Das 3. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt verbindet Musik von und Texte zu Ludwig von Beethoven

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Bettina von Brentano
Eine gelungene Symbiose von Wort und Ton  

Das 3. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt verbindet Musik von und Texte zu Ludwig von Beethoven
Kammerkonzerte leiden selten darunter, ausverkauft zu sein. Zu speziell ist das Angebot und das daran interessierte Publikum meist begrenzt. Da bedarf es besonderer Anlässe zum Ansturm auf die Karten, etwa der Auftritt großer Interpreten oder eine Verbindung zu anderen Kulturbereichen. Die Kombination verschiedener Vortragsarten, neudeutsch gerne „cross over“ genannt, stellt eine der Möglichkeiten dar, neue Zuhörerschichten zu erschließen, ohne den Anspruch zu senken. Die Schauspielerin , bekannt aus vielen Film- und Fernsehrollen, und der Pianist haben diesen Weg beschritten und ein literarisch-musikalisches Abendprogramm um Ludwig von Beethoven gestaltet, mit dem sie am 29. November in Darmstadt auftraten.

Hannelore ElsnerDie Aussage, es gehe in diesem Programm um Ludwig von Beethoven, ist richtig und irreführend zugleich. Zwar spielt drei bekannte Sonaten des Komponisten, und die vorgetragenen Texte drehen sich tatsächlich nur um ihn, doch deren Verfasserin befindet sich an diesem Abend sozusagen auf Augenhöhe mit ihm. Dabei handelt es sich um Bettina von Arnim, geborene . Die Familie von Brentano hat in dieser Generation gleich mehrere literarische Talente hervorgebracht. Neben Bettina war das in erster Linie ihr Bruder Clemens, der bekannte romantische Lyriker, doch auch der andere Bruder Christian zeichnete sich neben seinem Theologenberuf durch schriftstellerische Begabung aus.

Bettina selbst reiste im Jahr 1810 nach Wien und versuchte, den schon damals von ihr verehrten Beethoven, damals gerade vierzig Jahre alt, persönlich kennenzulernen. Wider alle Warnungen guter Freunde und anderer Widerstände schaffte sie es tatsächlich bis in eine der drei Wohnungen Beethovens, und dieser begegnete ihr vom ersten Augenblick an mit großer Freundlichkeit und Offenheit. Es muss ein Funke zwischen diesen beiden Menschen übergesprungen sein, der den vermeintlichen Misanthropen Beethoven zum aufgeschlossenen Gesprächspartner werden ließ. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls Bettinas Berichte über den Besuch in Wien, und man kann eine gewisse subjektive Färbung jedenfalls nicht ganz ausschließen. Unter seinen Wiener Zeitgenossen galt Beethoven dagegen als unzugänglich und schroff, Geselligkeiten abgeneigt und nur für die Musik lebend.

Sebastian Knauer – damals noch nicht verheiratet – verfügte jedoch nicht nur über literarisches Talent, das sie bereits in ihrem Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ schlagend bewiesen hatte, sondern auch über tiefes Interesse an und einige Kenntnisse in der Musik. Sie konnte also nicht nur mit Beethoven über Musik reden, sondern vor allem verstand sie offensichtlich, was Musik für Beethoven bedeutete. Als eine der wenigen seiner Zeitgenossen hat sie nicht nur den großen Pianisten und Sinfoniker bewundert, sondern sie brachte in ihren Texten vor allem deutlich zum Ausdruck, dass Beethoven seiner Zeit weit voraus war und seine Zeitgenossen ihn wohl nie wirklich verstehen würden. Diese Erkenntnis ist heute unter Musikexperten Allgemeingut, denn Beethoven gilt als Wegbereiter und Vorbild nicht nur der gesamten Musik des 19. Jahrhunderts, sondern auch der modernen Musik. Manche harmonischen und thematischen Wendungen seiner Klaviersonaten und Streichquartette könnten aus dem 20. Jahrhundert stammen, sei es in der sogenannten E-Musik oder gar im Jazz. Gerade letzterer ähnelt in seinen „coolen“ Klängen oft dem entrückten Ausdruck Beethovenscher Spätwerke.

Die erstaunliche Tatsache, dass eine Frau von fünfundzwanzig Jahren die Eigenarrt und Bedeutung der Musik Beethovens intuitiv erkennt und mit einfachen aber treffenden Worten ausgedrückt hat, hebt die Autorin auf Augenhöhe mit Beethoven. Ähnlich hat später nur Thomas Mann – wenn auch viel länger und detailverliebter – als „fachfremder“ Literat über Musik geschrieben, zum Beispiel in seinem Roman „Dr. Faustus“. 

Das Programm des Abends umfasste drei Klaviersonaten, die alle vor s Besuch in Wien entstanden. Sie spiegeln also einen musikalischen Erkenntnisstand, über den die junge Besucherin verfügt haben muss. Vielleicht hat sie diese Sonaten selbst auf dem Klavier gespielt oder es zumindest versucht. Angesichts iher Bewunderung Beethovens ist davon auszugehen. Man kann sich also vorstellen, dass an diesem Abend nicht , sondern der Interpretation der drei Sonaten lauschte, jedoch vorgetragen vom Komponisten selbst.

Der erste Satz der Sonate Nr. 5, op. 10 Nr. 1 in c-Moll eröffnete den Abend. Der Flügel verströmte einen sehr hellen Klang, an den man sich erst einmal gewöhnen musste, und meißelte die eigenwilligen Figuren dieses Satzes mit Gespür für die Zäsuren und Widersprüche heraus. Danch folgte der erste der von vorgetragenen Texte, in dem Bettina von Arnim von ihrem Besuch in Wien und ihrem ersten Treffen mit Beethoven berichtet, den sie einen „Wolkenschieber“ nennt. Was sie darunter versteht, kann man nur vermuten: Beethoven eröffnet mit seiner Musik den Blick in den weiten Himmel der Musik und damit des Lebens. Später wird sie diese Aussage mit den Worten „Wir bauen selbst den Himmel“ ergänzen.

Nach den anderen beiden Sätzen dieser Sonate, dem sehr bewusst vorgetragenen „Adagio molto“ und dem wilden „Prestissomo“ des Finales, ging der erste Satz der Sonate Nr. 17, op. 31 Nr. 2, der sogenannten „Sturm“-Sonate in d-Moll, mit den Sätzen s über die Einsamkeit des „unglücklichen Beethoven“ einher. Diese Sonate, deren Bezeichnung man auf Shakespeares „Sturm“ zurückführt, spiegelt eben diese Zerrissenheit eines Künstlers wider, der sich von seiner Zeit nicht verstanden sieht, weil er ihr um Jahrzehnte voraus ist. Beethoven muss unter dieser musikalisch-philosophischen Einsamkeit sehr gelitten haben, fand er doch keine Gesprächspartner, mit denen er seine innersten Gedanken und Gefühle hätte austauschen können. Seinen höfischen und adligen Auftraggebern begegnete er mit kaum verhohlener Verachtung, die er sich leisten konnte, weil er mittlerweile als Genie galt, auch wenn man ihn nicht verstand. Die „Sturm“-Sonate steht zu Unrecht etwas hinter den „großen sechs“, den letzten sechs Klaviersonaten Beethovens zurück, weist sie doch schon viele Züge dieser Abschiedswerke auf, die man gerne als Vermächtnis deutet.

Passend zur letzten Sonate des Programms, der „Mondscheinsonate Nr. 14, op. 27 Nr. 1, las Hannelore die Passagen über die Sehnsucht vor, die aus Goethes Gedicht „Mignon“ („Kennst Du das Land…“) herausgelesen hatte. Diese Sehnsucht drückt sich im ersten Satz der Mondschein-Sonate mit ihren weiten Triolen in der rechten Hand besonders intensiv aus. Diese Sonate stellt insofern eine Besonderheit dar, als sie mit einem langsamen Adagio-Satz beginnt, sich mit einem maßvollen Allegretto im zweiten Satz langsam steigert und schließlich im Finalsatz zu einem rollenden Presto übergeht. Fast könnte man meinen, es handle sich eigentlich um eine viersätzige Sonate, deren Kopfsatz verlorengegangen ist. Doch Beethoven hat offensichtlich dieses langsame Anschwellen von dem anfangs langsamen Tempo und dem durchsichtigen Klang der linearen Themenführung bis hin zum reichen Klang- und Dynamikumfang des letzten Satzes genau geplant. Die herkömmliche Sonatenform hat ihn da wenig interessiert.

Wegen dieser systematischen, aus sich selbst erwachsender Steigerung der Sonate spielte sie auch in einem Stück, nicht nur ohne Textunterbrechungen durch sondern auch ohne Absetzen zwischen den Sätzen. Dadurch entfaltete sich die Klangentwicklung sozusagen organisch.

Das Spiel beeindruckte durch die genaue und akzentuierte Betonung der dynamischen Rückungen. Verlangsamungen und vor allem Pausen setzte er markant ein, ohne dabei zu übertreiben. Sein Spiel wirkte trotz dieser Hervorhebungen nie maniriert oder  Effekte haschend. In seinen musikalischen Vortrag fügte sich mit ihrer vollen, warmen Stimme und einer ausgesprochen natürlichen, nie im romantischen Übereifer deklamierenden Vortragsweise auf ideale Weise ein.

Das Publikum bedankte sich bei den beiden Interpreten mit derart kräftigem Beifall, dass sie noch eine Zugabe in Form eines „Lieds ohne Worte“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy mit passendem Text hinzufügten.

Frank Raudszus 
 

 

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