Lewis Dartnell: „Ursprünge“

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Laut der Bibel erschuf „Gott der Herr“ den Menschen nach seinem Bilde, nachdem er in wenigen Tagen das Universum aus dem Boden gestampft hatte. Später definierten säkulare Idealisten und Philosophen den menschlichen Geist als wesentliche Ursache des Verlaufs der Menschheitsgeschichte. Die Idee des Anthropozäns setzt diesem Selbstbild in gewisser Weise die Krone auf.

Der englische Astrobiologe Lewis Dartnell zieht in dem vorliegenden Buch der narzisstischen Selbstschau des Menschen den Boden unter den Füßen weg, indem er nachweist, dass die biologische und gesellschaftliche Entwicklungsgeschichte des Menschen letztendlich ganz prosaisch auf geologischen und anderen erdwissenschaftlichen Tatsachen beruht. Im Gegensatz zur Bibel lautet der letzte Satz seines Buches „Wir sind Geschöpfe der Erde“.

Wären wir nicht so weit säkularisiert wie wir es sind, würden wir seine Ausführungen – ähnlich wie Darwins Zeitgenossen angesichts dessen Evolutionstheorie – als narzisstische Kränkung empfinden, so aber wird die Lektüre dieses Buches zu einer spannenden Reise durch die Geschichte der Erde selbst. Der Mensch und seine Geschichte ergeben sich dann sozusagen als fast zwangsläufige Entwicklung.

Dartnell beginnt seine Untersuchungen mit den frühen Hominiden im ostafrikanischen Regenwald. Weshalb er sie „Hominine“ nennt, bleibt unklar – vielleicht ein durchgehender Druckfehler. Vor gut vier Milliarden Jahren lebten sie auf den Bäumen, und es gab keinen Grund, sich zum Überleben auf den Boden und zwei Beine zu begeben. Doch dann entstand durch eine bedeutende tektonische Verwerfung der ostafrikanische Graben, dessen östliche Seite durch eine hohe Gebirgsauffaltung die feuchten Winde des indischen Ozeans blockierte. Erst die Austrocknung des Lebensraumes mit dem Rückgang der Wälder zwang die Hominiden zur Nahrungssuche in die Savanne hinaus, wo sie sich durch Aufrichten einen besseren Überblick über die fressbare oder fressende Fauna verschaffen mussten. Wer auf zwei Beinen lief, überlebte und und hatte jetzt die Hände frei für Werkzeuge und Waffen.

Detailliert beschreibt Dartnell die Auswirkungen des Auseinanderbrechens des Großkontinents Pangea noch vor der Zeit der Dinosaurier. Anschließend trieben die Kontinente auf den flüssigen weil heißen Innereien der Erde umher und kollidierten miteinander, wobei sich Gebirgsformationen wie der Himalaja oder die Alpen auffalteten – und der ostafrikanische Graben entstand. Eben diese tektonischen Auffaltungen trugen seiner Ansicht nach entscheidend zur Entwicklung des Menschen bei. Eiszeiten taten ein Übriges, denn sie senkten den Wasserspiegel und erlaubten den Hominiden, sich in Gestalt langsamer Wanderungsbewegungen über alle Kontinente zu verteilen.

Das Mittelmeer, uns allen als Wiege europäischer Zivilisation bekannt, bezieht diese Eigenart ebenfalls aus seiner geologischen Struktur. Aus der urzeitlichen Thetyssee entstanden und durch die Alpen vor nordischer Kälte geschützt, bot es wegen seiner moderaten klimatischen Verhältnisse und der – im Gegensatz zu den Ozeanen – überbrückbaren Entfernungen den idealen Siedlungsraum für die Entwicklung einer fortgeschrittenen Zivilisation. Dass hierbei die europäische Küste gegenüber der afrikanischen im Vorteil war, lag an deren zerklüfteten und gebirgigen Struktur infolge der Anhebung durch die afrikanische Platte, die Stammesgesellschaften geschützte Buchten und Täler für ihre Entwicklungen bot. Im flachen Nordafrika der sich absenkenden afrikanischen Platte fanden die frühen Stammesgesellschaften kaum sichere Siedlungsgebiete und fielen einander zum Opfer. Auf diese Weise konnten sich erst die levantinischen Phönizier und dann die Griechen und Römer zu bedeutenden Gesellschaften entwickeln. Ägypten stellt laut Dartnell insofern einen Sonderfall dar, als es stets auf den Verlauf des Nils begrenzt blieb und von dessen fruchtbaren Ufern abhängig war.

Ein weiteres Thema ist die Entwicklung der Landwirtschaft und die damit einhergehende Sesshaftigkeit. Zeitlich großräumige Klimawechsel mit ausgeprägten Eiszeiten sorgten für die Verteilung fruchtbaren Oberflächenmaterials durch die Gletscher. In wärmeren Zeiten wuchsen auf diesen Böden verschiedene Gräser, die sich für eine dauerhaftere Ernährung anboten, als es die Technik des Sammelns und Jagens ermöglichte. Dabei erfuhren die frühen Menschen aus den Klimawechseln die Notwendigkeit einer Vorsorgewirtschaft, d.h. der Sesshaftigkeit. Das führte schließlich zur „Domestizierung“ und gezielten Züchtung dieser Gräser zu den heutigen Getreidesorten. Ähnliches folgte für die Fauna, die dem Menschen durch die Zähmung von Wildtieren eine effektivere Bearbeitung der Böden erlaubte. Das dadurch bedingte Bevölkerungswachstum führte wiederum zu der Notwendigkeit der Erschließung neuer Nahrungsquellen und Lebensräume. Beides heizte die Evolution an.

In einem eigenen Kapitel geht Dartnell auf die Baumaterialien ein, die sich aus den verfügbaren Gesteinsarten ergab. Auch hier spielten wieder die tektonischen Bewegungen eine Rolle, indem sie unterseeische Kreide- und Kalkablagerungen nach oben drückten und diese den Menschen als Baumaterial anboten. Ähnliches gilt für härtere Materialien wie Granit oder Marmor, die dann auch wieder zur Entwicklung spezieller Werkzeuge führten.

Die Metalle bilden ebenfalls ein umfangreiches Kapitel. Hier geht Dartnell wieder detailliert auf die Entstehung der Metalle durch Druck und Hitze in tieferen Erdschichten sowie ihren tektonischen Transport an die Oberfläche ein. Dann war der Schritt der Nutzung dieser neuen Werkstoffe für Werkzeuge und Waffen für eine bereits weit entwickelte Menschheit nur noch ein kleiner. Mit viel Sinn fürs Detail geht Dartnell auf die Eigenarten und Vorzüge von Bronze (Kupfer + Zink), Eisen und sogar Stahl ein und erklärt die Vorgehensweisen für die Gewinnung dieser Metalle aus den Erzen bzw. ihre künstliche Herstellung. Auch hier geht es ihm wieder um die direkte Verbindung erdgeschichtlicher Ereignisse und zivilisatorischer Technologien.

Die Bedeutung der Steppenvölker – etwa die Mongolen unter Dschingis Khan – für die Menschheitsgeschichte scheint im ersten Moment nicht auf erdgeschichtliche Ursachen zurückzuführen sein. Doch dann zeigt Dartnell die Entstehung der trockenen Steppen aus großräumigen klimatischen Bewegungen auf, die wiederum auf geostrukturellen Ursachen – Sonneneinstrahlung, Erdachsenneigung, Erddrehung – beruhen. Wechselnde klimatische Verhältnisse mit daraus folgenden Nahrungsengpässen führten bei Nomadenvölkern zu größeren Wanderungsbewegungen, und die damals nur bei diesen Nomadenvölkern übliche Nutzung des Pferdes zum Reiten tat ein Übriges, die Menschheitsgeschichte nachhaltig zu beeinflussen.

Der Seehandel, einer der tragenden Pfeiler der menschlichen Geschichte, beruht letztlich ebenfalls auf geologischen Ursachen. Auf den großen Ozeanen haben Erwärmung und Abkühlung der Luft in Verbindung mit der Erddrehung zu konstanten kreisförmigen Windsystemen geführt, die auf der Nord- und Südhalbkugel spiegelbildlich zueinander angeordnet sind. So weht der Nordost-Passat auf der Höhe von Nordafrika hinüber nach Mittelamerika und dann entlang der amerikanischen Ostküste im Kreis erst nach Norden und dann zurück nach Westen. Dem entsprechen im Südatlantik der Südostpassat und südlich von Afrika und Südamerika die Westwinde der „roaring fourties“. Die Portugiesen entdeckten dieses Schema als erste während ihrer Erkundungsreisen im 13. Jahrhundert und nutzten sie für die Umrundung Afrikas. Die Spanier folgten ihnen auf dem Wege nach Amerika – dem vermeintlichen „Indien“ von Christoph Columbus – und bauten darauf ihre Silbertransporte von Mittelamerika nach Europa im 16. Jahrhundert auf. Da ähnliche Gesetze im Pazifik herrschen, konnten die Spanier ihre Vormachtstellung auch bis zum Auftreten der Niederländer und Engländer hier ausbauen. Daraus ergaben sich die weltweite Dominanz der (seefahrenden) Europäer, Kolonialisierung und Imperialismus, die für ganze Epochen den Lauf der Welt bestimmten.

Den Schluss dieses so informativen und geradezu spannenden Buches bildet die Energiegewinnung. Nachdem man schon früh die Kraft des Feuers für Wärmung und Nahrungszubereitung genutzt hatte, entdeckte man bald auch den Wind sowie die tierische Kraft für die Fortbewegung. Doch das offen liegende, schimmernde Erz ließ sich mit Holzfeuer nur sehr unzureichend zu Metallen umwandeln. Erst die Kohle brachte hier den entscheidenden Fortschritt. Dartnell beschreibt detailliert die Entstehung der riesigen Kohlevorkommen aus den zusammengepressten Resten nicht verrotteter Urwälder und erklärt den hohen Energiegehalt dieses Rohstoffes. Seine aktive Entdeckung ergab zusammen mit der neuen Dampfmaschine einen positiven Rückkopplungseffekt – mit Hilfe der Dampfmaschine ließ sich in großem Stil eben die Kohle fördern, die man für ihren Betrieb benötigte – und befeuerte damit die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts. Später kamen dann Erdöl und -gas hinzu, die vor etwa 100 bis 150 Millionen Jahren aus zum Meeresgrund abgesunkenen Mikroorganismen entstanden, die ebenfalls mangels Sauerstoff dort nicht abgebaut werden konnten. Die Moderne lässt sich ohne diese beiden Energieträger gar nicht denken.

Erstaunlicherweise hört Dartnells faszinierender Rückblick auf die erdgeschichtlich bedingte Entwicklung der Menschheit auf, ohne die – zumindest für die Moderne – wichtigste Voraussetzung zu erwähnen: die Elektrizität. Das Magnetfeld der Erde, das uns – im Gegensatz etwa zum Mars – vor der Zerstörung unserer Atmosphäre durch die Sonnenstrahlung schützt, entsteht durch die kreisförmigen Bewegungen flüssigen Metalls im Inneren der Erde. Als die Menschen im 19. Jahrhundert die Funktionsweise elektromagnetischer Felder prinzipiell verstanden hatten, begann eine neue Ära mit Elektromaschinen, elektrischer Beleuchtung und schließlich moderner Kommunikationssysteme und Computer, die auf der Basis der Lichtgeschwindigkeit bei der Ausbreitung elektrischer Signale arbeiten. Diese Entwicklung ist heute noch kaum zu überschätzen und hätte daher den würdigen – abschließenden – Platz in Dartnells Buch verdient. Vielleicht hat er diese Geschichte für eine erweiterte Auflage aufgespart, denn sie benötigt fast ein eigenes Buch.

Das Buch „Ursprünge – Wie die Erde uns erschaffen hat“ ist im Hanser-Verlag erschienen, umfasst 380 Seiten und kostet 25 Euro.

Frank Raudszus

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