Das Staatstheater Darmstadt inszeniert Carl Orffs Oper „Der Mond“ als Märchen für die ganze Familie

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Werner Volker Meyer (Ein Bauer), Thomas Mehnert, David Pichlmaier, Peter Koppelmann, Florian Götz (Vier Burschen)
Musikalisches Märchen vom Mondraub Weitere Orff-Inszenierungen:

Die Kluge Carmina Burana

Das Staatstheater Darmstadt inszeniert Carl Orffs Oper „Der Mond“ als Märchen für die ganze Familie
Im Rahmen der „Orff-Retrospektive“ im Staatstheater Darmstadt hat Intendant John Dew jetzt nach „Die Kluge“ und „Carmina Burana“ die Märchenoper „Der Mond“ auf die Bühne gebracht. Carl Orff hat die Musik des 20. Jahrhunderts in Deutschland maßgeblich beeinflusst, und nachdem sich zwischenzeitliche Diskussionen über sein Verhalten im Dritten Reich gelegt haben, rückt er seit einiger Zeit auch wieder in den Mittelpunkt des Bühneninteresses.

Minseok Kim, Thomas Mehnert, Florian Götz (Vier Burschen), Damen und Herren des Chores„Der Mond“ beruht auf einem Märchen der Gebrüder Grimm, in dem vier Gesellen aus einem dunklen Land bei ihren Wanderungen eines Nachts eine runde gelbe Laterne an einer Eiche nahe einem Gasthaus entdecken. Als sie auf Nachfrage erfahren, dass dies der „Mond“ sei, der den Menschen nächtens Licht für den Heimweg spende, stehlen sie die Laterne heimlich bei Nacht und bringen sie in das eigene Land. Dort lassen sie sich den Lichtspender nicht nur gut bezahlen sondern erreichen auch, dass jedem von ihnen bei seinem Tod ein Viertel davon mit in den Sarg gelegt wird.
Als der letzte als Greis stirbt, steht der Ort ohne Licht dar. Dafür mischen die vier Gesellen jetzt mit ihren flugs wieder zusammengesetzten Mondstücken die Unterwelt auf. Die Toten erwachen durch das Licht aus ihrem ewigen Schlaf, man fängt an zu tanzen und zu trinken, und das endet natürlich in Streit und Prügelei. Als Petrus aus dem Himmel den Unfug entdeckt, schreitet er ein, schickt die Toten wieder schlafen, nimmt den Mond mit und hängt ihn im Himmel auf. Dort leuchtet er noch heute.

EnsembleCarl Orff hatte diese Geschichte durchaus als Parabel auf menschliche Hybris interpretiert und seine Oper deshalb auch weniger als Kinderstück denn als „kleines Welttheater“ – so der Untertitel – über Himmel, Hölle und Erde gemeint. Nun ist jedoch der kritische Teil dieses Märchens nicht zuletzt durch die weltpolitischen und gesellschaftlichen Ereignisse seit 1939, dem Entstehungsjahr der Oper, zur Bedeutungslosigkeit wenn nicht Trivialität geschrumpft. Auf jeden Fall entwickelt der Hinweis auf den manipulierenden Umgang der Menschen mit ihrer Umwelt, wie er hier angedeutet wird, zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr das erforderliche kritische Potential. Das hat auch John Dew erkannt und das Stück deshalb konsequent als humoristische Groteske über menschliche Schwächen inszeniert. Das Schwankhafte, Volkstümliche steht hier eindeutig im Vordergrund, und die Inszenierung will damit offensichtlilch Familien mit Kindern ansprechen.
Das beginnt schon mit der Bühne, die im naturalistischen, wenn auch leicht abstrahierten Gewand daherkommt. Ein Fachwerkhaus besetzt die linke Bühnenhälfte; hinter dem Haus ragt ein langer Ast in den offenen Bühnenraum, und daran baumelt die als Mond titulierte runde Laterne. Nach dem Mond-Diebstahl erscheint diese Konstellation im anderen Land spiegelverkehrt. Die vier Gesellen tragen grüne Wichtelkostüme mit Zipfelmütze, und der Chor, der hier die Bevölkerung darstellt, ist in ähnliche Kostüme gehüllt. Später wird der Chor die Toten der Unterwelt in weißen Totenhemden mit Schlafmützen darstellen.
Die vier Gesellen – Thomas Mehnert, David Pichlmaier, Minseok Kim und Florian Götz – gestalten ihre kriminellen Umtriebe mit deftigem Humor und einiger Tolpatschigkeit. Die vier Sänger fühlen sich in diesen grotesken Rollen durchaus wohl und sparen untereinander nicht an Tritten, Fausthieben und deutlichen Drohungen. Der Transport des gestohlenen führt sie durch den ganzen Zuschauerraum ud geht unter großen Mühen und gegenseitigen Beschimpfungen vonstatten. Vor den eigenen Mitbürgern prahlen sie plump mit ihrer Beute und schlagen eine ordentliche Belohnung heraus. Im Reich der Toten – nun plötzlich wieder durch die Befreiung von der Erdenlast beweglich geworden – kehren sie sofort zu ihrer alten Feier- und Rauflust zurück.

Monte Jaffe betrachtet das Unwesen der vier hoch aus dem Himmel über dem Totenreich, das Bühnenbildner José-Manuel Vásquez als aufgeschnittenen Friedhofshügel – oben Grabkreuze, unten Baumwurzeln – gestaltet hat. Wolken umwehen ihn, geben ihn und seinen goldenen Heiligenschein erst majestätisch frei und verdecken ihn nach seiner Rede wieder. Hier zitiert Vásquez ganz ungeniert die Gottes- und Himmelssicht des naiven Publikums früherer Epochen. Doch gerade die scheinbar ungebrochene Naivität dieser Darstellung birgt wiederum eine gehörige Portion Ironie in sich. Die Inszenierung zeigt damit sozusagen zwei Gesichter: eine naive, unmittelbar gemeinte an die Kinder, und eine ironisch gebrochene für die Erwachsenen, die allerdings die Ironie selbst bei der Rezeption in die Aufführung einbringen müssen. John Dew und José-Manuel Vasquez geben nur zarte Hinweise auf diesen ironischen Gehalt, in Gestalt eines abstrahierten Bühnenbildes sowie der Rolleninterpretationen.
Als Erwachsener kann man der Inszenierung dadurch auch ohne den Verweis auf das für Kinder Märchenhafte etwas abgewinnen. Das Märchenhafte weckt eine ferne nostalgische Erinnerung an die Utopie, der sich Kinder und junge Menschen gerne hingeben, das ironische Moment jedoch erinnert an eine Realität, die sich der Utopie permanent verweigert, und das nicht nur aus destruktiven Gründen.
Die Musik dazu wird stark von den Blechbläsern bestimmt. Vor allem die etwas stimmstärkeren Blasinstrumente kommen hier zu ihrem Recht und oft zum Einsatz, können sie doch das Groteske und Buffoeske am besten lautmalerisch darstellen. Auffallend ist dabei, dass die Musik in der Unterwelt, wo der sinnlose Zank der Zombies sich entwickelt, stark der Operetten- und Schlagermusik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ähnelt. Carl Orff intoniert hier mehr als deutlich seine Einstellung zu dieser Musik, und das Orchester unter der Leitung von Lukas Beikircher präsentiert diesen „Unterwelt-Medley“, wie man ihn fast nennen könnte, mit viel Spaß an eingängigen und süffigen Motiven.
Das Publikum hatte Spaß an diesem musikalischen Märchen und bedankte sich beim mit freundlichem beifall.
Weitere Aufführungan am 18. und 29. März sowie am 14. und 22. April
Frank Raudszus
Alle Fotos © Barbara Aumüller

 

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