Martin Walser: „Meßmers Reisen“

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Mehr als nur Aphorismen…..

Aphorismen-Sammlungen können etwas schrecklich Schulmeisterliches und Hausbackenes an sich haben. Oftmals verfallen besonders ältere Schriftsteller oder gar „nur“ Prominente dem Wahn, unbedingt ihre Gedanken zum Leben (und Sterben) veröffentlichen zu müssen, und oft kommt dabei nur Triviales heraus, meist auch deshalb, weil peinlichst jeder persönliche Bezug ausgeklammert wird und der Autor sich auf den Hochsitz eines abgeklärten Beobachters schwingt.

Messmers_ReisenDoch es gibt auch eine andere Variante: wenn ein aufmerksamer Beobachter des Geschehens über lange Zeit die eigenen Gedanken, Befindlichkeiten, Ängste, Unzulänglichkeiten und vor allem Verletzungen schonungslos notiert und dabei die Selbstreferenz mehr oder minder deutlich offen legt, kurz: auf den vermeintlichen Schutzmantel des angeblich unverletzbaren weil unbeteiligten Beobachters verzichtet. Letzteres ist Martin Walser mit seinem Buch „Meßmers Reisen“ gelungen. Bewusst verzichtet der Verlag auf eine Bezeichnung dieses Werks: es ist weder ein Roman noch Lyrik noch gar ein pädagogisches oder philosophisches Sachbuch. Es stellt das Resumée eines bewussten und dadurch zwangsläufig beschädigten Lebens dar, und man merkt ihm das Leiden an sich selbst und der Unvollkommenheit von Person und Welt hautnah an.

Martin Walser unterlegt diesem Buch einen hauchdünnen Handlungsfaden. Man stelle sich einen Handlungsreisenden in Sachen Literatur vor – ein deutlicher autobiographischer Bezug -, der durch die Lande zieht und aus seinen Werken liest, dabei jedoch viel Zeit findet, über Publikum, literarisches Objekt und vor allem über sich selbst nachzudenken. Dieser Meßmer könnte auch Walser heißen, aber der Autor verleiht ihm einen anderen Namen, wohl, um nicht jedem Gedanken und jeder Bemerkung über menschliche Schwächen und Kränkungen einen direkten autobiographischen Bezug zu verleihen.

Die Gedanken sind nicht chronologisch oder gar – in gut preußischer Manier – nach Sachgebieten geordnet. In stetem Fluss, ohne Kapiteltrennungen, nur in drei mit „I“, „II“ und „III“ bezeichnete Abschnitte unterteilt, gleiten die Gedanken aus der Feder und stehen ohne gewollten Bezug nebeneinander. Bisweilen ergibt sich eine zusammenhängende Kette, aber überwiegend da, wo ein durchgängiger Handlungsstrang, zum Beispiel eine Lesereise, besteht. Dort beschreibt Walser dann auch konkrete gesellschaftliche Reflexe und Reaktionen. Der Rest besteht aus kurzen und kürzesten Feststellungen. So beginnt das Buch mit den Sätzen „Phantasie ist Erfahrung“ und „Ein Vogel pfeift einem Hund“, und das Ende lautet: „Mit geschlossenen Augen schaue ich zum Fenster hinaus“ und „Alles, was ich mir sagen kann, ist nichts gegen das, was ich mir nicht sagen kann“. Man erkennt an diesen vier Sätzen, ohne sie überinterpretieren zu wollen, die Spannweite der Walserschen Denkwelt, die Verkürzung auf kleinste Gedankenelemente und Metaphern.

Dabei zeichnet sich das Buch durch seinen Verzicht auf jeglichen Bildungseifer oder intellektuelle Anstrengung aus. Walser will nicht mit Wissen, Bildung oder gar Tiefsinn brillieren. Er will nur ehrlich sein mit sich und der Welt, entblößt sich freiwillig und sagt damit „Ecce homo“. Hier steht kein weltgewandter Salonlöwe oder intellektueller Dompteur á la „Reich-Ranicki“, hier zeigt ein vom Leben genauso gestählter wie gezeichneter Mensch seine Wunden, ohne sie medienwirksam zu lecken.

Neben vielen Alltagsbeobachtungen finden sich immer wieder treffende Bemerkungen über die Mechanik der Gesellschaft, seien es nun persönliche Beziehungen oder die Riten des Kulturbetriebs. Die Kritik an dem Betrieb und seinen Protagonisten kommt jedoch immer auf leisen und deshalb um so überraschenderen Sohlen. Auch hier ist Walser nicht der Freund starker Worte oder altersbedingter Schlussabrechnungen. Die Menschen sind so, Walser bietet keine Deutungs- oder Bewertungsmuster sondern nur eine genaue Beobachtung. Mag sich der Leser einen Reim darauf machen. Das heißt aber nicht, dass Martin Walser die Symptome der menschlichen Fremd- und Selbstkränkungen wie ein Sozialwissenschaftler vermeintlich emotionslos seziert. Man spürt bei ihm in jeder dieser tief gehenden kritischen Anmerkungen den eigenen Schmerz, doch ohne spektakulären Aufschrei. Für revolutionäre Sprüche ist es zu spät und der Autor zu lebenserfahren.

Obwohl dieses Buch kein Handlungs- oder gar Entwicklungsroman ist, sollte man ihn nicht als Aphorismensammlung im Sinne eines philosophischen „Betthupferls“ lesen. Dieses Buch hat es wirklich verdient, in einem Zug und mit der gebotenen Aufmerksamkeit gelesen zu werden, eben wie ein spannender Roman.

Das Buch ist im Suhrkamp-Verlag unter der ISBN 3-518-41463-1 erschienen und umfasst 191 Seiten.

Frank Raudszus

 

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