Hubert Schlemmer spiegelt bei den Bar-Festspielen in John Clancys „Event“ die Rolle des Schauspielers an sich und den Zuschauern

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Hubert Schlemmer
Im Strudel der Selbstreferenz  

Hubert Schlemmer spiegelt bei den Bar-Festspielen in John Clancys „Event“ die Rolle des Schauspielers an sich und den Zuschauern
Das Theater hat sich schon immer gerne mit sich selbst beschäftigt, nicht nur in Garderobe und Kantine sondern vor allem auf der Bühne. Zu groß ist der Reiz, sich selbst und sein Metier mit genau dessen Mitteln darzustellen oder auch auf die Schippe zu nehmen, als dass man auf diese Nabelschau verzichten möchte. Dabei sind eine ganze Reihe amüsanter, scharfzüngiger und geistreicher Stücke entstanden. Der US-amerikanische Autor John Clancy – nicht zu verwechseln mit Tom Clancy! – hat diese Serie 2009 um den Monolog „Event“, erweitert, den ein Schauspieler in einer geradezu puristisch selbstreferentiellen Art vorträgt.

Die Bar der Kammerspiele im Staatstheater Darmstadt ist als Theaterbühne hergerichtet: ein leicht erhöhtes hölzernes Podium – „die Bretter, die die Welt bedeuten“ – und davor ein Vorhang, der sich theatergerecht zu Beginn öffnet. Auf der Bühne steht „ein Mann“ – hier der Schauspieler Schlemmer – in geradezu archetypischer Schauspielerposition: frontale Stellung zum Publikum, Kinn leicht gereckt, hoch konzentriert und bereit, seinen Text vorzutragen. Nun sollte der Schauspieler im Idealfall hinter seiner Rolle verschwinden, ihr nur seine Stimme, sein Aussehen und seine Ausdruckskraft leihen. Er selbst interessiert als Mensch während der Aufführung nicht. Das mag sich danach ändern – in jeglicher Richtung -, ist hier jedoch weniger von Belang. Üblicherweise inszeniert der Schauspieler eine Geschichte, die mit seiner eigenen Person und Befindlichkeit nichts zu tun hat, und schafft dadurch einen fiktiven Raum, der wiederum das Publikum unterhalten, erheitern oder  belehren soll. In „Event“ jedoch besteht diese Geschichte aus genau dem, was der Zuschauer sieht: einem Mann, der auf einer Bühne steht und zum Publikum spricht. Der Schauspieler Hubert Schlemmer erzählt dem Publikum, dass hier ein Mann auf der Bühne steht, der seinem Publikum erzählt, dass hier ein Mann auf der Bühne steht, der……

Dieser selbstreferentielle Vortrag erscheint im ersten Augenblick nicht nur ungewohnt sondern sogar sinnlos. Theaterbesucher erwarten üblicherweise eine Handlung, die über die auf der Bühne sichtbare Person hinausgeht. Ein kompromisslos selbstreferentieller Auftritt wie dieser jedoch ist weit mehr als nur ein Bühnenkalauer, der nicht weiter trägt als fünf Minuten. Er ist vielmehr ein Spiegelbild des über sich selbst nachdenkenden Menschen und wirft damit sofort eine Reihe logischer und philosophischer Fragen auf, ohne sie zu lösen. Man kennt die Problematik aus der Frage, wie das menschliche Gehirn über sich selbst reflektieren kann, als wolle eine Schlange sich selbst auffressen oder ein Hammer sich selbst flach schlagen. Der Amerikaner Douglas R. Hofstadter hat dieses Problem in seinem Buch „Gödel, Escher, Bach“ umfassend analysiert. Er beschreibt es anhand einer Fernsehkamera, die ihr eigenes Bild aufnimmt und damit ein unendliches Kontinuum letztlich leerer Aufnahmen kreiiert, je mehr sie sich dem eigenen Bild auf dem Bildschirm nähert.
Ins Sprachliche übertragen bedeutet dies, dass der Schauspieler auf der Bühne überhaupt nicht dazu kommt, irgendeine faktische Aussage zu machen sondern seine eigenen Aussagen auf der nächsten Metaebene feflektiert, was sofort erzwingen würde, eine neue Metaebene einzurichten, die die zweite reflektiert, und so fort. Bei konsequenter Fortsetzung dieses „sich selbst auf die Schulter Steigens“ müsste der Schauspieler in Sprachlosigkeit erstarren, was durchaus eine mögliche Entwicklung dieses Stücks wäre. Aber wie bei John Cages „4.33“ wäre die Kommunikation mit einem Publikum und die Reaktion desselben nicht mehr möglich bzw. erratisch. Also hat John Clancy auf der ersten Metaebene Halt gemacht und lässt den Schauspieler sich selbst lediglich in einer Rekursion bespiegeln. Was er auch sagt, enttarnt er fast im selben Atemzug als einstudiert und festgelegt. Jede spontane Geste bei den Proben wird integriert und eingefroren, selbst die zwanzig Sekunden, die die Regie dem Schauspieler für spontane, private Worte zugesteht, entpuppen sich als Teil des Stücks und die während dieser Zeit gesprochenen, scheinbar persönlichen Worten als einstudiert, wie der Schauspieler zugibt. Selbst wenn Hubert Schlemmer in einem Akt des Protestes den Gästen das Bier wegtrinken oder sie beschimpfen würde, müsste und würde man dies für einen Teil der Inszenierung halten. Denn er hat eben durch die konsequente Selbstreferenz das Vertrauen des Publikums in eine vom Darsteller getrennte Fiktion zerstört. Fortan werden die Zuschauer jede Äußerung als Teil des Stücks interpretieren.

Mit dieser Selbstreferenz hinterfragt der Autor das übliche, fast schon als naiv zu beschreibende Verhältnis von Publikum und Darsteller und rückt letzteren wenn nicht als Person dann jedoch als Funktion in den Vordergrund. Der Darsteller, den wir hier im generischen Maskulinum führen, ist von seinem Vortrag nicht zu trennen sondern verschmilzt mit ihm zu einem Kontinuum. Seine Fähigkeit, einen bestimmten Charakter glaubwürdig wiederzugeben, transportiert gleichzeitig sein eigenes Wesen in die Rolle und zum Publikum. Auf der anderen Seite schaut sich der Schauspieler beim Spielen in einer Art selbstreferentieller Spiegelung selbst zu und löst sich in dieser Spiegelung zumindest temporär auf. Diesen – psycho-logisch – komplexen Vorgang drückt John Clancys Monolog aus, der sich auch während einer herkömmlichen Aufführung in einer Metabene des Schauspieler-Bewusstseins abspielen könnte.

Doch neben den subtilen und teilweise surrealen Aspekten der Selbstreferenzialität kommt auch der Humor nicht zu kurz. Erst einmal ist der selbstreferentielle Monolog streckenweise schon durch seine Surrealität komisch, zusätzlich übt aber auch die existentielle Hilflosigkeit des Schauspielers eine unverkennbar komische Wirkung aus. Dazu kommt, dass Clancy auch handfeste Seiten des Theaterbetriebs zur Sprache bringt, so wenn er die Erwartungen des Publikums satirisch beleuchtet oder eine Abhandlung über die Kritiker – hier „Begutachter“ genannt – einflicht.

Hubert Schlemmer bringt das Ganze mit einer trockenen Nüchternheit auf die Bühne, die die Absurdität der Situation treffend zum Ausdruck bringt. Wirklich komische Wirkung erzielt er mit dem ungläubigen Ausdruck der Hilflosigkeit, während die Momente parodistisch eingesetzter Bühnenkomik gerade durch ihre Aufgesetzteit wieder komische Qualität gewinnen. Am Ende verklingt der Monolog ohne Pointe, und das ist gut so. Denn die unendliche Schleife der selbstreferentiellen Reflexion lässt sich nicht durch einen „Gag“ auflösen.

Kräftiger Beifall für Darsteller Hubert Schlemmer sowie für die junge Regisseurin Marlene Anna Schäfer, die hiermit ihre erste Regiearbeit erfolgreich ablieferte.

Frank Raudszus     

 

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