Im 8. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt erklingt Musik von Sibelius, Williams und Ravel

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Dirigent Yordan Kamdzhalov

Facettenreiche Musik des frühen 20. Jahrhunderts

Im 8. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt erklingt Musik von Sibelius, Williams und Ravel
Im letzten Sinfoniekonzert der Saison ließ das Staatstheater Darmstadt die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts noch einmal zu Wort bzw. Ton kommen. Dabei hatte man Vertreter verschiedener Nationen ausgewählt, von denen zwei im wahrsten Sinne des Wortes als eher etwas randständig gelten: Englands Musik hatte seit Purcell keine bedeutenden Komponisten mehr hervorgebracht und holte dieses um die Wende zum 20. Jahrhundert mit Ralph Vaughan Williams nach. Finnland liegt nicht nur geographisch am Rande Europas sondern war auch musikalisch bis dahin nicht besonders hervorgetreten. Erst Jean Sibelius sollte dieser musikkulturellen Abgeschiedenenheit ein Ende setzen. Maurice Ravel dagegen, der Dritte in diesem Konzertbund, kam nicht nur aus einem europäischen Kernland der Musik sondern ist mit seinem musikalischen Werk auch fester Bestandteil aller Repertoires. Die musikalische Leitung dieses Abend übernahm der junge bulgarische , für den Solopart auf der Oboe war Albrecht Mayer zuständig.

Solo-Oboist Albrecht MayerZum Auftakt erklang Jean Sibelius´ erste Sinfonie in e-Moll aus dem Jahr 1899. Das Stück ist ein Albtraum für Bläser, da die Klarinette ganz allein mit einem längeren Solo beginnt, ohne Unterstützung des Orchesters und damit dem Publikum auusgeliefert. Doch Michael Schmidt meisterte diese schwierige Situation mit Bravour und erfuhr dafür vom Dirigenten später auch eine besondere Hervorhebung. Nach der lyrischen Klarinetten-Eröffnung setzt das Orchester in langen, satten Streicherbögen ein, die zeitweise an Filmmusik erinnern. Die weitgehend ohne markante Metrik sich entwickelnde Musik lässt immer wieder einzelne Instrumente – vor allem die Bläser – in den Vordergrund treten und trägt deutlich emphatische, zeitweise choralartige Züge. Immer wieder blitzen programmatische Elemente durch, so wenn plötzlich Vogelstimmen erklingen oder wenn die Weite des flachen Landes musikalische Gestalt anzunehmen scheint. Die Musik schwingt sich zu höchster Intensität auf, die sich jedoch nicht im Tempo sondern in ausgereizten Klangfarben und langgezogenen Crescendi zeigt. Im Andante des zweiten Satzes meint man plötzlich Anklänge an Johannes Brahms zu erkennen, doch diese Assoziationen verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Erstaunlich ist die Eigenständigkeit, die Sibelius angesichts der schmalen musikalischen Basis seines Heimatlandes und des unvermeidlichen Einflusses der kerneuropäischen Musik – Wagner, Brahms, Mahler, Strauss – bewahrt hat. Beim besten Willen lässt sich kein dominierender Einfluss eines dieser Namen in seine Musik hineininterpretieren. Das gilt auch für den dritten Satz, das Scherzo, das erst leicht und tänzerisch daherkommt, dann Dynamik und breite entwickelt. Im Finale überwiegen dann lange Streicherpassagen, denen die Holz- und Blechbläser aus dem Rückraum der Bühne eigenwillige Strukturen aufprägen. Dazu setzt das umfangreiche Schlagwerk rhythmische Akzente. Die Fülle und Mächtigkeit der Klangbilder erinnert zeitweise ein wenig an Anton Bruckner, ohne dass jedoch direkte Anleihen zu erkennen sind.

Yordan Kamdzhalov dirigierte das Orchester mit viel Umsicht und Liebe zum klanglichen Detail. Immer wieder filterte er die einzelnen Instrumente und musikalischen Motive aus dem breit dahinfließenden Klangstrom heraus und hielt so die Transparenz aufrecht. Die Musiker unterstützten ihn dabei mit exzellenten Sololeistungen vor allem bei den Bläsern.

Diesen Schwerpunkt der Bläser nahm das zweite Stück des Abends auf. In Ralph Vaughan Williams´ Oboenkonzert wird das Soloinstrument nur von Streichern begleitet und muss so nicht mit den Klangfarben anderer Blasinstrumenten konkurrieren.Die Tonalität des im Zweiten Weltkrieg entstandenen Werkes unterscheidet sich deutlich von der eines Sibelius und weist die typisch schwebenden, fast distanzierten Klangfarben der Musik des späteren 20. Jahrhunderts auf. Dabei folgt sie jedoch stets den Gesetzen der traditionellen Harmonik und Struktur, allerdings erweitert um neue Elemente. Viele der Solopartien in diesem Konzert erinnern an den aufkommenden modernen Jazz. Das Stück ist – ganz herkömmlich – in drei Sätze unterteilt: ein moderates „Rondo“, ein tänzerisch leichtes Minuet/Musette und ein abschließendes „Scherzo“, das mit Presto, Lento und Presto durch alle Tempi geht. Bemerkenswert ist bei diesem Werk der durchgängige Dialog zwischen Solo-Instrument und Orchester, wobei mal das Soloinstrument und mal das Orchester das Thema vorgibt. Für die ausgiebige Variation dieser Themen ist dann stets die Oboe zuständig, und auch diese Solo-Bearbeitungen der einzelnen Themen erinnern an die freien Soli im Jazz des späteren 20. Jahrhunderts. Nur sind es bei Williams keine freien Improvisationen des Solisten sondern auskomponierte Durchführungen.

Albrecht Mayer erwies sich als wahrer Meister der Oboe und beeindruckte durch perfekte Technik sowie ausdrucksstarke Interpretation des musikalischen Materials. Gerne bewegt er auch Hände und Lippen bei den reinen Orchesterparts, als sänge er in Gedanken mit. Offensichtlilch ein Vollblutmusiker. Das bewies er dann auch bei den Zugaben nach einem begeisterten ersten Beifall, die er dem Publikum im Stil eines Unterhaltungskünstlers mit viel Humor nahebrachte. Die erste stammte von einem eher unbekannten Komponisten und ähnelte verdächtig Johann Sebastian Bachs „Air“, was dem Solisten Gelegenheit zu Anmerkungen über den Begriff des Plagiats gab, die zweite kam dann von dem größten deutschen Komponisten selbst – eben JSB -, der allerdings auch nichts gegen die Bearbeitung fremden Gedankenguts gehabt haben soll. Albrecht Mayer machte zusammen mit einigen Orchestermusikern aus diesen beiden Zugaben ein kleines „Extra-Konzert“, in dem er noch einmal seine musikalische Sonderstellung bewies.

Zum Abschluss spielte das Orchester Maurice Ravels Ballett-Musik zu „Daphnis et Chloë“. Aus dieser Aufgabenstellung ergibt sich der Typus einer programmatischen Musik fast zwangsläufig. Nicht nur gibt sie rhythmische Vorgaben an die Tänzer, sondern sie soll auch die jeweilige Stimmung des „Librettos“ wiedergeben. Bei dem mythischen Stoff des antiken Findlingpaares, das eine Reihe von Hindernissen und Gefahren überstehen muss, bis es schließlich vereint ist, bieten sich natürlich reichlich Gelegenheiten für besondere Klangwirkungen. Da ist einmal die lyrische Grundstimmung der Hirten auf dem Feld, die anfangs herrscht. Dann folgen die verschiedenen dramatischen Verwicklungen, die sich in emotionalen Aufwallungen der Musik widerspiegeln. Ravel ist ein Meister subtiler Klangfärbungen, wobei einmal der gesamte Orchesterkörper mit den Streichern ins Spiel kommt und zum anderen einzelne Instrumente wie etwa die Harfe die besondere Akzente setzen. Das Orchester unter Yordan Kamdzhalov zauberte einen wahren Klangrausch herbei, der auch die letzten atmosphärischen und psychologischen Stimmungselemente weckte. Breit und doch nie breiig floß der Klangstrom dahin, bildete an bestimmten thematischen Punkten Wirbel, suchte eine neue Klangrichtung, beruhigte sich dann bis zur reinen Lyrik und stürzte sich dann einen emotionalen Wasserfall hinab, der alle Instrumentengruppen bis zum Schlagzeug forderte, Bei aller emotionalen Intensität wirkt diese Musik jedoch nie wild oder unkontrolliert. Ravel sucht die Wirkung des raffinierten Klangelements und findet sie stets aufs Neue.

Das Orchester des Staatstheaters zeigte bei diesem Stück sein ganzes Können bei Intonation und Klanggestaltung, und Yordan Kamdzhalov beschränkte sich darauf, diese Fähigkeiten zu lenken und zu kanalisieren.

Das Publikum dankte den Musikern mit langem, kräftigem Beifall, und Yordan Kamdzhalov hob eine ganze Reihe von Mitgliedern des Orchesters wegen ihrer Leistungen zu Recht hervor, als ersten den Klarinettisten Michael Schmidt.

Frank Raudszus                                                               

 

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