Franz Schubert: Die Winterreise

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Hans-Christoph Begemann interpretiert den „schaurigen“ Liederzyklus.

Mit diesem Attribut kennzeichnete Schubert selbst die „Winterreise“ und fand – wie befürchtet – damit vor den Augen seines Freundeskreises keine Gnade. Zu radikal und kompromisslos waren die Texte von Wilhelm Müller und seine eigene Intonation. Und richtig prophezeite Schubert „… Ihr werdet sie erst später schätzen lernen“. Schon mit den ersten Takten des Klaviers zum Auftakt von „Fremd bin ich eingezogen…“ zeichnete sich ein besonderes musikalisches Ereignis ab: Thomas Seyboldt am Flügel fand sofort den richtigen Anschlag, weich, verhalten und doch weit ab von jeder Süße. Hans Chistoph Begemann, der neue Bass-Bariton des Staatstheaters Darmstadt, nahm diese Stimmung sofort auf und schaffte das schier Unmögliche, sie nicht nur über eineinhalb Stunden aufrechtzuerhalten, sondern von Lied zu Lied je nach Text und Ton zu steigern, zurückzunehmen oder zu variieren.

Die düster-resignative Stimmung des Eingangslieds schlug in der „Wetterfahne“ in verzweifelten Protest um, ging in den „gefrorenen Tränen“ in klirrende Kälte über – treffend sekundiert vom Flügel -, um in der „Erstarrung“ zu enden. Der Lindenbaum hatte nichts von dem allseits bekannten Volkslied an sich, sondern wurde bei Begemann zur tiefen Trauer über eine verlorene Illusion. Das „Irrlicht“ strahlte eine geradezu körperliche Todessehnsucht aus, die dem Publikum sichtlich unter die Haut ging. Nach solch intensiven Programmpunkten legten die beiden Künstler bewußt deutliche Pausen ein, um die Wirkung einsinken und verklingen zu lassen. Im „Frühlingstraum“ bestach vor allem der deutlich herausgearbeitete Kontrast zwischen – lieblichem – Traum und harscher Wirklichkeit. Der zweite Teil – beginnend mit der „Post“ – fügte sich nahtlos an den ersten an. Der Verzicht auf jegliche Pause war eine weise Entscheidung, weil so die dichte Stimmung nicht unterbrochen wurde. Ob die stark retardierte Interpretation des „greisen Kopfes“ oder die düster-symbolbeladene (Todes)-„Krähe“ – jedes Lied wurde als eigenständiges Kunstwerk intensiv und am Text entlang interpretiert, keins klang wie das andere. Dabei ist die für diesen Liederzyklus unverzichtbare perfekte Artikulation von Begemann besonders hervorzuheben, lassen sich die Interpretationen doch nur mit genauem Textverständnis nachvollziehen.

Abschluß und Höhepunkt des Liederzyklus bildete der jenseitige „Leiermann“, den Begemann irgendwo im Niemandsland zwischen einer eisklirrenden Erde und einem grauen Winterhimmel ansiedelte. Mit den letzten Silbe schwanden jegliche Zuversicht und Lebenswille und verloren sich im Nichts des Todes. Diese Strophen verlangten von beiden Interpreten die höchste Konzentration, um ein Abgleiten ins nur Schaurig-Schöne zu vermeiden. Doch sicher beendeten sie ihren eindrucksvollen Gang auf dem schmalen Grat zwischen äußerster Sensibilität und Verlorenheit auf der einen Seite und falscher Sentimentalität, die bei Schubert immer hinter den Texten lauert, auf der anderen Seite

Hans-Christoph Begemann intonierte die unterschiedlichen Stimmungen der einzelnen Lieder mit fein abgestimmten Lagen- und Intensitätswechseln zwischen bassnahen Tiefen und Kopfstimmen-Passagen. Darüber hinaus unterstrich und verstärkte seine Mimik die jeweilige Seelenlage, ein Zeichen dafür, wie tief er sich in diesen Zyklus eingelebt haben muss. Thomas Seyboldt trat als Begleiter nie in den Vordergrund, ohne jedoch beiläufig zu wirken. Sein Spiel ließ der lyrischen Grundstimmung des Gesangs viel Raum zur Entfaltung, blitzte jedoch bei Bedarf, wie bei der „klirrenden Kälte“ oder den „fallenden Blättern“, durchaus auch auf.

Es wundert nicht, dass diese Veranstaltung ausverkauft war, und wer sie nicht erleben konnte, hat wirklich etwas versäumt.

Frank Raudszus

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