Wir aus der älteren Generation haben noch mit erschauernder Begeisterung die Geschichten aus „1001 Nacht“ gelesen, ging es dort doch nicht nur um seltsame Sitten und Gebräuche, sondern auch um – fast beiläufig erwähnte – Gewalt. Die heutige Kinder und Halbwüchsige dagegen verfügen über andere Quellen der geistig-seelischen Freizeitgestaltung. Die „Neue Bühne Darmstadt“ hat sich […]
Archive | Schauspiel
Anklänge an Kafka
Der Titel „Pirsch“ des Einakters von Ivana Sokola ist so lakonisch knapp wie treffend. Denn hier geht es um die Jagd nach einem Mann, dessen sexuellen Übergriff auf einem Volksfest vor fünfzehn Jahren Marinka (Edda Wiersch) nicht vergessen kann. Daher begibt sie sich in ihrem alten Heimatort auf die Jagd nach dem unbekannten Übeltäter, von […]
Rituelle Erdverbundenheit
Grün bepflanzte Hecken und Wände dominieren das Bühnenbild des Einakters „Earthboi“ in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt. Mittendrin kauert sich ein Kind auf den Boden zusammen. Zu asiatisch anmutendem Ritualgesang erzählen zwei erdhaft geschminkte junge Frauen – angehende „Erdmütter“? – die Geschichte des kauernden Kindes, das als Heilsbringer für die von der Menschheit geschundene Erde […]
Fastnachtsulk in Frankfurt
Was motiviert ein Theater heutzutage noch, eine Klamotte wie „Der Raub der Sabinerinnen“ der Brüder Schönthan aus dem Jahr 1883 auf die Bühne zu bringen? Nun, Intendant Anselm Weber vom Schauspiel Frankfurt erklärte das in schöner Offenheit als eine Notmaßnahme während der Pandemie, als die Theater sich für längere Zeit – eventuell irreversibel? – zu […]
Die Emanzipation frisst ihre Kinder
Henrik Ibsens „Hedda Gabler“ erfreut sich – im Gegensatz zu anderen „Klassikern“ – einer ungebrochenen Nachfrage des Theaters. Das liegt offensichtlich daran, dass dieses Stück weitgehend als die Emanzipationsgeschichte einer Frau in einer männlichen Gesellschaft gedeutet wird. Dabei wird seltsamerweise immer wieder geflissentlich übersehen, dass Ibsens Stück den Männern – von Richter Brack einmal abgesehen […]
Temporeiche Collage der Angst
Irmgard Keun emigrierte 1936 aus politischen Gründen nach Ostende und verfasste dort den Roman „Nach Mitternacht“, in dem sie das angstbesetzte Leben im nationalsozialistischen Deutschland Mitte der dreißiger Jahre aus eigener Anschauung am Beispiel der jungen Sanna schildert. Wolfgang Vogler mit Ensemble Sanna ist in einem Dorf an der Mosel aufgewachsen und nach dem Tod […]
Theater im Theater
Das heutige Theater liebt die Einbettung klassischer Theaterstücke in weitergehende Rahmenhandlungen, siehe „Wilhelm Tell„. Doch der Film hat das schon viel früher getan, zum Beispiel mit der Komödie „Shakespeare in Love“ aus dem Jahr 1998. Die hatte sich Shakespeares Zeit und vor allem dessen Stück „Romeo und Julia“ vorgenommen und dabei in vergnüglicher Selbstreferenzialität des […]
Eine raffinierte Renovierung
Als Friedrich Schiller in den Jahren 1803 und 1804 das Drama „Wilhelm Tell“ verfasste, herrschte in Europa Napoleon Bonaparte, und die unterworfenen Länder sannen verzweifelt auf eine befreiende Tat. So lässt sich dieses Stück durchaus als plakatives Revolutionsstück deuten, dass die Rollen von vornherein eindeutig festlegt. Landvogt Gessler stellt als Vertreter der verhassten Fremdherrschaft von […]
Groteske mit Blut
Zwar sind Bühnenversionen bekannter Romane seit einiger Zeit bei deutschen Theatern „en vogue“ – warum auch immer -, doch wenn es um einen Schauerroman des 19. Jahrhunderts ohne erkennbaren Aktualitätsbezug oder gar gesellschaftspolitische Erkenntnisse geht, stellt sich doch die Frage nach dem Sinn einer solchen Inszenierung. Man kann es metaphorisch inszenieren, indem man deutliche Bezüge […]
Die Liebe in den Zeiten der Ironie
Schon das Bühnenbild der Darmstädter Inszenierung von Moritz Rinkens Komödie „Wir lieben und wissen nichts“ unter der Regie von Judith Kuhnert begrüßt die Zuschauer mit geradezu plakativer Ironie. Pascal Seibicke hat dort ein bühnenbreites Bücherregal in grellem Gelb installiert, das seine intellektuellen Reclam-Titel – Spende des Verlags! – demonstrativ als Botschaft der Selbstverortung des Protagonisten […]