Gerhard Oppitz spielt beim Rheingau-Musik-Festival Klavierwerke von Beethoven, Schubert und Brahms

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Der Pianist Professor Gerhard Oppitz
Eine pianistische Wanderung durch ein halbes Jahrhundert

Gerhard Oppitz spielt beim Rheingau-Musik-Festival Klavierwerke von Beethoven, Schubert und Brahms
Unter der Rubrik „Wegbegleiter“ fasst das Rheingau-Musik-Festival Veranstaltungen zusammen, bei der Interpreten auftreten, die das Festival schon seit Beginn seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens begleitet haben. Gerhard Oppitz ist einer von diesen treuen Begleitern der ersten Stunde. Der 1953 geborene Pianist begann bereits mit fünf Jahren mit dem Klavierspiel, konnte Wilhelm Kempf als seinen Mentor gewinnen und lernte Arthur Rubinstein als Jury-Mitglied bei seinem ersten großen Wettbewerbserfolg kennen.

Gerhard Oppitz hatte sich für diesen Klavierabend im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg ein anspruchsvolles Programm vorgenommen, das ihn von der Hochklassik über die Anfänge der Romantik bis zu deren Blüte führte. Die chronologische Anordnung der Stücke zeigte dabei die Entwicklung des musikalischen Ausdrucks – hier speziell für das Klavier – in einem Zeitraum von knapp sechzig Jahren.

Beethovens Klaviersonate Nr. 4, op. 7, in Es-Dur steht noch in „mit einem Bein“ in der Traditionslinie von Haydn und Mozart, beginnt sich jedoch bereits durch die Einführung eines vierten Satzes und durch die Erweiterung des dynamischen Raums aus dieser Tradition zu lösen. Da diese Sonate noch nicht die Wucht und Kompromisslosigkeit späterer Beethoven-Sonaten aufweist – man denke dabei nur an die typischen Auftakte späterer Sonaten -, eignet sie sich gut als Einleitung eines anspruchsvollen Programms, das auf Steigerung bedacht ist. Den ersten Satz (Allegro molto  e con brio) nahm Oppitz leicht und federnd, ohne „Beethovensche Bedeutung“ hineininterpretieren zu wollen. Die eingängigen Themen erinnern an Mozarts Sonaten, die Durchführungen verweisen zwar bereits auf spätere Beethoven-Sonaten, sind hier jedoch noch eingehegt. Den zweiten Satz, ein überraschenderweise in C-Dur notiertes Largo, lud Oppitz jedoch mit geradezu düsterer Bedeutung auf. Extrem langsam setzte er die ersten Akkorde, ließ sie geradezu in den Flügel einsinken und spannte das Publikum mit dem Anschlagen des nächsten Akkords buchstäblich auf die Folter. Dieser Satz ist bei Oppitz kein lyrisches, angenehme Gefühle auslösendes Largo, sondern führt in Abgründe, die sich in diesem kurzen Satz auch nicht mehr zur Gefälligkeit auflösen. Oppitz verlieh diesem Satz durch seine kompromisslose Ausdeutung eine herausragende Stellung, um die sich die anderen Sätze mehr oder minder herumgruppierten. Das Allegro des dritten Satzes kommt mit seiner akzentuierten 3/4-Rhythmik einem Scherzo sehr nahe und führt aus den Tiefen des zweiten Satzes wieder hinaus, ohne deswegen fröhlich zu sein. Eher scheint es trotzig auf der Stelle mit den Füßen zu stampfen, und die Modulation nach es-Moll verstärkt diese Tendenz noch. Erst der Finalsatz bringt wieder so etwas wie Leichtigkeit und angenehmes Ausschreiten ins Spiel. Das Rondo brilliert mit gefälligen Motiven und langgezogenen, durch Läufe begleiteten Themenbögen, die mit ihrem „wandernden“ Gestus bereits auf das folgende Werk verwiesen. Gerhard Oppitz brachte dieses befreite Wandern akzentuiert und ohne falsche Gefälligkeit zum Ausdruck. Auch dieser letzte Satz bewahrte eine gehörige Portion der den Beethoven-Sonaten eigenen emotionalen Distanz.

Franz Schuberts „Wandererfantasie“ in C-Dur, op. 15, entstand ein Vierteljahrhundert nach Beethovens Sonate, jedoch noch zu Lebzeiten des großen Zeitgenossen und „Schatten“, der auch auf Schubert lastete. Der Gattungsbegriff verweist darauf, dass sich Schubert bei diesem Begriff nicht unbedingt an die Sonatenform hielt sondern seiner Phantasie mehr Raum ließ. Gerhard Oppitz setzte diesen Gedanken denn auch konsequent in seiner Interpretation um, indem er zwischen den einzelnen Sätzen keine Pausen einlegte, die bei der Beethoven-Sonate noch mehr als deutlich ausfielen. Er gestaltete die Wandererfantasie als einen zusammenhängenden Strom musikalischer Gedanken, die sich in kein formales Bett pressen lassen. Das bedeutet natürlich nicht, dass dieses Stück keine innere Struktur aufweist. Auch hier gibt es einen langsamen Mittelsatz, ein „Adagio“, der von schnelleren Sätzen eingerahmt wird. Doch im Gegensatz zur klassischen Sonatenform kommt Schubert im letzten Satz wieder auf das Thema des ersten Satzes zurück und verarbeitet es noch einmal ausführlich. Nicht zuletzt dieses Konzept führt zu dem Eindruck der „himmlischen Längen“, die Schubert oft nachgesagt wurden. Die Länge seiner Klavierwerke einerseits und die geradezu beharrliche Wiederkehr der Grundthemen in immer neuem Gewand vermitteln einen ostinaten Eindruck, der sich jedoch aufgrund der musikalischen Qualität nie zur „Länge“ im negativen Sinne auswächst. Von Schuberts Sonaten, und besonders von der Wandererfantasie, lässt man sich gerne entführen in sich immer mehr weitende Welten, die ein eigenes emotionales Netz entwickeln, aus dem sie den Zuhörer nicht mehr entlassen wollen. Gerhard Oppitz entschied sich für ein leicht forciertes Tempo, um diese Wirkung der Schubertschen Musik nicht zu verstärken, und fügte diesem Werk dadurch noch  zusätzliche Dynamik und Frische zu. Der für Schubert oftmals typische Zug von Schwermut geriet dadurch etwas in den Hintergrund, was der Interpretation gut bekam. Zu leicht kann dieses Stück bei verringertem Tempo eine Art von Larmoyanz entwickeln. Oppitz jedoch packte zu und ließ das Stück nicht mehr aus den Fingern. Bei ihm wirkten dann auch die Themawiederholungen im letzten Satz nicht als Aufguss des ersten Satzes sondern eher als eine Rückkehr zum Beginn nach einem lebhaften Ausflug in andere thematische und harmonische Gefilde. Dass dieses Stück nicht unerhebliche technische Probleme aufweist, ist angesichts der Klasse des Pianisten unerheblich. Aber man sollte doch anmerken, dass diese Schwierigkeiten bei der Interpretation durch Gerhard Oppitz einfach nicht zu existieren scheinen, so leicht und locker und doch bewusst gestaltend geht er mit dem Notenmaterial um.

Nach der Pause ging es dann um Gerhard Oppitzs eigentliche Kennerschaft, das Werk von Johannes Brahms. Für diesen Abend hatte er die frühe Klaviersonate Nr. 4 in f-Moll, op. 5, ausgewählt. Das fünfsätzige Stück entstand 1854 und damit noch einmal gut dreißig Jahre nach Schuberts Fantasie. Von der klassischen Aufteilung in schnell-langsam-schnell ist jetzt nichts mehr zu spüren. Zwar gibt es auch hier Allegro- und Andante-Sätze, diese unterschieden sich jedoch kaum noch im Grundtempo sondern hauptsächlich in der Intensität des musikalischen Ausdrucks. Auch langgezogene, ausgeprägte Themenbögen wie noch bei Beethoven oder Schubert findet man nicht mehr, sondern stattdessen kurze Motive und auf- und abführende Akkordketten. Hier findet nicht die geplante Durchführung einer musikalischen Idee statt, sondern hier kämpft ein Musiker einen Kampf mit und um die Musik. Brahms stand zeitlebens unter dem übermächtigen Eindruck Beethovens und glaubte nicht, diesem Vorbild gleichkommen zu können. So entschied er sich für einen ganz anderen Ansatz: er verarbeitete seine Emotionen und Befindlichkeiten zu Musik, wobei er die Struktur nur grob nach den üblichen Satzbezeichnungen organisierte. Das „Allegro maestoso“ des ersten Satzes ist eine für Brahms typische Satzbezeichnung, kommen doch seine Symphonien auch gerne in dieser Grundhaltung daher. Die mittlere und späte Romantik liebte das breit Dahinströmende, das sich ins Unendliche Ausdehnende. Brahms folgt dieser Linie und bildet seine Befindlichkeit und die der Welt unmittelbar in die Musik ab. Das macht seine Musik so faszinierend, weil fast jeder Takt überraschende, unerwartete Momente bringt und sich keine thematische Entwicklung voraussehen lässt. Man muss seiner Musik Takt für Takt folgen, um Zugang zu ihr zu finden, was die Rezeption nicht eben leichter macht. Gerhard Oppitz brachte Struktur und Transparenz in dieses komplizierte Notenkonvolut, und er sorgte damit für ein Verständnis nicht nur der Musik sondern auch des Komponisten. Wenn man sich der Tatsache bewusst wird, dass Brahms Beethoven verehrt und gefürchtet hat und gleichzeitig sein Leben lang unsterblich in Clara Schumann verliebt war, findet man Zugang zu seiner Musik. Gerhard Oppitz übertreibt das Sperrige der Brahmsschen Musik jedoch nie sondern zerlegt es so, dass man hinter der vordergründigen Zerrissenheit die musikalischen Strukturen erkennt. Wer bisher keinen Zugang zu den Klaviersonaten von Johannes Brahms hatte, dem gab dieses Konzert die Möglichkeit, ihn zu erlangen.

Das Publkum zeigte sich am Schluss begeistert und spendete mehr als kräftigen Beifall und „Bravo“-Rufe. Eine Zugabe konnten die Zuhörer damit jedoch nicht erreichen, denn Gerhard Oppitz hielt es offensichtlich nicht für richtig, den Eindruck eines so mächtigen Werkes wie der Brahms-Sonate durch eine gefällige Zugabe aufzuweichen. Einverstanden.

Frank Raudszus     

 

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