Eine zarte Frau mit mächtigem Spiel

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Beim 10. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt brilliert Claire Huangci mit Werken von Bach, Schubert, Chopin und Liszt.

Eigentlich ist das äußere Erscheinungsbild eines Künstlers – sofern er kein Schauspieler ist – für die Rezension seines Vortrags tabu. Doch man kann von dieser Regel abweichen, wenn das Fazit einerseits positiv und andererseits besonders erwähnenswert ist. Das ist bei der jungen Amerikanerin Claire Huangci – Jahrgang 1990 – eindeutig der Fall. Wenn die junge Frau auf der Bühne erscheint, macht sie einen geradezu fragilen EIndruck, und man kann sich kaum vorstellen, wie diese zarte Person die ganze Breite einer Flügel-Tastatur meistern kann. Wenn man sie dann aber hört, lernt man einerseits, was eine brillante Technik zu leisten vermag, aber andererseits auch, welche körperlichen Anforderungen ein solcher Klavierabend an die Solistin stellt.

Die Pianistin Claire Huangci

Die Pianistin Claire Huangci

Besonders reizvoll für den Rezensenten war der Vergleich dieses Klavierabends im Kleinen Haus des Staatstheaters mit dem Auftritt des Franzosen David Fray am Vorabend im Kloster Eberbach, dessen eindrucksvolles Bach-Spiel noch im Kopf steckte. Claire Huangci begann auch gleich mit Bach – natürlich Johann Sebastian – und dessen Französischer Suite Nr. 5 in G-Dur. Diese Suiten waren als galante Unterhaltungsstücke gedacht und präsentierten vorrangig Tänze aus verschiedenen Ländern Europas, etwa die Allemande, die Sarabande oder die Gigue, um nur drei zu nennen. In der hier vorgestellten Suite sind es außerdem die Courante, die Gavotte, die Bourré und die Loure. Schon die ersten Takte zeigte den Grundtenor: Leichtigkeit und Temperament. Dazu passte der helle, leichte Klang des Flügels (David Fray spielte einen wesentlich dunkleren, kompakteren Flügel). Claire Huangci ließ ihren Worten über die Musik, die Freude bereiten und rühren soll, Taten folgen. Sie spielte die einzelnen Tänze ausgesprochen emphatisch, und scheute sich auch nicht, ihre ursprüngliche Freude über die Musik und sogar Witz mit einzubringen. Selbst die langsame Loure wirkte nie weltverloren, sondern eher innig. Bachs Klaviermusik, oder zumindest diese Suiten, ist für sie offensichtlich durchaus mit Lebensfreude und Humor zu vereinen. Das heißt natürlich nicht, dass sie sämtliche Stücke dieses Komponisten in diesem Stil interpretieren würde.

Dass sie auch anders kann, bewies sie im zweiten Stück des Abends, Frédéric Chopins Sonate in h-Moll. Der erste Satz beginnt mit einem wahren Rausch von Akkordketten und Läufen, ehe sich nach vierzig Takten in der rechten Hand ein liedhaftes, melancholisches Thema entfaltet, das die linke Hand mit weit gegriffenen Läufen untermalt. Immer wieder dringt die große Geste des Komponisten durch, die sozusagen unbeschränkte Freiheit für den Künstler und seine Kunst fordert und sich förmlich entgrenzt. Brillante Läufe aus den hohen Lagen schaffen zusammen mit dichten Akkorden der linken Hand dramatische Klangflächen, die alle harmonischen Grenzen zu sprengen scheinen. Und doch wirken diese Akkorde nie dissonant oder gar atonal. Chopin geht nur an die Grenzen der damaligen Harmonik, um die Weite und Totalität seines musikalischen Anspruchs zum Ausdruck zu bringen. Im langsamen Satz kommt dagegen eine unstillbare Sehnsucht und eine romantische Melancholie über die Grenzen des Individuums zum Ausdruck. Der Finalsatz bietet dann noch einmal ein wahres Feuerwerk an Motiven und Klangkombinationen. Dieser Satz klingt wie eine Befreiung, ein Aufbruch zu neuen Ufern, ja: wie der Aufruf zur Revolution und zur Entgrenzung. Claire Huangci zeigte – nicht nur in diesem letzten Satz – eine bravouröse Technik und entlockte dem Flügel eine Klangfülle, die den ganzen Saal des Kleinen Hauses füllte und das Publikum bis zum Schluss in ihrem Bann hielt. Dabei war nicht nur die technische und interpretatorische Leistung bewundernswert, sondern auch die körperliche, denn solche Akkordketten müssen erst einmal präzise und in dem hohen Tempo in die Tasten gehämmert werden, und solchen brillanten, perlenden und dennoch energischen Läufe muss ebenfalls der halbe Körper über die Tasten folgen. Dabei vermittelte sie keinen Augenblick den Eindruck der Anstrengung oder gar der Verkrampfung. Sie leistete es sich sogar, dem musikalischen Duktus mit entsprechender Mimik und Kopfhaltung zu folgen: mal schwärmerisch, mal verträumt, mal energisch. Der Beifall des Publikums nach diesem ersten Teil war entspechend begeistert und rief sie mehrere Male zurück auf die Bühne.

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Franz Schubert (Gemälde von Gustav Klimt)

Der zweite Teil begann mit Franz Schuberts Impromptus  D 935, Nr 3 in B-Dur und Nr. 4 in f-Moll. Das erste gehört zu den bekannteren, weil thematisch griffigen Stücken, während das zweite wegen seiner kompromisslosen musikalischen Struktur und des Verzichts auf eingängige Melodien eher etwas schroff wirkt und deshalb wohl auch nicht so oft gespielt wird. Claire Huangci arbeitete den Kontrast zwischen diesen beiden Werken deutlich heraus. Die Variationen im ersten Impromptus umspielten immer wieder auf neue Weise das selbe eingängige Thema auf unterschiedlichste Weise, während das zweite mit dichten und harmonisch aufgeladenen Akkordgruppen daherkam, die dem Ganzen einen fast unnahbaren  Charakter verliehen. Bei diesem Impromptu und solcher Interpretation konnte man sich wahrlich nicht zurücklehnen und Musik „genießen“, hier musste man gedanklich mitarbeiten.

Franz Liszt am Klavier (Gemälde von Joseph Danhauser)

Franz Liszt am Klavier (Gemälde von Joseph Danhauser)

Den Abschluss bildete dann wiederum ein ganz anderes Werk. Zwar ist der Weg von Schubert bis Wagner und Liszt nicht allzu weit, aber die Kombination aus beiden stellt dann doch eine andere Dimension als Schubertsche Impromptus dar. Franz Liszts Klavierbearbeitung von Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre ist ein weit gespanntes Werk, dass mit allen pianistischen Mitteln den orchestralen Eindruck des Originals wiederzugeben trachtet. Einerseits kommen hier die lang gezogenen Themen der Ouvertüre zum Tragen, andererseits die Fülle der Klangfarben eines großen Orchesters, die das Klavier natürlich nur ansatzweise wiedergeben kann. Doch wenn ein Liszt dieses Werk auf das Klavier überträgt, kann man davon ausgehen, dass es die maximal mögliche Klangwirkung erzielt. Und wenn dann noch eine Pianistin wie Claire Huangci diese Konzertparaphrase vorträgt, sind Klangrausch und weite Spannungsbögen garantiert. Die Solistin lieferte mit ihrer Interpretation ein „Liszt-Wagner-Fest“ en miniatüre ab und schlug das Publikum mit Wagners mal melodischen, mal mächtigen und mal sogar melancholischen Themen in ihren Bann. Hier konnte sie noch einmal ihre brillante Technik und ihr Gefühl für die musikalische Aussage unter Beweis stellen, und das Tat sie mit Bravour und Leichtigkeit.

Den begeisterten Beifall des Darmstädter Publikums quittierte Claire Huangci mit drei Zugaben, unter anderem von Tschaikowsky und Chopin.

Frank Raudszus

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