Die Kunsthalle Schirn zeigt Werke des „fotografischen“ Impressionisten Gustave Caillebotte

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Konstruierter Impressionismus

Die Kunsthalle Schirn zeigt Werke des „fotografischen“ Impressionisten Gustave Caillebotte

Unter dem Impressionismus in der Malerei stellt man sich üblicherweise leicht verschwommene Bilder vor, die der Erzeugung einer bestimmten Stimmung mehr Platz einräumen als einer detailgetreuen Abbildung der dargestellten Objekte. Je näher man an ein typisch impressionistisches Gemälde herangeht, desto mehr zerfließt es in scheinbar ungeordnete Farbflächen. Der gewünschte Eindruck entsteht erst bei einigem Abstand. Berühmte Namen dieser Schule sind Renoir, Monet, Manet, Degas und andere.

Doch es gibt auch eine andere Seite des Impressionismus. Nicht zuletzt hängt der Verzicht auf Detailgenauigkeit mit dem Aufkommen der Fotografie zusammen, die diesen Aspekt wesentlich besser und schneller abdecken konnte als die manuelle Kunst des Zeichnens oder Malens. So kann man den „typischen“ Impressionismus durchaus als Gegenbewegung gegen die scheinbare Leblosigkeit der Fotografie, wahlweise auch als Flucht vor der neuen Konkurrenz auffassen. Es bietet sich jedoch grundsätzlich noch eine andere Reaktion an: man kann die Technik der Fotografie in die Malerei integrieren und daraus eine neue Stilart entwickeln. Genau dies tat der französische Maler Gustave Caillebotte (1848-1894). Der Sohn großbürgerlicher Eltern studierte erst Jura und dann Kunst und schloss sich den oben erwähnten Impressionisten an. Erst gegen Ende der siebziger Jahre, im Alter von fast dreißig Jahren, stellte er eigene Bilder aus. Angesichts der Tatsache, dass er bereits mit sechsundvierzig Jahren starb, erstaunt der Umfang seines Gesamtwerks von etwa fünfhundert Gemälden, Pastellen und Zeichnungen.


Caillebotte folgt in vielen Aspekten seiner Malerei seinen impressionistischen Vorbildern. So manches seiner Bilder hätte auch von Renoir oder Monet stammen können. Doch im Laufe der Zeit fügte er seinn Bildern eine starke intellektuelle Komponente hinzu. Im Gegensatz zu seinen bekannten Kollegen, die vornehmlich Stimmung und Ausdruck einfangen wollten, ging es ihm um die dahinter liegenden Strukturen, seien es gesellschaftliche oder psychologische. Diese legt er einerseits durch eine gewisse Distanzierung von seinem Gegenstand, andererseits durch neue Blickwinkel offen. Die Distanzierung äußert sich in einer ausgesprochen kühlen Komposition und einer fast fotografischen Genauigkeit, die jedoch nicht dem Objekt huldigt, sondern es letztlich bloßstellt. Wenn bei Caillebotte ein Paar über eine Brücke geht, dann sieht man nicht zwei liebende oder leidende Menschen, sondern zwei durch ihre körperliche Selbstkontrolle die Konventionen der Gesellschaft widerspiegelnde soziale Wesen. Nie würden seine Figuren sich an einem Flussufer träumend entspannen wie in entsprechenden Bildern seiner Zeitgenossen. Wenn „Richard Gallo und sein Hund Dick“ an einem Fluss entlangspazieren, dann tun sie dies in vollem Bewusstsein ihrer jeweiligen Rollen, sogar der Hund. Der reizvolle Kontrast entsteht dadurch, dass Caillebotte den Hintergrund oftmals in beliebter impressionistischer Manier lichtvoll und leicht gestaltet.

Auch bei den Portraits geht Caillebotte einen eigenen Weg. Statt des erotischen Flirrens bei weiblichen Portraits zeigt er ganz andere Ausdrucksvarianten, so etwa unterschwellige Unzufriedenheit oder gar Überdruss. Ähnliches gilt für die Männerportraits: auch diese strahlen statt behäbiger Würde eine unsicher Distanzierung von der Umgebung aus.

Richard_Gallo_und_sein_Hund_Dick
Einen besonderen Verweis auf die kommende Moderne stellen seine Landschaftsbilder dar. Caillebottes impressionistische Zeitgenossen berherrschten zwar die Gesetze der Perspektive durchaus und verstießen auch nicht – abgesehen vielleicht von van Gogh – absichtlich gegen sie. Doch sie maßen perspektivischen Darstellungen keine große Bedeutung zu. Anders Caillebotte: geradezu abstrakt muten einige seiner Landschaftsbilder in ihrer bewussten Konstruktion der Fluchtpunkte an. Das Pferdefuhrwerk vor dem Vesuv stellt zwar vordergründig ein beliebtes Motiv dar, doch in ihrer Verlorenheit in den strengen Fluchtlinien des Weges gewinnen Pferd und Wagen einen ganz anderen metaphorischen Charakter als den einer ländlichen Idylle. Einige andere Landschaftsbilder muten in der Anordnung der Felder geradezu abstrakt an. Auch Stillleben hat Caillbottes auf andere Art und Weise konzipiert als seine Zeitgenossen. Wählten siese wie ihre Vorgänger meist eine Perspektive aus Sitzhöhe, sozusagen die „normale“ Position beim Malen, so hinterfragt Caillebotte die Normalität dieses Stillebens durch eine Verschiebung der Perspektive vor allem nach oben. Aus der Vogelperspektive stellt sich dann eine Ansammlung von den Gegenständen ganz anders dar. Diese Verlagerung der Perspektive unterminiert die üblichen Sehgewohnheiten und stellt die Welt des ästhetisch Üblichen buchstäblich auf den Kopf. Vorbilder für solche Verlagerungen sind Fotos wie eines, dass Fußgänger von oben bei Sonnenschein zeigt und bei dem nicht die abgebildeten Menschen, sondern ihre grotesk langen Schatten das Bild dominieren.

Die Ausstellung enthält neben Caillebottes Werken eine Reihe von Fotografien anderer Künstler aus derselben Zeit, die thematisch zu den jeweiligen Bildern passen. Zur Verdeutlichung des Einflusses auf den Maler Caillebotte  sind die entsprechenden Bilder unmittelbar neben dessen Gemälde gehängt. In einigen Fällen erkennt man deutlich den unmittelbaren Vorlagecharakter dieser Fotografie. Wenn man sich diese Ausstellung angesehen hat, fragt man sich, warum Caillebotte in der breiten Rezeption der Kunstgeschichte so unbekannt ist. Es ist wohl gerade der Strich, mit dem er den Impressionismus gegen die Erwartungshaltung bürstet, der ihm schon zu Lebzeiten Ablehnung entgegengebracht hat. So monierten Kritiker, sein nüchtern realistisches Bild „Parkettschleifer“ verströme geradezu den Schweißgeruch der drei halbnackten Handwerker. Den Kritikern fehlte die ästhetisch-ethische Veredelung, die viele Maler noch im 19. Jahrhundert der Darstellung von handwerklicher Arbeit zukommen ließen.
Die Ausstellung ist vom 18. OKtober bis zum 20. Januar 2013 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 22 Uhr geöffnet. Frank Raudszus

 

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