In der „Neuen Bühne Darmstadt“ feiert Erich Kästners Komödie „Drei Männer im Schnee“ erfolgreich Premiere

Print Friendly, PDF & Email

Ralph Dillmann (Johann), Rainer Poser (Tobler) und Marcel Schüler (Hagedorn)
Witz, Tempo, Gesang – und tiefere Bedeutung  

In der „Neuen Bühne Darmstadt“ feiert Erich Kästners Komödie „Drei Männer im Schnee“ erfolgreich Premiere
Ein beliebter Tagtraum handelt davon, dass der Träumer inkognito auftritt und von seiner Umwelt unterschätzt, ja verachtet und verspottet wird. Umso größer ist der Triumph, wenn plötzlich die Wahrheit enthüllt wird, die Spötter blamiert dastehen und der Tagträumer in hellem Glanz erstrahlt. Mit einer solchen Geschichte kann sich jeder identifizieren, weil er sie mehr oder minder selbst einmal geträumt hat, und sei es nur in Kindertagen. Dagegen bilden Hochstaplergeschichten keine Identifikationsbasis, da der Hochstapler immer die blamable Entlarvung fürchten muss.

Ralph Dillmann (Johann), Rainer Poser (Tobler) und Marcel Schüler (Hagedorn)
Erich Kästner hat sich diesen urmenschlichen Traum in seiner Komödie „Drei Männer im Schnee“ zunutze gemacht und dabei auch gleich einen gesellschaftskritischen Aspekt hineingebracht. Denn die Verachtung und abwertende Behandlung eines – vermeintlichen – sozialen Verlierers ist an sich schon eine kritikwürdige Handlung und lässt sich natürlich in einem Theaterstück plakativ bis drastisch darstellen.
Der millionenschwere Fabrikant Eduard Tobler hat im Rahmen der Werbenaßnahmen ein Preisausschreiben veranstaltet, dessen Sieger – erster und zweiter – eine Woche in einem Luxushotel in den Bergen verbringen dürfen. Aus welchen Gründen auch immer ist er auf die Idee verfallen, sich selbst unter einem Pseudonym an dem Preisauschreiben zu beteiligen, und gewinnt prompt den zweiten Preis. Also kleidet er sich als armer Schlucker Schulze ein und packt einen billigen, verbeulten Koffer mit seinen armseligen Klamotten. Sein Butler Johann ist entsetzt, kann ihm diese Idee aber nicht nur nicht ausreden, sondern wird noch dazu verdonnert, inkognito als Hilfe für den Notfall mitzureisen. Dazu muss er einen reichen Herrn spielen, der zufällig im selben Hotel wohnt, den armen Gewinner Schulze aber selbstverständlich nicht kennt.  Johann fällt der Wechsel der Kleidung vom Butler-Dress zum edlen Anzug genauso schwer wie die neue Haltung, die statt Servilität Selbstbewusstsein ausstrahlen soll, und am liebsten würde er seinen Chef als Diener begleiten. Auch Toblers Tochter Hilde hält nicht viel von der Schnapsidee ihres Vaters. Und da sie ihn davon nicht abbringen kann, ruft sie heimlich das Hotel an und informiert den Direktor, dass dort ein Millionäre in der Verkleidung eines armen Schlucker anreisen werde. Sicherheitshalber gibt sie dem Hoteldirektor auch schon die Vorlieben ihres Vater mit, vom warmen Ziegelstein im abendlichen Bett über die tägliche Massage bis zu den Siamkatzen.
Doch im Hotel verwechselt man die Inkognito-Kandidaten. Als der erste Preisträger, der junge und arbeitslose Dr. Hagedorn, eintrifft, hält man ihn für den angekündigtren „Undercover“-Millionär, bedient ihn aufs Höflichste und liest ihm jeden nicht vorhandenen Wunsch von den Lippen ab. Als dann der etwas heruntergekommene Schulze alias Tobler eintrifft, will man ihn ob seines Äußeren anfangs gar des Hauses verweisen und nimmt ihn dann nolens volens als gerade noch gelittenen Gast auf. Dabei achtet man bei Zimmerauswahl und bei der persönlichen Ansprache darauf, ihn möglichst schnell aus dem Haus zu graulen. Der als reicher Schiffahrtsmogul Kesselhut anreisende Butler Johann ist entsetzt, kann aber wegen entsprechender deutlicher Signale Toblers nichts an der Situation ändern. Dieser freundet sich jedoch zunehmend mit Dr. Hagedorn an, und die beiden werden ein fast unzertrennlíches Paar, wobei Hagedorn dem vermeintlich ebenfalls armen Teufel Schulze sein Leid über die abschlägigen Bescheide auf seine vielen Bewerbungsschreiben klagt. Nebenbei muss sich Hagedorn noch der Avancen verschiedener alleinreisender Damen erwehren, die sich schon als Millionärsgattinnen sehen.

Axel Raether (Hoteldirektor) und Bianca Weidenbusch (Portier Polter)Als Schulze langsam von einem Gast zu einem Hausdiener herabsinkt und nur Hagedorn als Freund hat, kann es Johann nicht mehr länger aushalten und führt ein Telefonat mit dem heimatlichen Berlin. Den Rest wollen wir den Lesern dieser Zeilen nicht verraten, um noch etwas Spannung zu erhalten. Aber komödien-erfahrene Leser werden schon ahnen, in welche Richtung die Geschichte läuft.
Erich Kästner hat mit diesem Stück eine humorvolle Komödie geschrieben, die Probleme und Atmosphäre der zwanziger Jahre in einen lockeren Handlungsrahmen verpackt. Wie es sich für eine gute Verwechslungskomödie gehört, geben natürlich die falschen Identitäten viel Anlass zum Lachen, vor allem, wenn der Reiche – sprich Mächtige – den armen, ohnmächtigen Verlierer spielt und der Diener den Herrn geben muss. Besonders grotesk wird die Situation noch, wenn die Außenstehenden – hier Dr. Hagedorn – gerade diese beiden Protagonisten in aller Naivität ausgerechnet über die wahren Personen hinter ihrer Maaske ausfragt. Denn der Zuschauer befindet sich in der komfortablen Lage des Wissenden, dem der Unwissende per se schreiend komisch vorkommt.
Renate Renken hat das Stück mit einfachsten Mitteln für den Saal der „Neuen Bühne“ eingerichtet. Einfache Schiebewände mit unterschiedlichen Vor- und Rückseiten markieren den jeweiligen Handlungsort – Hotelrezeption, Ballsaal oder Wohnzimmer – durch einfaches Verschieben, und dabei feiert der Retro-Look der zwanziger Jahre mit schwarzem Bakelit-Telefon und sorgfältig ausgewählten Kostümen fröhliche Urständ. Tochter Hilde im typischen Kleind der zwanziger Jahre und mit Dauerwelle, Johann alias Herr Kesselhut in schwarzem Gehrock und Dr. Hagedorn im weiten, schlabbernden Anzug. Um die Authentizität des Zeitbezugs zu erhöhen und das sowieso schon witzige Stück noch aufzulockern, lässt Renate Renken die Darsteller bekannte Couplets der Zeit singen, am Klavier „live“ begleitet von Heike Pallas. Da hört man dann Schlager wie „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“, adaptiert an das Stück, oder „Ich brech´die Herzen der stolzesten Fraun“ sowie eine Reihe anderer bekannter Melodien dieser Zeit. Dabei erliegt Renate Renke nicht der Versuchung, diese Schlager in voller Länge vortragen zu lassen, sondern beschränkt sich auf kurze musikalische Einlagen, die den Wiedererkennungseffekt des jeweiligen Schlagers nutzen aber die Handlung nicht zu lange unterbrechen.

Gabriele Reinitzer (Frau Kunkel) und Conny Krause (Hilde)Die Darsteller zeigen bei diesem Stück viel Spielfreude und lassen vor allem die witzigen und grotesken Seiten voll zur Geltung kommen. Rainer Poser ist der „gute“ Kapitalist Tobler, der einmal am eigenen Leib erfahren will, wie es den sogenannten „kleinen Leuten“ geht. Er spielt diese Rolle mit der souveränen Selbstgewissheit desjenigen, der weiß, dass er dem Spuk jederzeit eine Ende bereiten kann, dem aber die Erniedrigung in gewisser Weise eine Lehre ist, die er auch voll auskostet. Mit dieser Figur hat Kästner auf jeden Fall keine Kapitalismuskritik begründen wollen. Neben ihm gibt Ralph Dillman den Butler Johann alias „Mann von Welt“ Kesselhut als gespaltene Persönlichkeit, denn sein Johann fühlt sich in der Rolle des Grandseigneurs nie wohl und würde lieber gleich als später in sein Dienstbotenleben zurückkehren. Diese inneren Kämpfe bringt Ralph Dillmann sehr gut zum Ausdruck, wobei er auch die komische Seite dieses Identitätswechsels nicht vergisst. Herrlich auch seine Skiläufer-Pantomime auf dem imaginären Berg. Marcel Schüler verleiht dem Dr. Hagedorn ein durchaus eigenes Profil und lässt die Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Männern glaubwürdig erscheinen. Conny Krause hat zwar mit der Rolle der Hilde nur eine Nebenrolle, füllt diese aber mit viel Charme und sicherem Auftreten überzeugend aus. Gabriele Reinitzer ist in der Doppelrolle der Hausangestellten im Hause Tobler und der millionärssüchtigen Frau von Mallebré sehr präsent und spielt vor allem letztere mit viel Witz. Bianca Weidenbusch hat ebenfalls eine Doppelrolle zu absolvieren: als Portier Polter – eine Hosenrolle – steht sie im Brennpunkt der Ereignisse und verleiht dem obrigkeitshörigen Portier die entsprechende Geschmeidigkeit im Umgang mit der Umwelt. Als Frau von Casparius konkurriert sie mit Gabriele Reinitzer (Frau von Mallebré) um die Gunst des vermeintlichen Millionärs. Axel Raether schließlich ist als Hoteldirektor voll auf der Verliererstraße. Erst muss er dessen fiesen Charakter nach allen Regeln der Kunst durchdeklinieren und dann zum Schluss noch der Katastrophe ins Auge blicken. Aber er kann mit der Rolle des Fieslings sehr gut umgehen. Bleibt noch Matthias Pitton, der mit der Rolle des kindlichen Pagen zusätzlich frischen Wind in die Inszenierung bringt.
Das Publikum spendete bereits während des Stücks mehrfach spontanen Szenenbeifall – vor allem nach den Gesangseinlagen – und überschüttete das Publikum zum Schluss mit einem wahren Beifallssturm. Dieses Stück hat das Zeug zu einem Saisonrenner.

                                                                                 
Frank Raudszus

 

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar