Stefan Krass: „Der Rezensionsautomat“

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Kleine Betriebsanleitungfür Kritiker und Leser

Die Rezension des vorliegenden Buches stellt den Rezensenten vor ein gewisses Problem, ist er doch selbst – zumindest implizit – literaturwissenschaftlicher und satirischer Gegenstand. Das bedeutet: jede Aussage kann gegen den Rezensenten verwendet werden bzw. fällt auf diesen zurück!

Worum geht es? Das Buch beginnt scheinbar satirisch mit einem Bericht über eine Software, die automatisch Rezensionen  beliebiger Bücher erstellt. Dazu hat sich der Verfasser auf die – von Marcel Reich-Ranicki herausgegebene – „Frankfurter Anthologie“ abgestützt, im Rahmen seiner Arbeiten an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe eine Sammlung von Gedichten und Rezensionen bekannter Autoren und Kritiker. Die Rezensionen hat er in ihre Satzbestandteile aufgelöst, diese nach „Anfangs-, Mittel- und Endesätzen“ kategorisiert und schließlich eine Software entwickelt, die nach dem Zufallsprinzip einzelne Sätze auswählt und zu einer Rezension zusammenbaut. Die Beispiele sind insofern lehrreich, als dass sich kaum ein Unterschied zu „echten“ Rezensionen erkennen lässt. Das „dunkel Raunende“, die gewagten Paradoxien und die scheinbaren Widersprüche dieser künstliochen Rezensionen könnten genauso bei einem intellektuell ambitionierten oder nur schwafelnden – was ist der Unterschied? – Rezensenten stehen.

Als Ergänzug zu dieser „Censeo“ genannten Software hat die Hochschule für Gestaltung noch eine Software namens „Genero“ entwickelt, die aus ähnlichen Bausteinen sinnfreie da artifizielle Lyrik erstellt. Auch hier lassen sich Analogien zu sogenannter „echter“ Lyrik kaum übersehen. Auch hier ist der kritische Ansatz deutlich: nicht nur die Kritiker schwafeln oder „raunen“, sondern die Autoren tun es leider oft selbst.

Ausgehend von diesem Experiment kommt der Verfasser auf die Geschichte der Literaturkritik und die Kritik an ihr zu sprechen. Schon Goethe hat den Spruch geprägt „Schlagt ihn tot, den Hund. Er ist ein Rezensent!“ Jean Paul hat bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in seiner Satire „Der Maschinenmann“ die Literatur- und Kunstkritiker aufs Korn genommen und eine „Literaturmaschine“ angedacht, die Texte nach vorgefertigten Regeln erstellt. Später hat Hans Magnus Enzensberger diese Übung mit Collagetechniken fortgesetzt, die Texte verschiedener Autoren zu einem sinnfreien Gebilde zusammenfügten. Auch hier war der kritische Ansatz unverkennbar, blieb aber in den Grenzen der manuell erstellten Collage gefangen. Mit „Censeo“ und „Genero“ der Hochschule für Gestaltung lässt sich dieses Verfahren jetzt automatisieren. Ziel dabi ist stets die Entlarvung von Phrasen bei Autoren und Kritikern.

Stefan Krass verfolgt diesen Ansatz weiter anhand der beiden österreichischen Autoren Czernin und Schmatz, die in den achtziger Jahren einen Lyrikband zusammenstellten, der nur aus Satz- und  Worthülsen bestand und als Satire auf die damalige Lyrikszene und deren falsche Schwülstigkeit und schlechte Sprachtechnik gedacht war. Doch der Verlag, dem sie dieses Satirewerk als „Versuchsballon“ zuschickten, lobte es als Avantgarde-Lyrik über den grünen Klee und brachte es als solche heraus. Daraus entstand dann der sogenannte „Lyrikskandal“, denn die Enthüllung der eigentlichen Absicht durch die beiden Autoren war für den Verlag und die Literaturszene mehr als peinlich.

Weiter zieht Krass seine „Kritikkreise“ zu Goethe und Schiller und ihre „Xenien“, die sie damals als satirisch-polemischen Angriff auf schlechte Literatur und miserable Rezensionen herausgaben und damit einen Sturm der Entrüstung bei der etablierten Literaturgemeinde hervorriefen. Ein weiteres Kapitel gilt dem „Lesewahn“, einer medizinischen Kampfschrift, die das übermäßige Lesen tatsächlich als geistige Erkrankung mit schwerwiegenden psychischen und gesellschaftlichen Folgen brandmarkte.

Auch Oscar Wilde kommt in dieser Kritikrückschau zu Wort: in seinem Essay „Der Kritiker als Künstler“ lässt er seine Protagonisten Gilbert und Ernest über das Wesen der Kunst diskutieren, wobei der eine (die Öffentlichkeit) von der Literatur Ernsthaftigkeit, Aufrichtigkeit und Moral verlangt, während der andere (Oscar Wilde) alle „Meta-Anforderungen“ ablehnt und lediglich sprachlich-formale Kriterien gelten lässt.

Ein weiteres Kapitel gilt Gottfried Benn und Johannes R. Becher, die nach dem Krieg zwei Mal über die gesellschaftlichen Aufgaben von Literatur diskutierten, wobei der DDR-Bürger Becher von der Literatur gesellschaftliche und politische Stellungnahme und Agitation forderte, während Benn sich auf literaturimmanente Maßstäbe beschränkte. Das Problem der Position des Autors gegenüber seinem Gegenstand zeigt Krass am Beispiel von Peter Schneider auf, der sich in die Rolle von Dr. Josef Mengeles Sohn versetzte und einen fiktiven Dialog zwischen Vater und Sohn verfasste, der ihm in den Feuilletons und der Öffentlichkeit harsche Kritik einbrachte. Die Einnahme einer gebrochenen, weil zweifelnden Position gegenüber diesem Nazi-Monster schien den meisten Kritikern inakzeptabel da politisch in höchstem Maße inkorrekt.

Abschließend kommt Krass auf die Bedeutung des Internets zu sprechen. Dieses bietet jedem Teinehmer die Möglichkeit zur eigenen Veröffentlichung seiner Ideen und Meinungen ohne jegliche Qualitätskontrolle – was immer das ist – durch eine Redaktion. Die Ergebnisse dieser Entwicklung kann man unter anderem in typischen Blogs und Foren zu täglichen Themen ablesen. Literaturerstellung und – rezeption werden sich für Krass in Zukunft vermehrt als passive und aktive Vernetzung beliebiger Texte entwickeln. Der Leser wird dadurch zum „Mit-Autor“, und das lineare Lesen von Büchern – von Seite 1 bis zur letzten Seite – wird zunehmend an Bedeutung verlieren. Das lässt sich schon heute daran ablesen, dass viele Bücher einen höheren Absatz aufweisen als die statistisch erfassbare Zielgruppe. Bücher werden demnach nicht mehr zum Lesen sondern zum Vorweisen gekauft.

Literaturkritik im Internet mutiert für Stefan Krass langsam aber stetig zu einer Selbstinszenierung des Rezensenten, wobei alle Qualitätsabstufungen vorhanden sind. In diesem Sinne ist auch diese Rezension eine Selbstinszenierung des Unterzeichneten. Asche aufs Haupt des Rezensenten!

Das Buch ist im Verlag Wilhelm Fink unter der ISBN 978-3-7705-5084-5 erschienen, umfasst 151 Seiten und kostet 16,90 Euro.

Frank Raudszus
 

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