Konstantin Lifschitz setzt beim Rheingau-Musik-Festival seinen Bachzyklus fort

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Pianist Konstantin Lifschitz
Bach-Abend mit wohlgesetzten Akzenten

Konstantin Lifschitz setzt beim Rheingau-Musik-Festival seinen Bachzyklus fort
Der ukrainische , Jahrgang 1976, wurde bereits im Alter von fünf(!) Jahren zur Moskauer Musikschule Gnessin zugelassen. In den vergangenen zwei Dekaden hat er eine Reihe bedeutender Wettberwerbe gewonnen und gilt als einer der führenden Pianisten weltweit. Im letzten Jahr hat er die Klavierwerke von Johann Sebastian Bach neu eingespielt und bei verschiedenen Konzerten vorgestellt. Nachdem er in diesem Jahr bereits das „Wohltemperierte Klavler“, Band I und II, präsentiert hatte, spielte er am 3. August im Metternich-Saal des Weinguts Schloss Johannisberg den achten Teil seiner Bach-Gesamteinspielung. Das Programm bestand aus den zweistimmigen Inventionen und den dreistimmigen Sinfonien, dem „Italienischen Konzert“ BWV 971 sowie der „Französische[n] Ouvertüre“ BWV 971 in h-Moll.

Die Inventionen und Sinfonien leiteten jeweils die beiden Teile des Abendprogramms ein, wobei Lifschitz den jeweils größeren Teil (neun von ingesamt fünfzehn) dieser Werke in den ersten Teil packte, was angesichts der Intensität und Dauer dieses Programms und der Aufnahmefähigkeit des Publikums eine Weise Entscheidung war. Die größeren, mehrsätzigen Werke bildeten jeweils den abschließenden Höhepunkt der Programmhälften.

Bachs zweistimmige Inventionen waren als Übungen für Klavier- und Kompositionsschüler gedacht. Die jungen Musiker sollten sich an diesen meist kurzen Stücken sowohl das Rüstzeug des Pianisten aneignen als auch verschiedene Komponiertechniken kennenlernen. Jede Invention weist einen bestimmten technischen, kompositorischen und rhythmischen Schwerpunkt auf, den es zu gestalten gilt. Dabei zeigen die Inventionen einen aufsteigenden Grad der Schwierigkeit. Jeder Amateurpianist, der die Inventionen selbst anspielt, kann dies – aus leidvoller Erfahrung – bestätigen. Während die erste Invetion in C-Dur noch mit einer kaum geforderten linken Hand, wenig Verzierungen und so gut wie keinen rhythmischen Finessen daherkommt und jedem Klavierspieler die Illusion vermittel, Bach sei leicht zu spielen, steigern sich die Anforderungen von Invention zu Invention in jeder Hinsicht. Die wechselnden Schwerpunkte und Tonarten sorgen dabei für musikalische Abwechslung und ganz eigene musikalische Stimmungen. Ähnlich dem „Wohltemperierten Klavier“ durchlaufen die Inventionen die Tonarten von C bis H abwechselnd in Dur und in Moll, wobei die Tonarten mit hohen Vorzeichenzahlen (Cis, Fis, etc.) entfallen.

Die Sinfonien folgen demselben Schema, nur dass sie grundsätzlich drei statt zwei Stimmen enthalten. Das stellt erheblich höhere Anforderungen an die Interpretation und das kompositiorische Verständnis. Während sich die Stimmen bei Zweistimmigkeit noch – weitgehend überschaubar – auf die beiden Hände verteilen lassen, müssen nun die beiden Hände noch eine weitere Stimme mitführen – und gestalten! -, was zur Verdichtung des Notenmaterials und zu deutlich höheren Anforderungen an die Technik des Pianisten führt. Jetzt muss ein Finger einer Hand eine Note liegenlassen, betonen oder verklingen lassen, während die anderen Finger eine andere Stimme ausführen. Man kann sich vorstellen, dass dies nicht nur die Fingerfertigkeit sondern for allem die Konzentrationsfähigkeit des Solisten fordert.

Konstantin Lifschitz ging die Inventionen mit Leichtigeit an, ohne deswegen ins Beiläufige abzugleiten. Kleinste Tempoänderungen, kurze Ritardandi und ein variabler Anschlag verliehen diesen kurzen Stücken ein Eigenleben weit über ihren Charakter als Lehrstücke hinaus. Die jeweils eigene Tonart jeder Invention und Sinfonie verstärkt die atmosphärische Individualisierung noch. Besonders deutlich erbeitete Lifschitz die rhythmischen Unterschiede der einzelnen Stücke heraus. Neben dem überwiegenden 4/4-Takt tauchen noch 3/4-, 3/8- und sogar 12/8-Varianten auf, die den Stücken teilweise tänzerischen Charkarter verleihen. Lifschitz prägte jeder Ivention und jeder Sinfoie ihren eigenen, unverwechselbaren Chrakakter ein und zeigte mit seiner Interpretation, dass auch rein zu Lehrzwecken komponierte „Gebrauchmusik“  künstlerischen Wert gewinnt, wenn kompositorische Kreativität und interpretatorisches Gespür zusammenkommen.

Der erste Teil des Abends schloss mit dem „Italienischen Konzert“, einem auch im Rundfunk gern und oft gespielten Werk. Dieses Klavierkonzert für ein Instrument ist so konzipiert, dass es ein Orchester ersetzt. Tatsächlich vermittelt das Konzert den Eindruck eines Klavierkozerts mit dem üblichen Orchester, obwohl weder Streicher noch Bläser zu vernehmen sind. Doch Bach gelingt es mit einer prallen Partitur, eben diesen Eindruck zu erzielen. Der erste Satz lebt von seinem markanten Thema, das sich wie ein Leitmotiv durch den ganzen Satz zieht. Es verleiht dem Kopf auch eine gewisse Pracht bei italienischer Leichtigkeit. Der zweite Satz besteht aus einem langsam voranschreitenden Thema, dessen auf- und abführende Grundlinie von Läufen in der rechten Hand begleitet werden. Der Finalsatz schließlich ist ein furioses Presto, dessen schnelle Läufe mal in der rechten, mal in der linken Hand und mal in beiden auftauchen und dem Satz den Charakter auftrumpfenden Jubels verleihen. Lifschitz präsentierte diesen Satz mit ausgesprochen hohem Tempo und unüberhörbarer Spielfreude und bewies dabei seine virtuosen Fertigkeiten, denn seine Interpretation wirkte keinen Augenblick lang angestrengt. Man hatte nicht das Gefühl, dass hier jemand das Ergebnis langen und mühsamen Übens vorstellt, sondern dass dieses Stück bei allem Tempo leicht zu spielen sei – was natürlich nicht stimmt. Doch das ist wahre Kunst: ein schwieriges Stück leicht erscheinen zu lassen. Der spontane Beifall zeugte denn auch von dem tiefen Eindruck, den sein Spiel auf das Publikum ausgeübt hatte.

Der Abschluss des zweiten Teils und damit des Konzerts kam nicht ganz so spektakulär daher. Die „Französische Ouvertüre“ aus der „Clavier Übung“, Teuil II, besteht aus der Eingangs-Ouvertüre (I) und ihrem abschließenden „Echo“ (VIII) sowie den üblichen Tanzstücken Courante, Gavotte (I und II), Passepied (I und II), Sarabande, Bourree (I und II) und Gigue. Der Zweck – höfische Tanzmusik – verbietet von vornherein zu expressive oder schnelle Passagen. Die Raffinesse liegt hier in der musikalischen Gestaltung. Lifschitz entlockte auch dieser „Gebrauchsmusik“ Seiten, die weit über den ursprünglichen Zweck hinausgehen. Aus Tanzmusik wurde unter seinen Händen Kunstmusik, nach der sich auch tanzen lässt. Aber man lauscht dieser Musik lieber, denn jeder einzelne Satz enthält melodische, harmonische und rhythmische Besonderheiten und vermittelt einen Eindruck von dem Lebensgefühl des frühen 18. Jahrhunderts. Wie bei den Inventionen und Sinfonien verselbständigt sich die Musik und gewinnt einen ganz eigenen Charakter, der nur noch sich und nicht mehr den Zweck vertritt. Konstantin Lifschitz zelebrierte diese kleinen Kunstwerke buchstäblich – mit viel Gespür für das musikalische Detail, mit einem außerordentlich variablen Anschlag und feinen Tempovariationen.

Der abschließende Beifall des Publikums fiel so hartnäckig aus, dass Lifschitz noch eine Zugabe in Form von Scarlattis „Pastorale“ gewährte.

Frank Raudszus     

 

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