verarbeitung weisen ganz andere Spannungselemente auf als Mozarts Sonate KV 311. Ausdrucksstarke Ritardandi, rhythmische Asymmetrien und harmonische Kontraste prägen diese Sonate, die wiederum aus Beethovens mittlerer Schaffensperiode stammt. Das Andante trug Fray mit ausgeprägtem Gestaltungswillen vor und arbeitete dabei die einzelnen Themen bewusst heraus. Das anschließende Scherzo kam mit leichter Hand aber ausgesprochen akzentuiert daher, wobei die linke Hand zeitweise die Akzente setzte. Das Finale schließlich entwickelte sich zu einem furiosen Tanz über die Tasten, und David Fray betonte dabei die Kontraste, die sich aus dem Notenmaterial ergeben. Zwischen Mozarts KV 311 und dieser Beethoven-Sonate liegen gerade einmal 25 Jahre aber Welten des Musikverständnisses. Die unterschiedliche Gestaltung dieser beiden Klavierwerke war daher nur logisch und dokumentierte die Entwicklung des (musikalischen) Kunstverständnisses in dieser Epoche.

Eine ähnliche Konstellation ergab sich auch im zweiten Teil nach der Pause. Wieder stand ein Werk Mozarts am Anfang, dieses Mal die Fantasie c-Moll, KV 475. Schon die hohe KV-Zahl verweist auf ein Werk aus den späteren Wiener Jahren nach 1784, und die Fantasie zeichnet sich auch durch eine ungewöhnliche Struktur aus. Frei von den Formzwängen der Sonate konnte Mozart hier seine musikalische Ideen umsetzen. Das einleitende Adagio beginnt mit einer langsamen, bedeutungsschweren Folge von Oktavgriffen, die das auf- und absteigende Thema präsentieren. In den darauf folgenden 180 Takten wechseln sich die Tempi und die Themen ab, und am Schluss erscheint wieder das Anfangsthema. Dazwischen jedoch verzichtet Mozart auf eine klar gegliederte (Sonaten-)Struktur und baut stattdessen einen eigenen, immer wieder überraschenden Spannungsbogen auf, der weit über die leichte Unterhaltung früherer Klaviersonaten hinausweist. Die Tonart verleiht dem Stück dabei eine durchgängige Schwermut, die fast schon auf Schubert hinausläuft. David Fray arbeitete die Kontraste und Spannungselemente mit einem breiten Anschlagsspektrum und kontrollierter Variation der Tempi überzeugend heraus und verdeutlichte damit die besondere Stellung dieses Klavierwerks, das leider oft eher sentimental gedeutet wird. Auch die bedenklichen Geräusche und Bewegungen des Kronleuchters zu Beginn der Fantasie konnten ihn in seiner Konzentration nicht stören. Erst beim Verlassen des Podiums warf er einen kritischen Blick nach oben. Esoteriker oder Freunde des Musicals „Phantom of the Opera“ hätten hier vielleicht Mozarts Geist wirken gesehen.

Den Höhepunkt und Schluss des Programms bildete dann Beethovens Sonate Nr. 21 in C-Dur, die sogenannte „Waldstein“-Sonate. Schon der schnell hämmernde Rhythmus in den ersten Takten – Allegro con brio – weist auf die hohe Dynamik dieses Werkes hin. Dieses hämmernde Grundthema prägt den ganzen ersten Satz und erscheint immer wieder nach längeren Durchführungen des Motivs in Sechzehnteln und Triolen, mit denen Beethoven die harmonischen Strukturen chromatisch durch die Tonarten wandern lässt. Der zweite und finale Satz beginnt mit einer kurzen, konzentrierten Intruduzione im Tempo „Adagio molto“, die man auch als extrem kurzen Mittelsatz auffassen kann, und einem ausgedehnten Rondo, das in ein „Prestissimo“ mündet. David Fray zeigte hier noch einmal seine hohe musikalische Begabung, indem er die „Introduzione“ geradezu aus dem Jenseits zu zaubern schien. Einzeln und schwer tropften die Töne in den Raum und schufen eine fast endzeitliche Atmosphäre, aus der erst das zu Beginn leichte Rondo wieder hinausführte. Dieses entwickelt sich über längere Strecken in auf- und absteigenden Linien der rechten Hand zu leichten Läufen der linken, bis dann schließlich das abschließende Prestissimo einsetzt. Dabei konnte David Fray seine hohe Virtuosität beweisen, die jedoch nie auf Kosten der musikalischen Gestaltung ging. Bis zum Schluss verlieh er Beethovens Werk eine deutliche Struktur, die sich in genau gesetzten Betonungen, Crescendi und Tempoänderungen ausdrückte. Man hatte stets den EIndruck, dass der Pianist die musikalische Materie beherrscht und sich von ihr nie treiben lässt.

Der Beifall des Publikums fiel entsprechend begeistert aus und folgte noch zu einer intensiven Zugabe in Gestalt eines Musikstücks von Johann Sebastian Bach.

Ein Wort noch zum Publikum: dass die Zuhörer nach dem ersten Satz der „Waldstein“-Sonate klatschten – David Fray bat per Handbewegung umd Mäßigung – , kann man noch der Länge und Dynamik dieses Satzes zuschreiben. Dass allerdings mitten in einer langsamen Passage ein aufdringlicher musikalischer Handyton ertönte (nicht die „Waldstein“-Sonate), ist schon nicht mehr entschuldbar, zumal der Handybesitzer erst das Gerät herauskramen musste. Darüber hinaus drehte sich David Fray während seines Spiels zwei Mal zu den Besuchern der ersten Reihen – die Sponsoren – um, und der Gesichtsausdruck ließ sich als gezähmter Unwille interpretieren. Was sich dort abspielte, war nicht erkennbar, aber störte den Pianisten offensichtlich, denn von da an spielte er mit abgewandtem Gesicht und sah beim Auswendigspielen die Stirnwand des Metternich-Saales an. Ob der distanzierte Blick bei den Beifallskundgebungen darauf zurückzuführen war, lässt sich nicht beweisen aber annehmen. „He was not amused“.

Frank Raudszus     

 

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