Musikalische Kostümschau über die andere Art, (un)glücklich zu sein  

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Premiere des Musicals „La Cage aux Folles“ im Staatstheater Darmstadt.

Homosexualität, vor allem die männliche, war schon immer ein dankbarer Gegenstand für Theater und Film. Vor allem die Rolle der „Tunte“ reißt die heterosexuellen Normalbürger immer wieder zu Lachstürmen hin. Da kann sich die Angst des Mannes vor der eigenen (latenten) und die Abneigung der Frau gegen (echte) männliche Homosexualität eine oftmals aggressive Kompensation verschaffen. Auf der anderen Seite liegt es nahe, dass man auf der Bühne nicht nur diese Lacher einfährt sondern dem Publikum eben diese Vorurteile auch gnadenlos vor Augen hält. Das Musical „La Cage aux Folles“ („Ein Käfig voller Narren“) von Jerry Herman und Harvey Fierstein nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jean Poirot tut dies mit viel Spaß an Travestie und verkehrten Rollen. John Dew hat es im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt zusammen mit Heinz Balthes (Bühne) und José-Manuel Vasquez (Kostüme) einstudiert. Vor allem Bühnen- und Kostümbildner konnten sich bei dieser Inszenierung nach Herzenslust austoben.

Randy Diamond (Zaza | Albin), Herren des Tanztheaters (Cagelles)

Randy Diamond (Zaza | Albin), Herren des Tanztheaters (Cagelles)

Im Mittelpunkt der Geschichte steht das Varieté-Theater „La Cage aux Folles“ irgendwo an der Côte d´Azur mit seiner Travestie-Show. Star und Mittelpunkt ist „Zaza“, dargestellt von Albin (Randy Diamond), der seit über zwanzig Jahren mit dem Varieté-Besitzer Georges zusammenlebt und ansonsten eine „typisch“ weibliche Kapriziösität pflegt. Vor jedem Auftritt muss Georges ihn erst auf Knien seiner Liebe versichern, ehe er seine Depressionen über das nahende Alter beiseite schiebt und Richtung Bühne entschwindet.

Aus seinem ersten Leben hat Georges einen Sohn, Jean-Michel (Stefan Reil), dem Albin eine zweite Mutter geworden ist, nachdem die biologische Mutter dem Vater das Baby vor die Haustür gelegt hatte und verschwunden war. Jean-Michel eröffnet nun seinem Vater, dass er Anne heiraten will und deren Eltern auf der Anreise seien, um die Eltern des Bräutigams kennenzulernen. Georges und Albin, die erst verkraften müssen, dass Jean-Michel eine Frau heiraten will – „Was haben wir denn falsch gemacht?“ -, stehen aber vor viel schwereren Problemen. Der Brautvater ist ein erzkonservativer Minister, der sich vorgenommen hat, Homosexualität und ähnliche „Abartigkeiten“ mit Stumpf und Stil auszurotten. Daher hat Jean-Michel bereits entschieden, dass nicht nur seine echte Mutter für einen Abend die treue Ehefrau spielen sondern dass Albin an diesem Abend auch verschwinden oder eine andere Rolle übernehmen muss. Außerdem muss die Wohnung umgestaltet werden. Heinz Balthes hat hier ein mit Rosafarben gesättigtes sowie Statuen und Gemälden nackter Jünglinge angereichertes Ambiente geschaffen, das die gängigen Vorurteile nicht nur persifliert sondern ihnen auch eine Steilvorlage und Anlass zum Lachen gibt. Gegen den wort- und tränenreichen Protest von Albin wird daraus ein klerikales Heim mit Chorgestühl und Madonnenbildern, das dem bald eintreffenden Brautvater helles Entzücken entlockt.

Randy Diamond (Zaza | Albin), Ansgar Albert Maria Schäfer (Georges)

Randy Diamond (Zaza | Albin), Ansgar Albert Maria Schäfer (Georges)

Inzwischen hat Jean-Michels Mutter auf ihre ewig-egoistische Art abgesagt, und der als steifer Onkel Albert umkostümierte Albin entschwindet beim Anblick der neuen Wohnungseinrichtung entsetzt in seinen Gemächern. Zum Erstaunen von Georges und Jean-Michel sowie der Zuschauer erscheint er jedoch nach dem Eintreffen der Gäste als Jean-Michels Mutter und mischt jetzt die Gesellschaft auf. Er besorgt einen Tisch im nächstgelegenen Edelrestaurant „Chez Jacqueline“, und bei Speisen und Gesang nehmen dort der weitere Abend und das Schicksal seinen Lauf. Natürlich ist der Transverstit in der Rolle der echten Mutter im schwarzen Kostüm und mit grauer Perücke in seinem Element und zieht alle Register der Travestie, diesmal jedoch mit seriösem Anstrich. Im Nu gewinnt er die Sympathie der Brauteltern, und der reaktionäre Brautvater verliebt sich fast in ihn/sie, bis…..aber das wollen wir jetzt nicht verraten.

Natürlich geht es in dem Musical nicht nur um diese Geschichte. Sie bildet vielmehr das Gerüst, um das die Musicalverfasser die Shows drapiert haben. Zu diesen Shows gehören erst einmal die Soloauftritte von Randy Diamond in der Rolle des Transvestiten Albin als „Zaza“, einer sündigen Halbweltdame mit rauchiger Stimme, geschlitztem Kleid und schwingender Feder-Stola. Ihr/sein Lied „Ich bin, was ich bin“ ist ein offenes Bekenntnis zu einer Lebensart, die so gar nicht zu dem normalen bürgerlichen Leben mit klerikalem Moralsystem passen will. Mit großer Geste schwebt und schreitet diese „Zaza“ über die Bühne und dirigiert die Ballett-Truppe mehr oder minder charismatisch.

Bei diesen Varieté-Tänzern hat sich die Regiemannschaft um John Dew etwas Besonderes einfallen lassen: sie haben die Rollen vertauscht. Die männlichen Rollen mit Glitzerfrack und Zylinder tanzen die jungen Frauen des Darmstädter Tanztheaters, während deren weiblichen Gegenpart die Männer geben. Das führt schon wegen der statistisch unterschiedlichen Körpergröße von Männern und Frauen zu grotesken Effekten. Vor allem der alte Renner „Männer in Frauenkleidern“ erweist sich hier wieder als äußerst erfolgreich. José-Manuel Vasquez hat den Tänzern in ihrer Farbenpracht opulente Kostüme schneidern lassen, die vor weiblicher Erotik geradezu strotzen. In diesen knappen Kostümen bewegen sich die Tänzer mit frappierender weiblicher Grandezza und Geschmeidigkeit, und die  langgliedrigen rosa Federfächer an ihren Händen können sie meisterlich zu allerlei Figuren vereinigen, nicht zuletzt und recht oft zu einem großen Herzen, aus dem sie alle herausschauen. Um diese auf hohen Hacken über die Bühne wirbelnden Transvestiten humoristisch  aufzupeppen, hat die Regie noch einen Gag draufgesetzt: die Tänzer simulieren gekonnt Tolpatschigkeit, so als habe man in diesem Varieté für die Rollen der tanzenden Transvestiten nur zweitklassige Tänzer gefunden, die öfter einmal stolpern, die Schritte falsch setzen oder die Figuren vergessen haben. Da kann es dann vorkommen, dass ein Tänzer nach einer wirbelnden Figur mit einem Partner die abschließende Pose nicht dem Publikum sondern der Bühnenrückwand präsentiert, was er natürlich im letzten Augenblick merkt und ungeschickt korrigiert. Auch die ewig lächelnde Maske der Revue-Tänzerinnen will diesen Transvestiten des mediterranen Varietés nicht so recht gelingen, und so vergessen sie es und zeigen eine mürrische Miene oder reißen die Münder zu gespielter Fröhlichkeit auf. Damit sorgt John Dew in diesen Szenen nicht nur für viel Spaß sondern parodiert gleichzeitig die mechanische Heiterkeit landläufiger Ballett-Revues.

 Herren des Tanztheaters (Cagelles)


Herren des Tanztheaters (Cagelles)

Im Stil echter, leicht verruchter Varietés kommen die Hauptdarstellerin Zaza oder die Transvestitentruppe auch des Öfteren auf den schmalen Laufsteg zwischen Orchestergraben und Publikum, um letzteres direkt anzusprechen und auch etwas „anzumachen“. So mancher und manche, die noch nie in einem Transvestiten-Varieté waren, merken hier, dass man in einem solchen Etablissment stets ein Platz in den hinteren Reihen wählen sollte, um nicht Opfer anzüglicher Sprüche der Transvestiten zu werden. Doch hier im „öffentlich-rechtlichen“ Theater geht es noch vergleichsweise harmlos zu….

Die Geschichte geht dann natürlich gut aus. Jean-Michel darf seine Braut heiraten, weil der Brautvater dank geschickter Regie der Restaurantbesitzerin diese Heirat als „alternativlos“ betrachten muss, und auch Georges und Albin können ihr Heim wieder rückverwandeln. Doch für die Brauteltern ist der Abend noch nicht vorbei: sie werden noch als „komische Figuren“ in die letzte Show des Abends des „Cage aux Folles“ integriert. Ein letzter Gag in dieser schmissigen, witzigen und dem Auge viel bietenden Musical-Inszenierung.

In den Hauptrollen gefallen vor allem Randy Diamond als Albin alias „Zaza“ und Ansgar Albert Maria Schäfer als Georges. Beide sind sowohl stimmlich wie auch darstellerisch sehr präsent und beherrschen über lange Strecken die Bühne. Stefan Reil lässt als Jean-Michel stimmlich etwas zu wünschen übrig und blüht erst in den Tanzszenen auf. Ähnliches gilt für Hannah Garner, die als Anne jedoch nur eine randständige Nebenrolle spielt. Stark im darstellerischer Hinsicht sind dann Franz Nagler und Gundula Schulte als Erzkonservarives Brautelternpaar mit komischer Wirkung, wohingegen die Rolle der Jacqueline (Anja Bildstein) etwas neben der Inszenierung zu stehen scheint.

Am Pult des Staatsorchesters Darmstadt steht diesmal Bartholomew Berzonsky. Er versorgt die Bühne mit temporeicher aber nie dominierender Musik, die den typischen Musicalklang verbreitet. Für die Choreographie der aufwendigen, temperamentvollen und witzigen Tanzeinlagen ist Julio Viera Medina zuständig, und er hat damit auch einen großen Anteil an dem Premierenerfolg dieses Musicals.

Das Publikum jedenfalls war begeistert und zeigte dies durch kräftigen, lang anhaltenden Beifall für alle Beteilgten, vor allem aber für die beiden Hauptdarsteller.

Frank Raudszus

 

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