Das Hamburger Schmidt-Theater präsentiert in Mühlheim an Main die „Schlagersause“ aus den 50er und 60er Jahren

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Das Ensemble
Herz und Schmerz im Pettycoat   

Das Hamburger Schmidt-Theater präsentiert in Mühlheim an Main die „Schlagersause“ aus den 50er und 60er Jahren
Nachdem das Schmidt-Theater aus St. Pauli im März in ihrer Main-Dependance Mühlheim die siebziger Jahre thematisiert hatte, ging die Zeitreise jetzt weiter zurück in die fünfziger und sechziger Jahre. Unter dem Motto „Schlagersause“ präsentierte das „Main-Schmidt“ (zumindest für ältere Mitbürger) unvergessliche Schlager der frühen Nachkriegszeit.

Drei Grazen aus den FünfzigernSchon beim Betreten des Foyers der Willy-Brandt-Halle in Mühlheim grüßen die fünfziger Jahre: Tapeten mit großen Mustern in den Farben Gelb und Braun vermitteln die heimelig-spießige Atmosphäre dieser Dekade, eichene Zeitschriftenständer (kennt jemand so etwas heute noch?) sowie genoppte Sessel und Sofas runden den Eindruck ab. Der Sekt und die Häppchen zur Premiere allerdings stammten nicht aus dieser Zeit…
Den nächsten nostalgischen Schub liefert die Bühne, die mit einer „wunderschönen“ Dekoration im Stil der Nierentischzeit  aufwartet. Wer diese Zeit noch selbst erlebt hat, fühlt Erinnerungen an die eigene Jugend hochkommen. Den jungen Besuchern dürfte dieses Ambiente zwar eher skurril vorkommen, doch die Älteren jubeln innerlich.

Die Instrumentalbegleitung liefert die „Main-Schmidt-Combo“ unter Rainer Schnelle am Klavier. Dazu singen, tanzen und schauspielern Tamara Bauer, Sandra Bleicher und Josefine Nickel sowie Heiko Fischer, Norbert Kohler und Manuel Lopez unter der künstlerischen Leitung der alten Kämpen Corny Littmann (Regie) und Mirko Bott (Buch/Bühne).

Das Ganze ist als Folge von Episoden konzipiert, die weniger eine konsistente Geschichte erzählen als vielmehr die Zeitläufte und die wesentlichen Ereignisse dieser zwanzig Jahre an Hand der damaligen Schlager illustrieren. Es beginnt mit dem Schlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ aus dem Jahr 1949. Den Titel kann nur verstehen wer weiß, dass Deutschland im Jahr 1949 noch in drei Besatzungszone  aufgeteilt war – „tri zone(sie)n“. Schon hier bricht sich ein urwüchsiger und in der Rückschau ob der allgemeinen Amnesie Kopfschütteln erzeugender Optimismus Bahn. Weiter geht es mit den Fremdenlegionsongs aus der heißen Wüste. Der Krieg der Franzosen gegen ihre rebellischen Kolonien – vor allem in Algerien – weckte bei den jungen deutschen Männern so etwas wie Abenteuerlust und militantes Fernweh. Väter, die ihnen diese Gedanken austrieben, gab es nicht mehr viele….

Neben den üblichen Liebesschnulzen – „weiße Hochzeitskutsche“, „Verliebt, verlobt, verheiratet“ – gab es damals die ersten feuchtfröhlichen Lieder, so „Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein“ oder die Anrufung von „Egon“ durch seine weinselige Geliebte. Mit dem Wirtschaftswunder kam auch die Italienliebe, die sich in „Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein“ oder den „Caprifischern“ niederschlug.
Dann kam 1954: dazu versammeln sich die Darsteller als Familie um ein altes Röhrenradio und hören gebannt der Schilderung des Berner Endspiels zwischen Deutschland und Ungarn (3:2) zu. Danach erklingt – natürlich! – der Schlager „Der Theodor, der Theodor, der steht bei uns im Fußballtor“.

Auch die Seemannsromantik – ferne Länder, tosende See, viele Mädchen – darf nicht fehlen und findet ihren Niederschlag in Schlagern wie „Seemann“, „Ein Schiff wird kommen“ oder „Sie hieß Mary Ann“. Neue Moden der Fünfziger wie Hula-Hoop-Reifen oder der Bikini werden noch einmal lebendig in „Hula Baby“, „Itsy Bitsy Teenie Weenie…“ oder „Sugar Baby“. Nach „Junge Leute brauchen Liebe “ und dem Edelschmelz „Wir wollen niemals auseinandergehen“ verabschiedet das Ensemble die fünfziger Jahre mit „Tschau, tschau Bambina“ in die Pause.

Der zweite Teil ist den Sechzigern gewidmet und beginnt gleich mit dem flotten und durchaus nicht platt getexteten „Souvenirs, Souvenirs“, gefolgt von dem Karnevals-Schlager „Und dann ihau ch mit dem Hämmerchen mein Sparschwein“ zum Mitgröhlen. Der Twist der frühen Sechziger hinterlässt seine Spuren ebenso wie die sentimentalen „Tulpen aus Amsterdam“ oder der Traum von Paris zu einer Zeit, als „Pigalle“ mangels praktischer Erfahrungen noch die (Männer-)Phantasie weckte. Dann darf natürlich „Winnetou“ nicht fehlen, und zu dessen Erkennungsmelodie treten (fast) echte Doubles von Pierre Brice (Winnetou) Lex Barker (Old Shatterhand) mit der weit ausholenden Armbewegung und stoisch-tragischem Gesichtsausdruck auf. Von da aus ist es ein kurzer Weg zu „Ich will nen Cowboy als Mann“ von Gitte und dem eher bodenständigen „Da sprach der alte Häuptling der Indianer“.
Eine wichtige Schlagerinstanz der Sechziger war Dieter Thomas Heck mit der „Hitparade“. Diese parodiert das Ensemble mit verschiedenen Schlagern der Zeit – „Rote Lippen..“, „Zwei Apfelsinen im Haar“, 17 Jahr, blondes Haar“ unn andere, bevor ein „Schnelldurchlauf“ der Hitparade-Kandidaten zum Schlagabtausch der Interpreten wird. „Auch der schönste Tag geht einmal zu Ende“ verweist dann auf den nahenden Schluss, und „Immer wieder geht die Sonne auf“ tröstet die Zuschauer darüber hinweg. Na ja: „Wunder gibt es immer wieder“….

Neben den vielen Schlagern dieser Epoche gibt es auch eine Reihe von Sketchen – so etwa das „Heitere Berufe-Raten“ von Robert Lembke -, typische Werbeeinblendungen zu Waschmitteln und Hygieneartikel sowie Parodien von Fernsehsendungen, die aus einem Papp-Fernseher kommen. Es gibt viel zu schmunzeln und zu lachen in diesen knapp zweieinhalb Stunden, und ältere Semester fühlen sich noch einmal in die betuliche Enge der fünfziger – allein die Frisuren und Kleider! – oder den anfangs noch zaghaften Aufbruch der sechziger Jahre versetzt. Für die (uns) Älteren ist es ein Nostalgieschub, den jungen Leuten vermittelt diese Show einen so unterhaltsamen wie humorvollen Einbllick in eine lange versunkene Zeit ohne Handy, Laptop und Internet.

Das Publikum zeigte sich so begeistert, dass noch drei Zugaben folgten, unter anderem das unvergessliche „Marmor, Stein und Eisen bricht“.

Nähere Informationen unter „Main-Schmidt“.

Frank Raudszus     

 

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