Das Hamburger „Schmidt-Theater“ gastiert im hessischen Mühlheim

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Elena Zvirbulis, Mario Saccoccio, Susanne Hayo, Dominik Schulz, Susanne Hayo, Joseph Vicaire

Schlaghosen, enge Hemden und schmachtende Schlager
 

Das Hamburger „Schmidt-Theater“ gastiert im hessischen Mühlheim 
Das „Schmidt-Theater“ von der Hamburger Reeperbahn ist an der Elbe seit langem Kult, eine Ikone. Unvergessen „Frau Jaschke“, die im engen Kostüm mit ebenso engem Blick durch eine hässliche Hornbrille die Wechselfälle des Leben betrachtet und dabei krampfhaft die Handtasche an die Brust drückt. Im Jahr 2008 hat Corny Littmann, Gründer und Leiter des Schmidt-Theaters, eine neue Revue unter dem Titel „Karamba“ auf die Bühne gestellt, in der die Schlagerwelt der siebziger Jahre wiederauflebt. Martin Lingnau und Mirko Bott zeichneten für Bühnenbild und musikalische Gestaltung verantwortlich, während Corny Littmann die Regie übernahm. Die Musik dazu spielte die fünfköpfige „Tivoli“-Band.

Susi Banzhaf, Joseph Vicaire, Elena Zvirbulis, Susanne HayoWie kommt nun eine solche Truppe ausgerechnet in das kleine Mühlheim am Main, und das nicht nur für ein Gastspiel sondern für ein Vierteljahr? In Mühlheim residiert das private Kabarett-Theater „Gerdas kleine Weltbühne“ von Gerd Ballon. Die Welt dieser Theatergattung ist klein, und so kennt man sich recht gut. Irgendwann muss wohl beim dritten Bier oder „Äppelwoi“ die Idee eines Gastspiels aufgekommen sein, und kurz danach wurde aus dieser Schnapsidee Realität. Man beschloss kurzerhand, mit der erfolgreichen Revue „Karamba“ nach Mühlheim zu kommen und sich dort für ein Vierteljahr zu etablieren.

Am 29. März fand die Premiere in der Mühlheimer Willy-Brandt-Halle statt, und Corny Littmann ließ sich bei diesem Anlass nicht lumpen. Schon zwei Stunden vor dem offiziellen Beginn staute sich die Menge der Premierenbesucher an der Kartenausgabe, und die kostenlose Bewirtung mit Sekt, Wein und Bier sowie verschiedenen leckeren Häppchen brachte die Gäste schon vor der Öffnung des Vorhangs in Stimmung. Dazu dröhnten Schlager der Siebziger von der CD durch das Foyer der Halle.

Wer kennt eigentlich noch die „Sendung mit der Maus“ im Fernsehen? Hier kann man sich bei der „Ouvertüre“ von der dazugehörigen Musik wieder in die Zeit dieser Kultserie für Kinder zurückversetzen lassen. Dazu öffnet sich eine grellbunte Bühne, in der die plakativ-sorglose Atmosphäre der Siebziger wieder auflebt. Die Sechziger hatten die Deutschen mit den Studentenrevolten aus ihrem biederen Nachkriegsschlaf gerissen, und nach dem Abklingen der Revolte – von der schrecklichen RAF einmal abgesehen – feierte man im darauffolgenden Jahrzehnte wieder privaten Spaß und Konsum. Das spiegeln  auch die Schlagertexte dieser Zeit wieder, die sich durchweg mit dem Thema Liebe in allen Varianten beschäftigen, aber bis auf wenige Ausnahmen eher seicht und affirmativ im Sinne einer heilen Welt. Was intellektuelle Kreise damals als Rückschritt brandmarkten, wirkt heute, vierzig Jahre danach, geradezu rührend frisch und naiv und  reizt sämtliche Nostalgie-Nerven der überwiegend schon reiferen Besucher. Die meisten von ihnen dürften die Zeit zumindest aus Kindersicht noch in Erinnerung haben, viele aber auch als junge Menschen, die der Musik in abgedunkelten Discotheken beim Klammerblues lauschten.

Joseph Vicaire, Elena Zvirbulis, Dominik SchulzCorny Littmann hat bei seiner Revue auf jegliche gesellschaftskritische Zeigefinger verzichtet. Wenn überhaupt, zieht er die grelle Mode und den vordergründigen Frohsinn der damaligen Pop-Welt durch den Kakao. Dabei hält er ein hohes Tempo und lässt seine Darsteller immer wieder in witzigen Sketches auftreten. Ein Volltreffer sind dabei die nachgestellten Szenen der Fernsehwerbung aus dieser Zeit, die aus heutiger Sicht vor Plattheit und Schablonenhaftigkeit geradezu strotzten. Ob es sich um Waschmittel oder Deodorants handelte, immer wieder werden die Vorzüge des jeweiligen Produkte in gestanzter Rede und Szenen grotesker Lächerlichkeit dargestellt. Der hohe Wiedererkennungseffekt lockte denn auch spontane Lachsalven aus dem Publikum. Ein weiterer Höhepunkt ist die – aus Loriot bekannte? – Ansage der Fernsehsprecherin, die sich bei der Zusammenfassung einer englischen Serie hoffnungslos in den „Tea Eitschs“ verheddert.
Wer die Zeit bewusst erlebt hat – und das ist beim Rezensenten der Fall -, gleitet von Lied zu Lied mehr in die Vergangenheit zurück. Bei Schlagern wie „Michaela“ oder „Anita“ stellen sich automatisch die Assoziationen an Erlebnisse und Atmosphäre dieser Epoche ein, und beim Auftritt des weißblonden Heino mit „Blau, blau, blau blüht der Enzian“ erwacht prompt das – nun humoristisch gefärbte und nostalgisch aufgeweichte – Entsetzen über diese Art der Volksmusik. Auch Mireille Mathieu, der „Spatz von Paris“ mit der strahlenden Stimme, erfährt gebührende Würdigung, und die Welle der spanischen Schlager wie „Eviva Espania“ oder „Spaniens Gitarren“ erinnert an eine Zeit, als der Urlaub in den südlichen Ländern noch nicht eine Selbstverständlichkeit für Jedermann sondern Sehnsuchtsziel war. Die „Fiesta Mexicana“ fügt diesen Fernweh-Anfällen noch eine mexikanische Variante hinzu, bei der die Darsteller an tänzerischen Einlagen nicht sparen und aus voller Kehle das Klischee des südamerikanischen Temperaments besingen, heute aber mit deutlich ironischem Augenzwinkern.

Im zweiten Teil geht es dann weiter nach Griechenland mit Sirtaki, „Griechischem Wein“ und „Weißen Rosen aus Athen“ (wer kennt die Lieder noch?), wobei sich Littmann jegliche – naheliegenden – Anspielungen auf die aktuelle Lage verkneift und stattdessen die retsinaselige Sirtaki-Folklore des damaligen Hellasbildes parodiert.

Mit den „Liebesgrüßen aus der Lederhose“ karikiert Littmann den gleichnamigen Film und damit die bodenständigen Sexfilme der siebziger Jahre, die schon damals hart an der Karikatur entlangschrammten. Hier spart er nicht an Deftigkeit, und man staunt, welche Assoziationen dabei ein glatter Frauenarm wecken kann.

Natürlich dürfen auch „Stimmung und Spaß“ nicht fehlen, die sich in Deutschland ja gern in Bierzelten bei lautem Singen von Texten sehr überschaubarer Komplexität abspielen. Wer sich hier ein wenig auskennt, bei dem wecken Titel wie „“Schöne Maid“ oder „Heute hau´n wir auf die Pauke“ sofort einschlägige Erinnerungen. Die Darsteller kosteten den ironischen Spaßeffekt dieser mittlerweile fast in der Vergessenheit versunkenen Lieder voll aus und schmetterten sie mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Begeisterung und Naivität ins Publikum, das daraufhin begeistert mitklatschte.

Wie es sich für eine solche Retrospektive gehört, drängten sich die „Ohrwürmer“ zum Finale förmlich. Dabei ging es mal sentimental („er gehört zu mir“), mal temperamentvoll („Tanze Samba mit mir“) zu, und den Abschluss bildete Reinhard Mays melancholisches „Gute Nacht Freunde“. Klar, dass nach dem unvermeidlich jubelnden Beifall noch einige fetzige Zugaben folgten, darunter auch das bekannte Seemannslied „Karamba, Karacho, ein Whiskey“, das dem Programm den Titel geliehen hatte.

Das Premierenpublikum zeigte sich hellauf begeistert, und man darf annehmen, dass diese Tournee ein großer Erfolg wird.
Die Revue „Karamba“ läuft bis zum 16. Juni jeweils mittwochs um 19 Uhr und donnerstags bis samstags um 20 Uhr in der „Willy-Brandt-Halle“ in der  Dietesheimer Straße 90 in Mühlheim am Main.

Weitere Informationen über www.main-schmidt.de

Frank Raudszus
 

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