Das WDR-Sinfonieorchester spielt beim Rheingau-Musik-Festival Mendelssohn, Tschaikowsky und Sibelius

Print Friendly, PDF & Email

Das WDR-Sinfonieorchester

Ein abwechslungsreicher Gang durch die Musik der Romantik  

Das WDR-Sinfonieorchester spielt beim Rheingau-Musik-Festival Mendelssohn, Tschaikowsky und Sibelius
Zum Abschluss des diesjährigen Rheingau-Musik-Festivals im Friedrich-Saal des Kurhauses Wiesbaden trat am 31. August das Sinfonie-Orchester des westdeutschen Rundfunks unter der Leitung seines finnischen Dirigenten Jukka-Pekka Saraste mit Werken der Romantik auf. Der Saal mit seiner überladenen Ausstattung im naiven Stilgemisch des ausgehenden 19. Jahrhunderts passte ideal zu der emotional entgrenzten Musik dieser Epoche, die sich aus der strengen und aufgeklärten Klassik entwickelt hatte. Die Solistin an diesem Abend war die erst 26jährige norwegische Geigerin Vilde Frang.

Die Geigerin Vilde FrangDie Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy, der dann noch eine Bühnenmusik, aber keine Oper gefolgt war, ist ein Geniestreich des gerade 17-jährigen Mendelssohn. Ihre treffsichere Charakterisierung des ihr zugrundeliegenden Theaterstücks hat sie zu einem der beliebtesten Musikstücke des Konzertrepertoires gemacht und dürfte neben dem Violinkonzert wohl Mendelssohns bekannteste Komposition sein. Das Spukhafte, Burleske von Shakespeares Traumstück wird hier musikalische Realität. Elfen flirren wie Libellen durch die warme Sommernacht, Kobolde treiben ihr harmloses Unwesen, und lyrische Motive symbolisieren die Liebesgeschichte. Jukka-Pekka Saraste ging dieses Stück im alltäglichen Wortsinn „romantisch“ an und präsentierte es in einer fast gesanglichen, verträumten Art, die jedoch in den burlesken Szenen auch zupackend werden konnte. Das Orchester kostete die Klangfarben der einzelnen Phasen mit hoher Spielfreude hörbar aus, sei es das hohe Flirren der Geigen, die markanten Einsätze der „gröberen“ Instrument in den Rüpelszenen oder die geschwungenen, eingängigen Melodien, die immer wieder wie ein Leitmotiv auftreten. In dieser Art der Interpretation stellte die Ouvertüre die Idealvorstellung frühromantischer Musik dar. Emotion pur, aber noch nicht durch die Schwere des Gedankens und des Zweifels angekränkelt.

Das sah in dem zweiten Stück des Abends schon anders aus. Peter Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur op. 35 kennt zwar auch das schöne Thema und die lyrische Sehnsucht, aber daneben hat das Aufbegehren gegen die Welt mindestens den gleichen Stellenwert. Im Jahr 1878 erholte sich Tschaikowsky am Genfer See von einer schweren persönlichen Krise und schrieb dort das Violinkonzert für seinen Freund und Geiger Josif Kotek. Darin verarbeitete er die aufgewühlten Leidenschaften und Enttäuschungen: seine homophile Liebe zu Kotek und das Desaster seiner „Scheinehe“ mit Antonina Miljukowa. Diese einschneidenden Erfahrungen schlagen sich denn auch in dem Violinkonzert nieder. Der erste Satz zeichnet sich durch hohe Expressivität, Wechsel der Tempi und ein spannungsvolles Zusammenspiel zwischen Sologeige und Orchester aus. Vilde Frang intonierte bereits die ersten Takte mit viel aufbegehrendem Pathos, wie es zu Tschaikowskys Befindlichkeit im Sommer 1878 passt. Nach einem spannungsreichen Dialog zwischen Violine und Orchester folgt ein längeres Orchester-Zwischenspiel, das noch einmal die Themen des Beginns aufnimmt. Dann setzt die Violine wieder mit Feuer und Energie ein, um den ersten Satz mit einem furiosen Finale zu Ende zu bringen. Vilde Frang zeigte bereits bei diesem ersten Satz alle ihre technischen Fähigkeiten von schnellen, kraftvollen Läufen über komplizierte Rhythmik bis zu markanten Doppelgriffen. Die technisch anspruchsvollen Passagen schienen ihr so leicht von der Hand zu gehen, als seien sie Selbstverständlichkeiten. Das Orchester zeigte als Gegenpart viel Präsenz, ohne die Solistin zu übertönen. Die Kadenz interpretierte Vilde Frank ausgeprochen ausdrucksstark, wobei sie das gesamte Spektrum vom feinsten, kaum noch wahrnehmbaren Ton bis zu den expressiven Tonkaskaden abdeckte.
Der langsame Satz – eine „Canzonetta“ – ist tatsächlich ein sehnsuchtsvolles Lied, das die leidende Seite der Liebe zum Ausdruck bringt. Hier hat Tschaikowsky offensichtlich die emotionalen Verwirrungen und Enttäuschungen verarbeitet. Die Wirkung des liedhaften Vortrags der Violine wird noch durch die warmen Klarinetten und die hellen Flöten unterstützt, die das Thema des Soloinstruments aufnehmen und begleitend fortführen. Diese drei Instrumente – Geige, Klarinette und Flöte – bilden neben dem Orchester eine eigene musikalische Welt, die den Emotionen treffenden Ausdruck verleihen. Vilde Frang zeigte sich auch in diesem gesanglichen, introvertierten Teil des Konzerts als Meisterin ihres Instruments und der Interpretation.
Der dritte Satz beginnt energisch, als wolle er die traurige Sehnsucht des zweiten vertreiben, und Vilde Frang nahm diesen Beginn auch gleich mit viel Verve und Entschlossenheit. Im Folgenden entwickelt sich daraus ein „Allegro vivacissimo“, das dem Solisten alle Möglichkeiten gibt, seine Vurtuosität zu zeigen, allerdings auch hohe Fertigkeiten verlangt. Vilde Frang meisterte auch diesen Satz souverän mit viel Spielfreude und mit einer perfekten Technik.
Der Schlussbeifall wollte lange nicht verebben, und so präsentierte Vilde Frang schließlich noch ein modernes Stück mit elegischem Einschlag als Zugabe.

Nach der Pause erklang dann das Stück, das diesem Konzert den Namen „Das sinfonische Werk: Sibelius““ gab. Der finnische Komponist (1865-1957) ist ein typischer Vertreter der Spätromantik und gehört zu der Musikergeneration von Gustav Mahler und Richard Strauss. Diese Generation hatte den rasante Entwicklung der Industrialisierung und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Umbrüche erlebt. So wie sich die Frühromantiker, enttäuscht von dem Ergebnis der Aufklärung – Napoleon und die Restauration -, in eine innere Welt der Sehnsucht und des Weltschmerzes verabschiedeten, suchten die Spätromantiker den Schlüssel zur Welt in den Tiefen der Seele. Nicht ein musikalisches Thema steht im Mittelpunkt der Musik, sondern der Ausdruck der persönlichen Befindlichkeit des Individuums, das sich mit einer aus den Fugen geratenen Welt auseinandersetzt. So durchziehen Assoziationen aller Art die Musik auch eines Jean Sibelius. Einerseits spiegelt sich die Weite der finnischen Landschaft in seiner Musik wieder, die streckenweise wie Filmmusik anmutet, dann wieder drückt die Musik die Zerrissenheit der Psyche aus. Der erste Satz zeichnet sich raumgreifende, fast majestätische Klangbögen aus, dann folgen eingängigere Motive, doch eine große Sehnsucht und die Trauer über eine verlorene Einheit des Lebens durchziehen den ganzen Satz. Das Andante des zweiten Satz prägt anfangs ein raunendes Thema, dann steigert sich die Musik zu hoher Intensität und nimmt zunehmend zerrissene Züge an. Die Burleske des dritten Satz bietet dagegen Bodenständigkeit, als habe sich der Komponist aus den inneren Kämpfen ins Volksnahe gerettet. Dabei fällt vor allem die raffinierte, versetzte Rhythmik auf. Der letzte Satz – „Quasi una fantasia“ –  bietet dann so etwas wie eine Versöhnung. Weit ausladende Motivbögen und frei sich entwickelnde, wechselnde Themen bringen Ruhe und die Andeutung von Frieden, obwohl die zerrissene Spannung der ersten beiden Sätze stets als hintergründige Warnung präsent ist.

Obwohl Zeitgenossen wie Brahms oder Tschaikowsky ihn durchaus beeinflussten, hat Sibelius einen ganz eigenen, unverwechselbaren Musikstil gefunden. Das WDR-Sinfonieorchester brachte diesen musikalischen Kosmos mit höchster Präzision und viel Gespür für die Klangwirkung zum Ausdruck. Die Musik entfaltete sich stetig zu einer Klangfläche, die in jedem Satz ihre eigene, spezifische Färbung entwickelte. Jukka-Pekka Saraste leitete das Orchester dabei mit viel Sorgfalt und Bedacht, ohne auf vordergründige Effekte abzuzielen.

Das Publikum bedankte sich durch lang anhaltenden, kräftigen Beifall.

Frank Raudszus     

 

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar