Die Kammerspiele des Staatstheaters Darmstadt bringen das Stück „Luise & Mathilde“ zur Uraufführung

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Finn Henrik Hanssen (Ein junger Spielmann), Sonja Mustoff (Mathilde), Margit Schulte-Tigges (Luise)

Fischsuppe mit Büchners Schwestern
 

Die Kammerspiele des Staatstheaters Darmstadt bringen das Stück „Luise & Mathilde“ zur Uraufführung
Das Büchner-Jahr naht mit großen Schritten, und da gilt es vor allem für das Theater seiner Heimatstadt Darmstadt, sich und das Publikum bereits rechtzeitig auf das Jubiläum vorzubereiten. Außer drei – übrigens sehr erfolgreichen – Brüdern hatte Georg Büchner auch zwei Schwestern: Luise und Mathilde. Beide blieben Zeit ihres Lebens unverheiratet und lebten zusammen. Luise kämpfte mit verschiedenen Mitteln, auch literarischen, um die Rechte der Frauen und wurde damit über Darmstadt hinaus bekannt. Mathilde blieb Zeit ihres Lebens Hausfrau und trat in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung. Doch im kleinen lokalen Kreis war sie durchaus sozial tätig und führte darüber hinaus den Haushalt der zwei Frauen.

Margit Schulte-Tigges (Luise), Sonja Mustoff (Mathilde)Der Autor Peter Schanz hat sich im Auftrag des Staatstheaters Darmstadt der Geschicht dieser beiden Frauen angenommen, sie in dem Einakter „Luise & Mathilde“ für die Bühne aufbereitet und auch gleich die Regie der Uraufführung übernommen. Dazu ist der im hohen Norden Deutschlands lebende Autor für längere Zeit nach Darmstadt gekommen und hat hier umfangreiche Recherchen nicht nur über das Leben der beiden Frauen sondern auch über viele lokale Besonderheiten und alle möglichen Relikte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts angestellt. Mit diesem Detailwissen überraschte er das Darmstädter Premierenpublikum eins ums andere Mal. Man kennt diesen Effekt von ausländichen Besuchern, die mehr über Darmstadt wissen als die meisten Einheimischen. Schauspieldirektor Martin Apelt hat dazu das Bühnenbild und die Kostüme gestaltet.

Schanz zeigt seinen subtilen Sinn für Humor gleich zu Beginn. Die Bühne sieht aus wie eine Requisitenkammer, in der sich Möbel aus dem 19. Jahrhundert stapeln und auf Verwendung in einem passenden Stück warten. Aus dem dunklen Hintergrund nahen zwei Frauenstimmen, deren Besitzerinnen man zuerst hinter dem rollbaren Kleiderständer nicht sieht. Verwundert stellen die beiden fest, dass die Zuschauer ja schon alle da sind, und klären dann erst einmal, wer denn nun welche Rolle spielen soll. Denn diese beiden – Margit Schulte-Tigges und Sonja Mustoff – sind in der kleinen Rahmenhandlung Schwestern, die sich gutmütig um die vermeintlich attraktivere Rolle kabbeln. Nachdem sie die Rollenfrage geklärt haben – Margit Schulte-Tigges spielt die „intellektuelle, aufgeklärte, emanzipierte“ Luise, kurz: die Glanzrolle, und Sonja Mustoff das „Hausmütterchen“ Mathilde, richten sie Wohnstube und Küche der Biedermeierwohnung her und ziehen sich die schwarzen Jungferngewänder an. Etwas später folgen die strengen Zopf-Perücken dieser Zeit, die den Frauen den Ausdruck der Unnahbarkeit verliehen.

Nun beginnt ein Vexierspiel der Zeiten und Verweise. Vordergründig spielen die beiden Schauspielerinnen ihre Rollen als Luise – schreibend, lesend und dozierend – und Mathilde – Gemüse putzend und am Herd brutzelnd. Doch die Gespräche sprengen immer wieder den zeitlichen Rahmen, wenn Luise alias Margit Schulte-Tigges ihrer Schwester erklärt, dass ein bestimmtes Ereignis doch erst Jahre später, also lange nach dem Tod der historischen Frauen, eintritt. So vermischt Peter Schanz immer wieder gezielt drei Zeitebenen miteinander: die Zeit des noch lebenden Georg Büchner in den dreißiger Jahren des vorletzten Jahrhunderts, die Zeit der beiden alternden Frauen, die sich erinnern, und die heutige Zeit der beiden Schauspielerinnen, die selbst wieder als solche fiktiv gedoppelt sind. Da steigert sich dann eine Kette von alternativen Begriffen schnell von konkurrierenden Gewürzen für die Suppe über die führenden Darmstädter Tanzschulen („Bäulke oder Stroh“) bis zum finalen „Tod oder Leben“. Und immer wieder werden der Darmstädter Bürger und seine Eigenarten – nicht immer angenehme – aufgespießt, wobei man bald nicht mehr weiß, ob es Originaltöne aus Büchnerschen Mündern des 19. Jahrhunderts oder satirische Anmerkungen zur Jetztzeit sind.

Georg Büchners wird nur mittelbar gedacht. Zur Zeit der beiden alternden Jungfern stand seine literarische „Entdeckung“ noch bevor, und so war er für die beiden Frauen nur der geliebte und streitbare Bruder, doch noch nicht der verehrte Dichter. Sie erwähnen ihn immer wieder fast beiläufig aber dennoch liebevoll und etwas sehnsüchtig. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den beiden Schwestern und dem intellektuellen Spannungsfeld zwischen ihnen, das sich jedoch – zumindest im Theaterstück – nie zum Zwist entwickelte. Luise raisonniert gerne – und berechtigt – über den Lauf der Welt und speziell über die Unterdrückung der Frau, und Mathilde holt sie mit bodenständigem Humor immer wieder auf den Boden der Realität „hic et nunc“ zurück. Mathilde weiß um ihre intellektuelle Begrenztheit, aber sie leidet nicht darunter sondern identifiziert sich mit ihrer Rolle als „treu sorgende“ Hausfrau. Die gesprochenen Texte werden großenteils durch Zitate aus dem schriftlichen Werk von Luise Büchner gestaltet. So sprechen die beiden Frauen ein Gedicht von Luise in verteilten Rollen, und später trägt Luise ein längeres gesellschaftspolitisches Traktat über die Situation der Frau vor, das fast ohne Abstriche von einer heutigen Grünen- oder SPD-Politikerin im Bundestag präsentiert werden könnte. Schon damals stand die Forderung nach mehr Kinderhorten im Vordergrund, um den Frauen mehr Unabhängigkeit zu verschaffen.

Während die beiden teils scherzhafte, teils lehrreiche Bermerkungen austauschen und sich gegenseitig mit mehr oder minder ironischem Unterton necken, sich auch einmal sanft kritisieren und dann wieder der Brüder an Hand von Fotografien gedenken, beginnt auf dem Herd tatsächlich irgendwann ein Topf zu dampfen. Ging man bis zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass Mathildes Kocherei lediglich eine fiktive Betätigung darstellt, naht jetzt ein Moment, der das Publikum tatsächlich überrascht. An dieser Stelle sei nicht mehr verraten als dass dabei eben die Barben eine Rolle spielen, an deren Innereien sich Georg Büchner angeblich einst tödlich infizierte.

Doch auch ohne diese zusätzliche Überraschung lohnt ein Besuch dieses Zweipersonenstücks, vermittelt es doch auf leichte, ironische und dennoch historisch korrekte Weise einen Eindruck vom Leben der beiden Schwestern des Darmstädter Dichters sowie der Zustände in selbiger Stadt und den meisten damaligen Kleinstaaten, um den Begriff „Republik“ bewusst zu vermeiden. Dass die beiden Schwestern am Ende ihrer Lebenszeit und damit wahrscheinlich auch zur Zeit ihrer fiktiven Gespräche bereits in einem „Deutschen Kaiserreich“ lebten, dürfte an diesen Zuständen leider nicht allzuviel geändert haben. 

Margit Schulte-Tigges und Sonja Mustoff ergänzen sich ideal in ihren komplementären Rollen: der intellektuell scharfzüngigen und ihre Schwester stets ein wenig belehrenden Luise und der so gutmütigen wie lebensstarken Mathilde, die sich nicht die „Butter vom Brot“ nehmen lässt. Das Zusammenspiel der beiden ist ein Genuss für die Zuschauer. Ihnen assistiert Finn Henrik Hanssen als junger Spielmann mit Gitarre, der plötzlich auf einen dahingesagten Wunsch von Luise hin („Ach, hätten wir jetzt einen jungen, dreiundzwanzigjährigen Musikanten hier bei uns….“) in der Wohnung steht und fortan typische Volks- und Rebellenlieder des 19. Jahrhunderts spielt und singt. Doch auch ihn schickt Leuise irgendwann einmal freundlich aber konsequent weg, wenn ihr gerade danach ist. Ein bezeichnendes Beispiel ihrer Unabhängigkeit.

Das Premierenpublikum in den ausverkauften Kammerspielen zeigte sich begeistert – nicht nur von den schauspielerischen Leistungen! – und dankte gesättigt mit kräftigem, lang anhaltendem Beifall.

Frank Raudszus

Alle Fotos © Barbara Aumüller

 

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