Die Weltgeschichte auf dem Schlagzeug

Print Friendly, PDF & Email

Im 3. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt stand die Komposition „Frozen in Time“ des 1975 geborenen Israelis und Wahl-Amerikaners Avner Dorman im Mittelpunkt. Das für eine breite Perkussionspalette geschriebene Werk füllte nicht nur den zentralen Platz des Solokonzerts aus, sondern stand auch von seiner Bedeutung und Wirkung eindeutig im Mittelpunkt des Programms und erfüllte damit die Vision aller Fürsprecher zeitgenössischer Musik, dass diese wieder wie in Klassik und Romantik das Zentrum eines musikalischen Abends darstellen möge.

Dirigent Christoph Altstaedt

Doch das Rahmenprogramm für dieses Solo-Konzert war mehr als nur ein Rahmen und konnte dem zentralen Werk durchaus Paroli bieten. Dafür hatte man  ausschließlich „böhmische und mährische“, also aus dem heutigen Tschechien und der Slowakei stammende Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts ausgewählt. Bedrich Smetanas „Moldau“ eröffnete das Programm, gefolgt von Avner Dormans „Frozen in Time“. Nach der Pause folgten Leos Janaçeks Ouvertüre zu der Oper „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ sowie Antonin Dvoraks 7. Sinfonie in d-Moll. Als Dirigenten des Darmstädter Staatsorchesters hatte man den noch jungen Christoph Altstaedt engagiert, der mit seinen erst 37 Jahren bereits eine beeindruckende Dirigentenkarriere absolviert hat.

Smetanas „Moldau“ verlieh er gleich zu Beginn ungewohnte Klänge. Die üblicherweise fast lieblich intonierten Wassertropfen der Moldauquelle hören sich bei ihm schlank, knapp und unruhig an. Dazu entlockt er dem Orchester helle, quirlige Klangfarben. Später, wenn die Moldau breiter durch Böhmen strömt, vertont er dies nicht mit den üblichen selig weiten Streicherbögen, die diese Musik zum Paradebeispiel einer vordergründigen Programmmusik gemacht haben, sondern achtet auch hier auf eine strenge, nicht in erster Linie „eingängige“ Metrik. Dazu schärft er die Einsätze der Blechbläser bis an die Grenze des Schroffen und verknappt auch den Klangteppich der Streicher, auf dass sie nicht mehr das wellenförmig-anheimelnde Lied des Wassers singen. Die „Moldau“ entspringt bei dieser Interpretation ein zweites Mal, nun aber als unverfälschtes Musikwerk, das nicht in erster Linie nostalgische Heimatgefühle weckt.

Das war dann auch die passende Einstimmung für Avner Dormans anspruchsvollen Solo-Konzert, das der erst 24jährige Simone Rubino in einem eigens mit Glaswänden akustisch gegen das Orchester abgegrenzten Perkussionsstudio zelebrierte. Die drei Sätze, übertitelt mit „Indoafrica“, „Eurasia“ und „The Americas“, sollen vordergründig die geologischen Entwicklungsstufen der großen Kontinente auf musikalischem Wege nachbilden, doch zumindest ebenso stark spiegelt sich hier die jeweilige Entwicklung der Musik dieser Regionen bis in die heutige Zeit hinein. Dorman beschreibt sozusagen die erdgeschichtliche Entwicklung der Kontinente mit deren musikalischen Mitteln, die sich in dem letzten halben Jahrtausend entwickelt haben.

„Infoafrica“ beginnt mit einer Art „Urknall“, dem ein längeres Vibraphon-Solo folgt. Schon hier zeichnet sich die typische afrikanische, aber auch indische Rhythmik ab. Die vom Orchester beigesteuerten Passagen sind erstaunlich tonal und erinnern bereits hier oftmals an Jazz und Bigband-Musik, wobei Dorman sich auf klangliche und rhythmische Zitate beschränkt und nicht etwa Basie oder Ellington wiederauferstehen lässt. Nach dem klanglich reizvollen und variantenreichen Vibraphon-Solo wechselt Simone Rubino zu den härteren Trommeln und lässt dort afrikanische Rhythmen aufleben.

„Eurasia“ beginnt langsam und fast tonlos auf dem Vibraphon, gefolgt von einem verhaltenen Aufbruch der Streicher und schließlich des gesamten Schlagwerks. Nach einer kurzen Zäsur begleiten Harfe und Klavier – europäische Instrumente! – melodische Motive des Vibraphons, die flüchtig an die Klavierkonzerte der Wiener Klassik oder der Romantik erinnern. Auch hier sind das nur klangliche Zitate und keine konkreten Anleihen bei wiedererkennbaren Werken von Mozart und Co.. Nach einer ausgedehnten, subtilen Reise durch die Klangvielfalt und Ausdruckslandschaft der europäischen Musik endet dieser Satz in einem minimalistischen Solo auf dem Vibraphon.

Perkussionist Simone Rubino

„The Americas“ schließlich bezieht sich am deutlichsten von allen drei Sätzen auf die Musikstile des genannten Kontinents. Gleich zu Beginn herrscht Aufbruchsstimmung und hektisches Treiben mit Anklängen an George Gershwin und andere Größen der amerikanischen Musikgeschichte. Um aber auch Südamerika nicht zu vergessen, kommen die Lateinamerikanischen Rhythmen wie Bossa Nova, Samba oder Tango als rhythmische Zitate zu ihrem Recht. Das Ganze wird verwoben mit dem klassischen und modernen Jazz, aber stets wieder mit Nuancen der sogenannten „E-Musik“ aus dieser Weltregion vermischt. Auch hier geht es nicht um einen „Potpourri“ aus George Gershwin, Antonio Carlo Jobim und Philipp Glass, sondern um die Verbindung verschiedenster Stilelemente der amerikanischen Musik in einem kunstvollen Geflecht klanglicher Zitate und Anlehnungen.

Simone Rubino leistete an seinen Perkussionsinstrumenten nicht nur physische Schwerarbeit, sondern bewies dabei auch, wie verfeinert und variantenreich man diese Instrumente spielen kann, wenn man über die nötigen Fertigkeiten sowie hohes musikalisches Gespür verfügt. Dass ihm dabei auch die so anspruchsvolle wie vielfältige Komposition Avner Dormans eine große Hilfe war, steht außer Zweifel. Der Beifall für seine Leistung fiel derart begeistert aus, dass Rubino als Zugabe noch eine Allemande aus einer Orchestersuite von Johann Sebastian Bach auf dem Vibraphon zum Besten gab.

Nach der Pause intonierte das Staatsorchester die Ouvertüre zu Janaceks düsterer Oper „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ nach Dostojewskis gleichnamigem Prosawerk. Der langsame Marschrhythmus lässt den mühsamen Marsch der Strafgefangenen von und zur Fronarbeit erahnen, und die schroffen, oftmals grellen Klänge des Orchesters illustrieren die Brutalität des Lagerlebens. Die Ouvertüre vermittelt einen düsteren, abgründigen Eindruck, der vor allem aus den ostinaten Wiederholungen und abwärts führenden musikalischen Figuren entsteht. Selbst die Kettengeräusche werden auf einem Becken mit einer echten Kette nachgebildet. Die beiden Violonisten Wilken Rank (Erster Geiger) und Sebastian Gäßlein zeigten dabei ihr Können in ausgedehnten Solopartien. Dem Dirigenten Christoph Altstaedt gelang es, dem Orchester die düstere Stimmung dieser Ouvertüre überzeugend zu entlocken und damit die Zeichen für den zweiten Teil des Konzerts zu setzen.

Denn das letzte Werk, Antonin Dvoraks 7. Sinfonie in d-Moll, ist selbst – wie man bereits der Tonart entnehmen kann – nicht gerade ein fröhliches Werk. Schließlich fand dieses Konzert am Volkstrauertag statt. Bereits der erste Satz besteht aus einer Vielfalt wechselnder Motive  und vermittelt stellenweise einen Eindruck der Zerrissenheit. Tänzerische Einschübe wirken nicht beschwingt sondern eher als Befreiungsschlag. Am Ende strebt dieser Satz einem dramatischen Höhepunkt zu, der eine Entscheidung zu erzwingen versucht, um dann leise zu verklingen. Man kann hierin durchaus den Kampf eines Volkes um die Selbstbestimmung sehen. Auch den zweiten Satz, ein Adagio, durchzieht ein düsterer Grundton mit schwermütig klingenden Motiven, die teilweise von den Hörnern in dunklen Klangfarben vorgetragen werden. Das Scherzo des dritten Satzes beginnt zwar tänzerisch, wirkt jedoch nie leicht und befreit sondern eher kämpferisch und mit seinen abwärts führenden Figuren fast schon verzweifelt. Dagegen beginnt der Finalsatz mit einer weiten Geste, die wie ein Fanal wirkt. Daraus entwickelt sich ein wild wogendes Geflecht von Motiven und Klängen, die dem Satz eine ähnlich zerrissene Wirkung wie der erste verleihen. Hier hat Dvorak offensichtlich die gefühlte Unterdrückung der Böhmen durch das K.u.K.-Regime Österreich-Ungarns verarbeitet. Kurze lyrische Momente gehen immer wieder in dramatische Passagen endzeitlichen Ausdrucks über und verleihen dem Gesamtwerk damit in gewisser Weise im Hinblick auf das bevorstehende 20. Jahrhundert prophetische Qualitäten.

Das Publikum bedankte sich für diese Energieleistung von Orchester und Dirigent am Ende eines langen und anspruchsvollen Konzertes mit kräftigem, lang anhaltendem Beifall.

Frank Raudszus

,

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar