Das Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt zeigt Dennis Kellys Theaterstück „Die Götter weinen“

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Ensemble
Vision vom Ende der Zivilisation  

Das Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt zeigt Dennis Kellys Theaterstück „Die Götter weinen“
Gegen Ende dieses Stückes bemerkt der spät zur Einsicht gekommene Initiator der Katastrophe, er habe immer geglaubt, dass die Götter die Menschen absichtlich mit ihren Schwächen und ihrer Bösartigkeit geschaffen hätten. Nun müsse er einsehen, dass sie sie nur sich selbst überlassen hätten und beim Anblick des Ergebnisses weinten. Zum Zeitpunkt dieser Aussage wirkt das aus dem Munde des Hauptschuldigen wenig glaubhaft und angesichts seines eigenen vollständigen Machtverlustes wie Koketterie, beschreibt jedoch die Befindlichkeit der Menschen in einer endzeitlichen Situation, in der sie sich nicht einmal mehr auf das Wirken höherer Instanzen herausreden können.

Diana Wolf (Barbara), Heinz Kloss (Colm)Der englische Autor Dennis Kelly, Jahrgang 1970, setzt sich in diesem 2010 entstandenen Stück mit der aktuellen geopolitischen Lage und speziell mit den zu erwartenden ökonomischen Entwicklungen auseinander. Das Handlungsgerüst lässt an Kompomisslosigkeit nichts zu wünschen übrig und strahlt tiefschwarzem Pessimismus aus. Das Stück gliedert sich in drei Akte, von denen die ersten beiden das Stück tragen und die wesentlichen Aussagen vermitteln. Der dritte ist eher ein Epilog mit sentimentalem, deswegen aber nicht versöhnendem Einschlag.

Gleich die erste Szene präsentiert ein von Allmachtsphantasien geradezu gesättigtes Bild: wie der Dirigent eines großen Orchesters beschwört ein einzelner Mann in einem langen Pelzmantel – Symbol einer fast kaiserlichen Macht – mit zur Machtgebärde erhobenen Armen das Abbild eines sich nähernden, beleuchteten Bürokomplexes. Jedenfalls kann man das abstrakte, bühnenhohe Gebilde als solches auffassen.

Nachdem sich die Lichtorgie gelegt und die Fassade sich in einen offenen Kubus verwandelt hat, sammelt sich im Vordeergrund eine seltsam anmutende Gesellschaft, die dem omnipotenten Protagonisten lauscht. Es handelt sich bei ihm um Colm (Heinz Closs), den Chef einer weltweiten Firma, der seinem engsten Führungszirkel seine neuen Strategie erklärt. Bühnen- und Kostümbildner Klaus Noack hat diesen Gestalten das Aussehen moderner Zombies verliehen: gegelte und streng nach hinten gekämmte Haare, graue Gesichter und emotionslose Gesichtszüge; dazu Anzüge, die zwar bis zu einem gewissen Grad die heutigen Kleidungskonventionen widerspiegeln, aber darüber hinaus in karikierendem Stil Individualität und damit persönlliche Macht ausdrücken sollen. Hier sitzen nicht Menschen zusammen, die ein Unternehmen leiten, sondern auf Effizienz getrimmte Funktionsträger, die ihren Gesichtsmasken nicht die geringste verräterische Emotion entweichen lassen.

István Vincze (Jimmy), Gabriele Drechsel (Beth)Colm hat entdeckt, das angesichts des Bevölkerungswachstums und des Klimawandels die Zukunft in der Sicherstellung der Nahrungsmittelproduktion liegt, und will dies für die Festigung und das weitere Wachstum der Firma nutzen. Zwecks Effiziensteigerung teilt er den Weltmarkt in zwei Zonen auf und verteilt ihn auf Richard (Uwe Zerwer) und Catherine (Karin Klein), seine vermeintlich besten weil härtesten Manager. Seinem in seinen Augen zu weichen Sohn Jimmy (István Vincze) nimmt er das Land Belize weg, ohne ihn einem der beiden neuen Machthaber zu überantworten. Instinktiv erkennt er, dass er damit die Balance und die gegenseitige Kontrolle der beiden stören würde. Um weiterhin die Fäden in der Hand zu behalten, setzt er seinen Vertrauten Castile (Matthias Kleinert) als Wachhund in den Vorstand.

Doch bereits bei dieser selbstherrlichen Verteilung von Positionen hat Colm einen schwerwiegenden Fehler begangen. Laut der ehernen Regel „divide et impera“ muss die nächstniedrigere Ebene stets aus mehr als zwei Personen besthen, weil selbst zwei gegensätzliche, miteinander konkurrierende Charaktere sich leichter einigen können als derer drei, vier oder fünf. Und so kommt es denn auch: in einem perfiden Pokerspiel spielen sich Richard und Catherine Belize gegenseitig zu. Sie wissen um das hohe Risiko dieses Marktes: Rohstoffe, aber korrupte Regime, Rebellen und ethnische Rivalitäten. Wer diesen Markt erschließt, hat gewonnen, wer dabei versagt, hat auf ganzer Linie verloren. Jeder der beiden möchte diesen Markt für sich reklamieren, kennt aber die Fallstricke und vor allem die Absicht des Gegenübers, diese Fallstricke für die eigenen Ziele zu nutzen. Nach Werfen einer Münze erhält Catherine Belize, spürt aber, dass Richard ihr das Land aus hinterhältigem Kalkül überlässt. Damit ist der Kriegsschauplatz zwischen diesen beiden Antipoden bereitet.

In einem nächsten Schachzug setzen die beiden – unter Richards aggressiver Führung – Castile in einer Vorstandssitzung schachmatt, bei der dieser Colm vertritt. Nachdem die beiden sich die anderen, opportunistischen Vorstandsmitglieder mit Versprechungen gefügig gemacht haben – schließlich verfügen sie über faktische Macht -, entmachten sie sowohl Castile als auch Colm und werfen sie gleich aus der Firma. Dieses eiskalte Vorgehen ist geradezu ein Markenzeichen der Firma. Colm selbst hat es eingeführt und beweist es bei dem umgehenden knallharten Rauswurf eines sachlich widersprechenden Managers; jetzt wird er selbst das Opfer seiner Maxime der unbeugsamen Härte. Der Ton in der Vorstandsetage ist dementsprechend und bedient sich gerne und lautstarkt des berüchtigten „A….“-Wortes. Bei Diskussionen um strategische oder operationale Fragen werden Widersacher mit unflätigen Worten, bösartigen Unterstellungen und mit fast physischer Gewalt bekämpft, und Loyalitäten haben eine Halbwertszeit von wenigen Minuten.

Colms Sohn Jimmy hat noch nicht ganz verloren, da er Liebhaber der aufgestiegenen Catherine ist. Diese muss ihre Aktivitäten auf dem neuen Markt absichern, da sie Richards lauernden Blick spürt, und Jimmy verspricht ihr, seine privaten Beziehungen zu der Versicherungsagentin Beth zu nutzen. Diese liebt ihn ebenfalls und verlässt sich auf sein Wort, die Firma werde alles tun, um die nach Afrika entsandten Experten zu schützen. Die Afrika-Aktion wird versichert, doch der Zuschauer weiß bereits, dass hier jeder jeden betrügt. Und so kommt es auch: Jimmy hat das vorgesehene Geld zweckentfremdet, die Aktion scheitert, überall brennt es, und Richard nutzt die Chance, um Catherine Belize zu entreißen.

EnsembleDer Zweite Akt dreht sich nur um dies Entreißen, aber hier geht es nicht mehr um Intrigen und Hausmachten, sondern um schlichte Gewalt. Kelly setzt den gegenwärtigen Trend, staatliche Macht durch private Sicherheitsdienste zu ersetzen – man denke an „Blackwater“ im Irak, Sicherheitsteams gegen Piraten oder Söldner in Afrika – konsequent fort und lässt Richard und Catherine ihren weltweiten Machtkampf um Ressourcen durch private Armeen ausfechten, wobei beide selbst den jeweiligen Oberbefehl innehaben. Da tritt dann Richard hinkend in Tarnanzug und kugelsicherer Weste wie ein Vietnam-Veteran auf, und Catherine trägt zum Business-Kostüm notdürftig verbundene Beine und eine modische Schutzweste. Beide verfügen über kopfstarke Truppen, und die Kämpfe schlagen sich in zunehmender Verwüstung nieder. Heinz Noack zeigt diese, indem er durch die Decke des Cubus zerstörte Bäume und diverse Zivilisationsreste brechen lässt. Auch Jimmy tritt wieder in den Kreis der Kämpfenden und wird von beiden Seiten requiriert. In eiskalter Manier zwingt ihn Richard mit erpresserischen Mitteln, scheinbar für Catherine zu kämpfen und sie dabei zu verraten. Sie wiederum befürchtet eben dies, lässt sich jedoch von ihren Gefühlen für Jimmy leiten. Die Kämpfe verdichten sich bis zu einer Entscheidungsschlacht, in der auch Jimmy wieder eine Rolle spielt. Drumherum gibt es keine Loyalitäten mehr sondern nur noch den Willen zu überleben, Verrat und Doppelverrat, Mord, Totschlag und Rache sind an der Tagesordnung, und schließlich neigt sich das Schlachtenglück zu einer Seite; zu welcher, sei hier nicht verraten….

An der Schlusspointe des zweiten Teils ist auch Beth beteiligt, die durch Jimmys Verrat Job, Vater und Verstand verloren hat. Wie Lady Macbeth geistert sie durch die Szene und sinnt auf Rache. Richard hat sofort das Potential der Rachegelüste dieser von Jimmy so perfide hintergangenen Frau entdeckt und plant sie für seine strategische Überlegungen ein. Doch nicht alles lässt sich kalkulieren, und die Dinge entwickeln sich bisweilen anders als geplant. So kommt es dazu, dass Beth am Ende des zweiten Aktes, so man diese Bezeichnung auf dieses Stück übertragen kann, den Schlachtruf ausstößt, dass mit diesem Tag eine neue Zeitrechnung beginne.

Wenn das Stück hier endete, wäre das ein nachvollziehbares und konsistentes Ende einer apokalyptischen Vision. Doch Kelly fügt noch einen Epilog hinzu, der dem Stück eine zusätzliche Dimension hinzufügen und in gewissem Sinne zum Beginn zurückführen soll. Der entmachtete Colm wurde von seinem eigenen Sohn Jimmy, dem er einst mangelnde Härte vorgeworfen hatte, im wahrsten Sinne des Wortes gebrochen. Wie König Lear wankt er machtlos durch die Szene und findet bei einer jungen Frau Unterschlupf und Heilung seiner Wunden. Vom einstmals omnipotenten Unternehmenschef ist nur ein Wrack zurückgeblieben, das wie Marat in der Badewanne endet – wenn auch nicht stirbt. Und im Gegensatz zu Marat bringt ihn diese fremde Frau nicht um sondern versorgt ihn, obwohl sie eher Grund zu einem Mord hätte. Sie entpuppt sich – welch Zufall! – als die einzig überlebende Tochter eines Konkurrenten, den Colm einst erst in den Ruin und dann in den Tod getrieben hat. Hier beginnt das Stück zufallsgesteuerte Sentimentalität zu entwickeln, der die Grenze zum Kitsch streift. Im letzten Akt vegetieren die beiden in einer Nachkriegswelt dahin, die nichts als Not und Hunger hinterlassen hat. Marodierende Soldaten ziehen durchs Land, und die beiden müssen nicht nur um ihr letztes Hab und Gut sondern wegen Hungers und allgegenwärtiger Gefahren stündlich um ihr Leben fürchten. In einer Folge von kurzen Szenen, die das bis dahin dichte Gerüst aus sorgfältig aufgebauten dramatischen Szenen konterkariert, entwickelt sich eine fragile Naturidylle mit einem grotesken weil unfreiwilligen Humor, der nicht zu den ersten beiden Sätzen passen will. Sicher hat Kelly diese Szenen nicht komisch konzipiert, und auch Regisseur Axel Richter versucht durch ein düsteres Bühnenbild – überall Zerstörung – der Szene das Grotesk-Komische zu nehmen. Doch es gelingt ihm aufgrund der geschilderten Szenen nicht, denn diese bergen allein durch die Konstellation eines desorientierten männlichen Wracks mit einer lebenstüchtigen jungen Frau Sprengsätze unfreiwilligen Humors. Und so kommt es, wie es kommen muss: das Publikum lacht und betrachtet diesen Epilog als versöhnenden Schluss einer schrecklichen Zerstörungsorgie. Doch dieses Lachen wird gerade durch die vorangegangenen Szenen ad absurdum geführt, und man kann sich nicht vorstellen, dass Kelly am Schluss noch einen positiven Ausblick bieten wollte. Er zerstört diesen Irrtum denn auch ganz am Ende, doch dieser Schluss, der den Höhepunkt von Niedertracht und menschlicher Grausamkeit darstellt, war bereits nach dem zweiten Teil gegeben. Von daher ist der Epilog im Trümmerfeld eigentlich überflüssig.

Die Darsteller verleihen diesem etwas holzschnittartig überzeichneten Stück Leben und satirische Schärfe. Heinz Kloss gibt den erst in Allmachtphantasien sich ergehenden Colm, dann dessen Wrack mit billigen Rechtfertigungen und späten Einsichten. Und kaum kommt er wieder auf die Füße, fängt dieser Mensch in den Niederungen des Elends wieder an zu phantasieren und seine Mitmenschen zu manipulieren. Eine Rolle, die Heinz Kloss geradezu auf den Leib geschrieben ist. Karin Klein gibt eine eiskalte Catherine, die sich mit allen Mitteln gegen eine grausame Männerwelt durchsetzen muss und doch deren trügerischem Charme erliegt. Uwe Zerwer geht als Richard über Leichen und überschüttet jeden Gegner nicht nur mit Drohungen aller Art sondern setzt diese auch ohne Bedenken um. Ein Höhepunkt des Abend ist die Pokerpartie des Ehepaares Zerwer/Klein als Richard und Catherine um den afrikanischen Markt. Die beiden sind blind aufeinander eingespielt. Hoffen wir, dass sie privat besser miteinander umgehen…
Matthias Kleinert verleiht dem Castile anfangs die Souveränität der Macht und später den Hass des Abservierten, den es nur noch nach Rache gelüstet. Tom Wild gibt den „Head of Communication“ Gavin, der anfangs noch so etwas wie sachliche Diskussionen für möglich hält, aber vor der puren Gewalt zurückschreckt. Gabriele Drechsel verdeutlicht den Zusammenbruch der Versicherungsfrau Beth auf erschreckend überzeugende Weise, und Diana Wolf verleiht der jungen Barbara die Verzweiflung und den Lebensmut einer jungen Frau, die ausgerechnet den Vernichter ihrer Familie am Leben erhalten muss. Sonja Mustoff weist Richard als Wahrsagerin den Weg ins Unglück, und Maika Troscheit gibt die opportunistische Vorstandskollegin Nadine. István Vincze schließlich entwickelt sich als Jimmy vom weichen Chefsohn zum eiskalten, gnadenlosen „Macher“. In weiteren Rollen treten Stefan Schuster, Antonio Lallo und Gerd K. Wölfle auf.

Das Premierenpublikum zeigte sich von dieser Parforce-Tour durch den Garten der Schrecklichkeiten beeindruckt und spendete dem gesamten kräftigen Beifall. Einige „Buh“-Rufe verloren sich dagegen schnell.

Frank Raudszus     

 

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