Stefan Gärtner: „Putins Weiber“

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Roman über die (erotische) Orientierungslosigkeit einer Generation.

Wer glaubt, in diesem Roman gehe es um die „brutalstmögliche“ Aufklärung des erotischen Geheimlebens eines so mächtigen wie umstrittenen Politikers, sieht sich bereits nach wenigen Seiten enttäuscht. „Putin“ ist der Spitzname des durch und durch deutschen Protagonisten Waldemar, der dank eines Druckfehlers in einer Tageszeitung bei dem Vornamen des besagten Politikers plötzlich dessen Nachnamen als Spitznamen erhielt.

1508_putinPutin ist Mitte dreißig und nach einem geisteswissenschaftlichen Studium freischaffender Schriftsteller und Kolumnist in einer nachrangigen Fernsehzeitschrift, der sich für die mindere Bedeutung seines feuilletonistischen Schaffens durch besonders bösartige Kolumnen rächt. Da er sich mit seinen Tätigkeiten nur notdürftig über Wasser halten kann, lebt er in sehr überschaubaren finanziellen Verhältnissen und  ernährt sich mehr oder minder von Bier, wobei ihn sein Freund Georg, ebenfalls Geisteswissenschaftler, tatkräftig unterstützt.

Gleich zu Beginn trennt sich Putins Freundin Vera von ihm, nachdem sie ihn eher zufällig betrogen hat, und zieht zu einer Freundin. Putin stellt auf einmal fest, dass er Zeit seines Erwachsenenlebens allen wichtigen Entscheidungen, vor allem den erotischen, aus dem Wege gegangen ist. Er hat die Dinge stets auf sich zukommen lassen und im entscheidenden Augenblick sogar gekniffen. In der Rückschau auf seine erotische „Strecke“ zusammen mit Georg stellen beide fest, dass Putins mehr Chancen hatte, als er je geahnt hatte, sie nur nie genutzt hat.

So beschließt Putin, vermeintlich unfreiwillig Strohwitwer auf Zeit, in Wirklichkeit aber wohl auf Dauer, alte weibliche Kontakte wieder aufzufrischen. Dabei sind ihm Georg und das Internet behilflich. Zuerst sucht er den Kontakt zu einer Psychotherapeutin, die einst mit ihm studiert hat, jedoch einige Zeit benötigt, ehe sie ihn anhand seiner kryptischen Geschichten erkennt, da er sich als Patient ausgibt.

Noch während die Geschichte mit Mareike zaghaft anläuft, auf beiden Seiten mit viel Vorsicht und in der Angst vor Bloßstellung, fährt er in seinem alten Mercedes in die Eifel zu Marie, die einst in ihn verliebt war, vor der er aber buchstäblich geflohen ist, als es ernst wurde. Auf dem Wege dorthin nimmt er eine junge Anhalterin mit, die in demselben Ort wie Marie lebt und die weder mit Hässlichkeit geschlagen noch auf den Mund gefallen ist.

Man kann sich bereits hier vorstellen, zu welchen Problemen das führt, denn einerseits erinnert sich Marie noch gerne an den schüchternen jungen Mann und verfällt in nostalgische Gedanken, andererseits sehen auch die anderen Damen in ihm einen möglichen Kandidaten. Gerade seine zurückhaltende und gar nicht so machohafte Art zieht die Damen an, seine Wankelmütigkeit, sein Alkoholkonsum und sein Freund Georg erweisen sich jedoch, in letzterem Falle unabsichtlich, immer wieder als desaströse Randbedingungen für sein erotisches Leben.

Stefan Gärtner beschreibt einen ziel- und planlosen, nicht mehr ganz so jungen Mann, der immer dachte, die Liebe müssen eines Tages wie ein Wunder über ihn kommen und auf eine blühende Wiese führen. Das man selbst auch etwas dazu tun muss, hat er stets erfolgreich verdrängt und ist damit biertrinkender Single geblieben. Gärtner verwendet dabei eine streckenweise etwas unübersichtliche Zeitschichtung, wobei er zwischen der Gegenwart und verschiedenen Vergangenheitsebenen hin- und herspringt. Um die Orientierung zu erleichtern, verlegt er die Gegenwart in die Ich-Form, die verschiedenen Rückblenden dagegen in die dritte Person. Dennoch muss der Leser bisweilen raten, wo er sich zeitlich befindet, da die zeitlichen Verschiebungen nicht notwendigerweise auch räumliche Veränderungen implizieren.

Gärtner siedelt seinen Protagonisten zwar – eine weitere Ironisierung! – ausgerechnet in Bielefeld an, lässt ihn aber bei seiner Jagd nach alten Jugendlieben durch ganz Deutschland bis nach Berlin und sogar bis nach Finnland reisen. Am Ende ist der „Tor jedoch so schlau als wie zuvor“. Gärtner verzichtet auf jegliches „Happy End“ und verweigert auch den typischen Entwicklungsroman, der am Ende zu einer höheren Bewusstseinsstufe führt. Stattdessen führt er vor allem die männlichen Protagonisten mit geradezu sarkastischer Ironie vor, indem er ihre typisch männlichen Schwächen in parodistischer Manier konsequent „ad absurdum“ führt, ohne jedoch die Figuren damit zu denunzieren. Man nimmt dem Autor ab, dass er genau diese männliche Befindlichkeit (aus eigener Erfahrung?) bis ins Detail kennt und die menschliche Schwäche darin achtet. Er entlarvt zwar die männliche Schwäche, zählt sie aber zu dem menschlichen Eigenarten. Eine gehörige Portion lakonischen Humors zeichnet diese zeitweise Karikaturen ähnelnden Charaktere etwas weicher.

Dagegen sind die Frauen bei Gärtner durchweg positiv gezeichnet. Sie sind Opfer der männlichen Attitüden, haben sich jedoch in gewisser Weise damit abgefunden und versuchen, das Beste aus der Situation (und den Typen) zu machen, auch wenn ihnen dies nicht immer gelingt.

Gärtner bricht seine Geschichten nicht nur ironisch sondern auch erzählerisch. So beschreibt er die Vorbereitungen eines Rendezvous aus der Perspektive beider Seiten, bricht aber vor dem eigentlichen Zusammentreffen ab. Dieses und sein peinliches oder dramatisches Ende erfährt der Leser erst in einer Rückblende des von seinen persönlichen Katastrophen gebeutelten Helden. Damit vermeidet er den naiv-platten Eindruck einer Kette von grotesk-missglückten Abenteuern und adelt diese Erlebnisse sozusagen durch die nachträgliche Reflektion im Kopf des Protagonisten. Die Rückblende ist damit gleichzeitig eine Katharsis.

Stefan Gärtner hat mit diesem Buch nicht nur eine sarkastisch-ironische, mit deftigem Humor gewürzte Bestandsaufnahme einer Generation oder zumindest eines Ausschnitts von ihr vorgelegt, sondern dringt darüber hinaus auch tiefer in psychologische Grundsituationen vor, die nicht zuletzt mit der Verunsicherung der Männer angesichts erstarkender Frauen zu tun hat. Dabei gelingt es ihm, dies ohne akademisch-soziologischen Zeigefinger, sozusagen nur mit dem Hilfsmittel des Humors und der Ironie in die schriftstellerische Tat umzusetzen. Auch wenn einige seiner Pointen an Kalauer grenzen und das Schenkelklopfen provozieren, überwiegt am Ende doch deutlich eine gewisse Betroffenheit gegenüber einer selbstgerechten Schadenfreude.

Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, umfasst 284 Seiten und kostet 15,95 Euro.

Frank Raudszus

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