Richard Dawkins: „Der Gotteswahn“

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Ein engagiertes Buch über einen aufgeklärten Atheismus

Obwohl die Gottesdienste in den meisten europäischen Staaten immer schlechter besucht werden, spielt die Religion hier noch immer eine wichtige Rolle. Zwar trägt in Deutschland nur eine politische Partei explizit den Begriff „christlich“ in ihrem Namen, aber es fällt auf, dass auch die anderen Parteien, selbst die Linke, sich hüten, eine klare Absage an jegliche Art der Religion zu formulieren. Das mag auf der linken Seite des politischen Spektrums hauptsächlich an wahltaktischen Gründen liegen, zeigt aber, dass die Zeiten eines aggressiven, polemischen Atheismus vorbei sind. Ja, es gilt im öffentlichen Leben geradezu als „faux pas“, sich deutlich gegen die Religion(en) als solche auszusprechen, da man die Gefühle der Gläubigen verletzen könnte, die offensichtlich einen Sonderstatus genießen. Da der Islam aus naheliegenden innen- und außenpolitischen Gründen eine besondere Rolle einnimmt, wollen wir ihn bei diesen Betrachtungen ausklammern und uns auf das Verhältnis der (West-)Europäer zu ihrer eigenen, jüdisch-christlichen Religion beschränken.
Atheismus gilt als unfein, hat man doch immer noch den „O-Ton“ der sowjetischen Raumfahrer im Ohr, die bei ihren ersten Erdumkreisungen im Weltraum vollmundig berichteten, dort oben weder einen „Himmel“ noch einen „Gott“ entdeckt zu haben. Dennoch zeigen alle Statistiken und Korrelationen, dass die Gläubigkeit der westlichen Bürger deutlich abgenommen hat und in vielen Fällen „de facto“ nicht mehr vorhanden ist. Das liegt nicht zuletzt an den eklatanten Widersprüchen zwischen den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften – im Großen wie im Kleinen –  und der Botschaft der christlichen Religion, die immer noch weitestgehend auf der Bibel beruht. Die inhärente Logik eines solchen, auf einem „heiligen Buch“ basierenden Glaubens besteht darin, alles in diesem Buch Geschriebene für bare Münze zu nehmen, sei es nun das „Alte“ oder das „Neue Testament“. Die  katholische Kirche tut dies auch mehr oder weniger und blendet Widersprüche weitgehend aus, während die evangelische Kirche sich in vielen Fällen einer „symbolischen Deutung“ bedient und dabei den faktischen Wahrheitsanspruch aufgibt. Wenn jedoch der bedingungslose Glaube dem Wissen weicht, wächst die Gefahr, dass eine Religion zur rein karitativen Veranstaltung degeneriert. Denn wenn man die Bibel nach Belieben als wahr oder als metaphorisch auffassen kann, sind der individuellen Interpretation keine Grenzen mehr gesetzt, und damit verschwindet das „heilige Buch“ als Basis des Glaubens.
Der britische Evolutionstheoretiker Richard Dawkins hat den Mut, sich der verwaschenen Heuchelei der westeuropäischen – und US-amerikanischen! – Intelligenz entgegenzustellen und eindeutig Stellung zu beziehen. Für ihn sprechen alle vorliegenden Indizien für eine evolutionäre Entwicklung unseres Planeten und des Lebens auf ihm aus kleinsten Anfängen, und damit ist die Schöpfungsgeschichte für ihn schlicht Unsinn. In dem vorliegenden Buch greift er die Basis des religiösen Glaubens mit intellektueller Schärfe aber ohne vordergründige Polemik an und führt sie in mehr als einer Hinsicht „ad absurdum“. Nun könnte man meinen, Glauben sei schließlich Privatsache und ein Naturwissenschaftler brauche den Gläubigen nicht ihr spirituelles Weltbild auszutreiben. Doch Dawkins sieht das durchaus anders. Er untersucht die Entstehung der Religion(en) aus evolutionärer Sicht und kritisiert ihren Machtanspruch. Dabei streift er die dunklen Zeiten der christlichen Religion – Inquisition, Hexenverbrennungen – nur, da er soclhe Anklagen der klerikalen Vergangenheit offensichtlich als wohlfeil betrachtet. Er findet auch in der Gegenwart genug Kritikpotential, und das vor allem bei den „Kreationisten“ und Vertretern des „Intelligent Design“ US-amerikanischer Prägung. Erstere behaupten noch heute, die Erschaffung der Welt sei exakt nach den Angaben der Bibel vor etwa 6000 Jahren erfolgt, und letztere weichen diese besonders puristische Haltung dahingehend auf, dass sie zwar den Gang der Evolution im Großen und Ganzen akzeptieren, aber dahinter ein höheres, den Gang der Evolution planendes und steuerndes Wesen postulieren, das man verehren müsse.
Dawkins wäre nicht Wissenschaftler, würde er sein Buch nicht methodisch aufziehen. Er geht dem Wesen der Religionen in seinen wesentlichen Details nach und legt überall die Widersprüche und den unehrlichen Umgang mit ihnen offen. Nach einer Übersicht über poly- und monotheistische Religionen kommt er auf den Unterschied zwischen Atheismus und Agnostizismus zu sprechen. Letzterem spricht er eine gewisse „Feigheit“ zu, da er sich in die Mitte zwischen den Aussagen „Es gibt einen Gott“ und „Es gibt keinen Gott“ positioniert mit der Behauptung, man könne weder das eine noch das andere beweisen. Als Naturwissenschaftler weist er mit Recht daraufhin, dass die Behauptung der Gottesexistenz wohl eine Hypothese sei, der Zweifel an einer Hypothese aber selbst keine. Wenn eine Hypothese durch nichts belegbar sei aber viele Indizien (nicht Beweise!) dagegen sprächen, müsse man die Hypothese wohl ablehnen. QED.
Damit kommt er folgerichtig zu den verschiedenen „Gottesbeweisen“, denen er tendenziell allen den logischen Fehler eines Zirkelschlusses nachweist, bei dem die Behauptung als Beweis betrachtet wird. Die platteste Version eines solchen „Beweises“ besteht darin zu behaupten, ein so komplexes System wie das (menschliche) Leben könne nur von einem allmächtigen Gott geschaffen worden sein. In diesem Zusammenhang legt er auch den logischen Widerspruch von „allwissend und allmächtig“ offen: wer allwissend ist, kennt auch die gesamte Zukunft, die er dann natürlich nicht mehr ändern kann. Andernfalls hätte er sie nicht gewusst…..
In einem eigenen Kapitel bringt Dawkins Belege dafür, „warum es mit Sicherheit keinen Gott gibt“. Dabei spielen die Begriffe „nicht reduzierbare Komplexität“ und das „anthropische Prinzip“ eine Rolle. Der erste Begriff wird von Religionsverfechtern gern als „Gottesbeweis“ definiert, frei nach dem Motto: wenn etwas nicht mehr auf einfachere Komponenten zurückgeführt werden kann, muss es dafür einen Schöpfer geben. Dawkins entlarvt diese Argumentation als Fehlschluss, da ein solcher Schöpfer noch viel komplexer als das Geschaffene sein müsse und sofort die Frage aufkommen würde, wer denn diesen Schöpfer geschaffen habe. Die Religion setzt an dieser Stelle einfach den bedingungslosen Glauben. Die Tatsache, dass es in diesem ungeheuer großen Universum Wesen gibt, die über den Kosmos und sich selbst nachdenken (was ist das eigentlich?), nimmt er nicht als Beweis für ein göttliches Wesen, sondern erklärt es als „anthropisches Prinzip“. Nicht die Welt wurde (von Gott) für die Menschen gemacht, sondern irgendwo in den Aber-Milliarden Sternensystemen ergeben sich Bedingungen, die nicht nur die Entstehung von komplexen Organismen sondern auch von dem ermöglichen, was wir „Leben“ nennen. Laut Dawkins sind wir da, weil wir da sind, nicht, weil uns ein höheres Wesen gezielt geschaffen hat.
Auch die Ursprünge der Religion leitet Dawkins aus evolutionären Gesetzen ab. Dabei definiert er den Begriff der „Gruppenselektion“, die besagt, dass in der Frühzeit der Menschheit eine Gruppe mit einheitlichem Wertesystem einen Überlebensvorteil besaß. Außerdem entwickelt er am Beispiel der Motten den Begriff eines unter Umständen fatalen „Nebenprodukts“. Motten orientieren sich als Nachttiere am Licht der Sterne und versuchen dann auch instinktiv, das Licht einer Kerze stets im gleichen Winkel zu halten, was sie in dieselbe stürzen lässt. Bei der Religion sieht er ähnliche Mechanismen: eine Population kann nur überleben, wenn der noch schwache und gefährdete Nachwuchs die Werte und Vorschriften der Elterngeneration ungefragt übernimmt. So pflanzt sich Relegion als „Dogma“ von Generation zu Generation fort. Dawkins verweist allerdings darauf, dass dies nur eine von threoretisch vielen möglichen Antworten auf die Frage nach der Entstehung von Religionen ist.
Eine weiteres Kapitel widmet Dawkins der Behauptung der Religionsvertreter, Religion sei wichtig als Wertesystem. Ohne sie verfalle die Menschheit dem Chaos und letztlich dem Untergang. Dem hält Dawkins nur die Bibel entgegen. Geradezu genüsslich präsentiert er die Greuelmärchen des „Alten Testaments“, die ohne jegliche Scheu das Abschlachten der Gegener des jüdischen Volks fordern oder die Frauen öffentlich als minderwertiges Gebrauchsgut deklarieren. Doch auch das „Neue Testament“ ist laut Dawkins nicht viel besser. Zwar attestiert er dem „Wanderprediger“ Jesus eine hohe menschliche Gesinnung, weist aber deutlilch darauf hin, dass auch Jesus mit seinen Erlösungsgeschichten stets nur die Juden gemeint habe. Auch für die „Ankerfigur“ des „Neuen Testaments“ gilt, dass er die Heiden und Ungläubigen als minderwertig betrachtete. In diesem Zusammenhang wird den Atheisten (und Dawkins) stets „vorgeworfen“, dass Hitler und Stalin Atheisten waren. Diese Unlogik kann Dawkins nur mit einem lakonischen „na und?“ beantworten, denn hier werden offensichtlich zufällige Korrelationen mit Kausalitäten verwechselt. Daneben kann er natürlich auf die eindrucksvolle Liste religiöser Verbrecher von der Inquisition über den Dreißigjährigen Krieg bis zu Verfolgungen neueren Datums verweisen.
Die vorwurfsvolle Frage, „was denn so schlimm sei an der Religion“ und ob man die Gläubigen nicht in Ruhe ihrem Glauben nachgehen lassen könne, beantwortet Dawkins eindeutig und engagiert. Seine vielen Beispiele besonders aus dem US-amerikanischen Raum – Evangelikale, Kreationisten und andere – belegen seiner Meinung nach deutlich den anti-aufklärerischen und repressiven Charakter der Religion. Nicht nur versuchen die Strenggläubigen, ihre Schäfchen von allem modernen Wissen fernzuhalten, sondern sie fordern von ihnen auch einen bedingungslosen, nie zu hinterfragenden Glauben. Darüber hinaus führen besonders die fundamentalistischen Kirchen einen Krieg gegen alle Kritiker und „Ungläubigen“ bis hin zu Vernichtungsphantasien, die Dwawkins aus vielen Veröffentlichungen belegen kann. In diesem Zusammenhang kommt er auch auf die Abtreibung, ihre militanten Gegner und ihre Strategien sowie Argumentation zu sprechen, die darauf hinausläuft, dass die gezielte Ermordung eines Abtreibungsarztes eine gute Tat ist, da sie die Zahl der „Baby-Mörder“ verringere.
Zum Schluss kommt Dawkins noch auf die Bedeutung von Kindheit und die Bedeutung der Religiion für empfängliche und leicht zu prägende Kinderseelen zu sprechen. Ihn empört schon die Bezeichnung „protestantisches“ oder katholisches Kind“, da seiner Meinung nach nur die Eltern diese Bezeichnung führen können, da ein Kind noch gar keine religiöse Wahl treffen kann. Er plädiert für Aufklärung und Bildung, die es einem Kind ermöglichen, irgendwann selbst die Entscheidung über Glaubensdinge zu treffen. In diesem Zusammenhang kommt er auf den Skandal staatlich subventionierter britischer Schulen zu sprechen, die sich eindeutig einem kreationistischen Weltbild verschrieben haben und ihre Schüler in dieser Richtung indoktrinieren.
Richard Dawkins bekennt sich in diesem Buch zu einem aufgeklärten, nicht aggressiven Atheismus. Für ihn kann ein Atheist die gleichen menschlichen Wertevorstellungen hegen und befolgen, die bisher die Religionen für sich reklamiert haben, und mit seiner zwar engagierten aber nie polemischen Argumentation wirbt er für eine nicht „gottlose“ aber „gottfreie“ Gesellschaft, deren Mitglieder auch ohne den Glauben an ein höheres, alles regelndes, beobachtendes und bestrafendes Wesen miteinander in Frieden leben können.
Das Buch „Der Gotteswahn“ ist als Taschenbuch im Ullstein-Verlag unter der ISBN 978-3-548-37232-7 erschienen, umfasst 574 Seiten und kostet 9,95 €.

Frank Raudszus
 

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