Das 4. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt führt Brahms und Beethoven zusammen

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Johannes Brahms im Alter von zwanzig Jahren

Alliteration auch im Gehalt
 
Das 4. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt führt Brahms und Beethoven zusammen
Das 4. Sinfoniekonzert der Saison sollte eigentlich bereits im Februar stattfinden, doch die umfangreichen Vorbereitungen zu dem Marinskij-Gastspiel erforderten eine Verlegung auf den frühen Mai. So kann es also kommen, dass das vierte Konzert nach dem sechsten erklingt.

Das Komponistenpaar Brahms und Beethoven alliteriert nicht nur so schön, sondern die beiden Komponisten verbinden auch inhaltliche Aspekte. Das gilt natürlich nur in einer Richtung, denn Beethoven starb sechs Jahre vor Brahms´ Geburt. Dagegen fühlte sich Brahms stets gerade Beethoven eng verbunden. Diese Verbundenheit bestand zuallererst in einer großen Verehrung und Ehrfurcht, und Brahms empfand den Vorgänger nicht nur als hehres Vorbild sondern vielmehr als drückende Bürde für den eigenen musikalischen Entwicklungsprozess. Jede Komposition gleich welcher Gattung – Sinfonie, Klavierkonsonate und -konzert, Violinkonzerte und Streichquartette, maß er zwangsläufig an den entsprechenden Werken Beethovens, und dieser war bekanntlich auf fast all diesen Gebieten Wegbereiter des Neuen und Revolutionären.

So hatte noch der alte GMD Constantin Trinks in diesem Programm Brahms´ weit ausladendes 1. Klavierkonzert in d-Moll und Beethovens zweite Sinfonie in D-Dur zusammengeführt. Beide Komponisten verfassten diese Werke in noch jungen Jahren, Beethoven mit Anfang dreißig, Brahms mit Mitte zwanzig. Die Werkanalyse hat dabei ergeben, dass Brahms im ersten Satz seines Klavierkonzerts ein Thema aus Beethovens 9. Sinfonie verarbeitet, die den jungen Brahms Mitte der 50er Jahre stark beeindruckt hatte. Für den Solopart des Brahms-Klavierkonzerts hatte man den international renommierten deutschen Pianisten Bernd Glemser engagiert, die musikalische Leitung am Pult übernahm der amtierende GMD Martin Lukas Meister.

Ludwig van Beethoven etwa 1804-1805Das erste Klavierkonzert von Johannes Brahms fällt in die Zeit der beginnenden Industrialisierung, die mit einem sich enorm beschleunigenden Tempo das beschauliche Biedermeier ablöste. Diese Randbemerkung ist wichtig, um die Musik einordnen zu können. Die Hochromantik versuchte sich gegen den gesellschaftlichen Wandel durch Abschottung und durch das hochgehaltene Bild einer heilen Welt bis hin zum schlimmsten Kitsch à la „Gartenlaube“ oder Courts-Mahler zu wehren. In den gehobenen Sphären der Kunst wiederholte sich dieser Vorgang auf verfeinerte und musikalisch anspruchsvolle Weise. So entführt Brahms´ Klavierkonzert die Zuhörer in eine Welt fern des grauen, schmutzigen und unsozialen Alltags und in einen abgeschlossenen Ort der Sehnsucht nach dem Heilen und Heilenden. Brahms gelingt es dabei, für die Dauer des Konzerts eine eigene emotionale und geistige Atmosphäre aufzubauen, die den Zuhörer versöhnt und daran glauben lässt, dass es außer der Angst vor der Zukunft und der Unsicherheit des täglichen Lebens doch noch ein Leben in Frieden und mit tiefen Gefühlen gibt. Diese Musik führt zurück in die Kinderzeiten, ohne dass sie die Qualität von simplen Kinderliedern annimmt. Motive, Harmonien und melodische Bögen schaffen einen eigenen musikalisch-emotionalen Raum, der zurückführt in eine Phase der Überzeugung, dass alles richtig eingerichtet ist.

Der Pianist Bernd GlemserDass dies nicht der Fall ist, merkt der Konzertbesucher zwar nach dem Konzert, wenn er hinaus auf die Straße tritt, doch während des Konzerts selbst genießt er den Rückzug in eine Welt der emotionalen Sicherheit und Fülle. Brahms muss selbst in diesem Widerstreit zwischen gesellschaftlichem Zustand und menschlicher Sehnsucht gestanden haben und hat letzterer in seinem Konzert überzeugend Ausdruck verliehen. So greifen die warmen Holzbläser immer wieder die Themen des Klaviers auf und transformieren die teils brillant, teils vollhändig angebotenen Motive in ein sehnsüchtiges Echo. Sowohl das Klavier als auch das Orchester stellen nicht prägnante Themen in den Vordergrund, die es aufzunehmen und thematisch weiterzuverarbeiten gilt, sondern sie schaffen um die sich nur geringfügig ändernden Motive ausgedehnte Klangflächen. Man könnte es einfacher so formulieren, dass hier nicht der Kopf sondern das Herz regiert.

Nicht umsonst ist der erste Satz mit „Maestoso“ überschrieben: breit und mächtig wie die Elbe bei Hamburg strömt der Fluss der Musik dahin, einzelne Wellen und Stromschnellen, dann mal ein Wehr und eine Stauung prägen diesen Flusses, können sein majestätisches Dahinströmen aber nicht gravierend beeinflussen. Der zweite Satz ist ein Adagio, das dem majestätischen einen lyrischen, fast entsagenden Aspekt zur Seite stellt, und erst der dritte Satz bringt so etwas wie wahres Leben und Temperament ins Spiel, als wolle Brahms am Ende sagen, man solle sich aus der wohligen Wärme des inneren Rückzugs lösen, um die echte Welt kennenzulernen.

Bernd Glemser brachte diese melancholische Sehnsucht in Brahms´ Konzert überzeugend zum Ausdruck, glitt dabei jedoch nie in Sentimentalität oder gar Larmoyanz ab. Im Gegenteil: vor allem im dritten Satz zeigte er ein zupackendes Spiel und erinnerte streckenweise daran, dass Beethoven das große Vorbild für Johannes Brahms war. Der kräftige Beifall des Publikums hielt so lange an, bis Glemser noch ein Klavierstück von Brahms als Zugabe spielte.

Damit ist das Stichwort zum zweiten Teil des Abends gegeben. Beethovens Musik ist von ganz anderer Art. Obwohl die sozialen und gesellschaftlichen Zustände Anfang des Jahrhunderts – nachrevolutionär, napoleonisch, kriegerisch – faktisch wesentlich prekärer waren als zu dessen Mitte, befanden sich vor allem die Künstler als Seismographen der Gesellschaft in Aufbruchsstimmung. Mozart hatte die Loslösung des Musikers von seinen – adeligen – Auftraggebern eingeleitet, Beethoven sie konsequent fortgeführt. Die Musik war fortan Selbstzweck und nicht mehr Auftragskunst, auch wenn sie noch formell bestimmten Auftraggebern zugeeignet war. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg und die daraus folgende französische Revolution mit all ihren Folgeerscheinungen hatten die Völker das Gefühl der Freiheit kennenlernen lassen, Napoleon galt (bei Beethoven) noch als Held, und der Wiener Kongress hatte noch nicht die Restauration eingeleitet. Das alles spiegelt die 2. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wider: Aufbruchsstimmung, Optimismus und Lebensfreude. Dur statt Moll, vorwärts drängende Rhythmik statt melancholischen Dahinfließens wie später bei Brahms. Sicher gilt diese Sinfonie unter Beethoves neun Versuchen über diese Gattung nicht als die bedeutendste, aber vielleicht neben der Ersten als die fröhlichste, wenn man sie mit der trotzigen Enttäuschung der Dritten, den Schicksalsschlägen der Fünften und der aufbegehrenden Trauer der Siebenten vergleicht. Die Vierte, Sechste und Achte nehmen Übergangs- bzw. Spezialpositionen ein, und die Neunte hat sowieso apotheotischen Charakter. Die Zweite überzeugt durch ihre Unbeschwertheit und Leichtigkeit, obwohl sie eine für ihre Zeit bereits ungewöhnliche rhythmische und instrumentale Komplexität aufweist, die auch die Zeitgenossen verwirrte. Rhythmisch und melodisch versetzte Themen in den einzelnen Instrumentengruppen scheinen heutigen Zuhörern selbstverständlich, stellten damals jedoch ein Novum dar.

Martin Lukas Meister kehrte mit seiner Interpretation gerade das Leichte und Optimistische dieser Komposition heraus. Das begann schon mit dem frischen Tempo, das er jedoch nie überzog, sowie dem leichten und doch forschen Strich der Streicher und dem lebensfrohen Einsätzen der Bläser, seien es Holz oder Blech. Nichts wirkte düster-beethovensch, sondern durchweg überwog eine heitere, fast mozartsche Stimmung.

Das Publikum dankte dem Ensemble für diese gelungene Inperpretation mit langem, kräftigem Beifall.

Frank Raudszus

 

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