Das 2. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt bringt Werke von Rachmaninow, Walton und Schostakowitsch

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Dirigent Gabriel Feltz
Ausdruck von Resignation und Leid  

Das 2. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt bringt Werke von Rachmaninow, Walton und Schostakowitsch
Im 2. Sinfoniekonzert der Saison erklang überwiegend Musik des 20. Jahrhunderts. Das Kompromissangebot aus der Romantik bestand in Rachmaninows sinfonischem Stück Utes aus dem Jahr 1893, danach ging es in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben den beiden großen Musikernamen Rachmaninow und Schostakowitsch hatte GMD Martin Lukas Meister noch den nicht so bekannten englischen Komponisten William Walton ausgewählt, dessen Cellokonzert der gebürtige Schweizer Christian Poltéra interpretierte. Als Gastdirigent stand Gabriel Feltz am Pult, seines Zeiches Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker.

Cello-Solist Christian PoltéraSergej Rachmaninows Fantasie „Utes“, op. 7, entstand nach einer Erzählung von Anton Tchechow, die zwei ungleiche Menschen für einen Abend zusammenführt. Das Stück beginnt mit dunklen langen Sequenzen der Streicher, die Schwermut und Leiden ausdrücken. Aus diesem verhaltenen Anfang baut sich langsam eine expressive Klage auf, doch bis zum Schluss überwiegen warme und weiche Klangfarben. Dieses Stück erfüllt das bekannte Klischee von der tiefen russichen Seele perfekt, auch wenn Rachmaninow es sicherlich nicht so verstanden wissen wollte. Beeindruckend an dieser Komposition sind neben dem feinen Spiel der Klangfarben auch die ineinander fließenden Stimmen der einzelnen Instrumentengruppen. Das Orchester des Staatstheaters folgte den intensiven Zeichen des Dirigenten mit viel Aufmerksamkeit und brachte damit das Schwebende, sich im Weltschmerz Verflüchtigende dieser Musik überzeugend zum Ausdruck.

Der Grundtenor eines resignativen Weltschmerzes bleibt auch in William Waltons Cellokonzert aus dem Jahr 1956 erhalten. Das verwundert nicht, denn seit dem Zweiten Weltkrieg und Hiroshima war gerade einmal ein Jahrzehnt vergangen, und der Kalte Krieg drohte mit totaler Vernichtung. Das Orchester intoniert zu Beginn das Ticken einer Uhr, was die historische Situation mehr als deutlicht kommentiert. Darüber erhebt sich das Cello mit verhaltenen, fast elegischen Figuren, die für die Zeit erstaunlich tonal angelegt sind. Die Modernität des Stücks schlägt sich eher in einer Harmonik nieder, die an den Jazz der fünfziger Jahre erinnert.
Der zweite Satz kommt scherzo-artig daher, mit beweglichen Figuren und schnellen Tonfolgen des Solo-Instruments. Das Orchester unterlegt die Cello-Figuren mit einem marschartigen Grundrhythmus
Der dritte Satz ist geprägt von Tempoänderungen, einer schwach ausgebildeten Metrik und vielen Zäsuren. Nach einem verhaltenen Beginn entwickelt der Satz im zweiten Teil eine deutlich höhere Dynamik, die sich im Einsatz von Schlagzeug und Hörnern niederschlägt.  Dabei tritt das Cello zwei Mal zu einem längeren Solo an, zu dem das Orchester weitgehend schweigt. Diese Soli sind die Kernstücke nicht nur dieses Satzes. Sie sind jedoch mehr vom musikalischen Ausdruck geprägt als von reiner Virtuosität und bringen das Gefühl eines bedrohten Lebens zum Ausdruck. Das leise Verklingen dieses Satzes ist ein weiterer Ausdruck der Beklommenheit und einer leisen Resignation. Christian Poltéra interpretierte diese introvertierte Musik mit viel Gespür für die einzelne musikalische Figur und malte die dunklen Klangfarben von Instrument und Komposition überzeugend aus.

Der anhaltende Beifall des Publikums animierte den Solisten noch zu einer Zugabe, die einen ähnlichen Charakter wie Waltons Konzert ausstrahlte. Insofern war die Zugabe gut auf das Hauptwerk abgestimmt. Das Publikum entließ Solisten und Orchester mit herzlichem Beifall in die Pause.

Den zweiten Teil füllte vollständig Dimitri Schostakowitschs 10. Sinfonie, die er Ende 1953, gut ein halbes Jahr nach Stalins Tod, in Leningrad zum ersten Mal aufführte. Dieses Datum ist insofern wichtig, als Schostakowitsch unter Stalin wegen seiner modernen Musik „persona non grata“ war. Wie alle totalitären Despoten forderte auch Stalin und damit die KPdSU eine einfache, leicht eingängige und „positive“ Musik von ihren Künstlern. Ein Verstoß dagegen konnte nicht nur in Berufsverbot und Armut münden, sondern schnell auch zum Verlust der Freiheit oder gar des Lebens führen. Dass Schostakowitsch „nur“ seinen Beruf verlor, war also noch Glück im Unglück. Deshalb wagte er sich mit seiner 10. Sinfonie auch erst nach Stalins Tod hervor, als sich die Sowjetunion ein wenig von dem despotischen Druck Stalins erholte.

Der erste Satz beginnt verhalten, fast wie ein Requiem. Das darf man zumindest äußerlich auch als ein solches verstehen, denn Schostakowitsch musste auch bei Stalins Nachfolgern genau auf seine künstlerische Linie achten. Nach dem getragenen Beginn steigert sich der Satz zu einer Expressivität, die man sowohl als Klage über Stalins Tod wie auch als erleichterten Aufschrei über eben diesen Tod auffassen kann. Damals dürfte das jeder nach seiner politischen Ausrichtung interpretiert haben. Der unterliegende, marschartige 6/8-Rhythmus suggeriert zumindest so etwas wie einen Trauermarsch.
Der zweite Satz zeigt dagegen ein ganz anderes Klangbild. Bereits die ersten Takte kommen mit drohenden Schlägen daher, und im weiteren Verlauf bringt dieser Satz Ekstase und unkontrollierte Raserei zzum Ausdruck. Auf Vorhaltungen wegen seiner unpolitischen Kunst sagte Schostakowitsch später, dass er mit eben diesem Satz Stalin porträtiert habe. Die wichtigen politischen Entscheider durften dies nur nicht merken, was auch glücklicherweise eintrat.
Im dritten Satz herrscht scheinbar Ruhe und Frieden. Fagott und Horn sorgen für eher satte und warme Klänge, doch Pausen lassen immer wieder das Bedrohliche durch die scheinbare Idylle durchschimmern. Dieser gespannten Ruhe – nach der Stalinzeit – entflieht die Musik plötzlich in einen fast verzweifelt zu nennenden Tanz im Dreiviertel-Takt, den man beinahe als Parodie der Zarenzeit auffassen könnte. Aber auch der Tanz auf dem Kraterrand des politischen Vulkans liegt als Interpretationsmuster nahe. Diesen Satz hat Schostakowitsch auch mit seiner persönlichen musikalischen Kennung D, Es, C, H versehen, sozusagen seine Initialen – wie Bach mit B, A, C, H – in Musik umgesetzt.
Der Finalsatz schließlich beginnt feierlich, ein Oboen-Solon sorgt für eine entspannte Antmosphäre. Doch dann steigert sich die Musik zu jagenden, aggressiven Rhythmen, bis eine Tanzeinlage scheinbare Fröhlichkeit hineinbringt. Dazwischen fahren harte Schläge, wie Schostakowitsch und das russische Volk sie in der stalinistsichen Ära zu Genüge erfahren haben, bis zum Schluss mit dem Wiedereinsetzen der DEsCH-Figur so etwas wie verhaltener Optimismus einsetzt.

Das Orchester war bei diesem über 52 Minuten gehenden Werk bis an seine Grenzen beansprucht, nicht nur wegen dessen Länge sondern vor allem wegen der musikalischen Komplexität und der Ausdruckswucht. Doch bis zum Schluss behielt Gabriel Feltz das Orchester fest im Griff, und dieses folgte ihm mit höchster Konzentration und nie nachlassender Spannung. Nach den letzten, befreienden Akkorden brach fast jubelartiger Beifall aus, mit einzelnen „Bravo“-Rufen durchsetzt.

Nachdem der lange Beifall für Dirigent und Orchester verklungen war – Feltz hatte noch einige Solisten besonders hervorgehoben -, erschien GMD Martin Lukas Meister auf der Bühne, um einen langjährigen freiwiligen MItarbeiter, den Musiklehrer Ulrich Pietsch, für sein dreißigjähriges Jubiläum als Veranstalter der „Arbeitskonzerte“ im Theaterfoyer auszuzeichnen. Auf diese Weise nahm dieses Konzert noch ein ganz besonderes Ende, und die Zuschauer blieben bis zum Ende der Auszeichnung auf ihren Plätzen und spendeten auch dem Jubilar herzlichen Beifall.

Frank Raudszus     

 

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