Das Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt spielt Heinrichs Manns „Der blaue Engel“

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Sonja Mustoff (Frau Kiepert), Diana Wolf (Rosa Fröhlich, genannt Lola Lola), Tom Wild (Herr Kiepert)
Die wundersame Wandlung des Professor Rath  

Das Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt spielt Heinrichs Manns „Der blaue Engel“
Die „Theatralisierung“ von Heinrich Manns Roman „Professor Unrat“ ist eine Geschichte der Verzerrungen und gewollten Veränderungen. Heinrich Mann hat Anfang des letzten Jahrhunderts mit dieser Charakterstudie zwei Ziele verfolgt: einerseits wollte er eine in Konventionen, Standesdünkel und autoritärem Denken erstarrte bürgerliche Gesellschaft karikieren, andererseits die Geschichte eines Konvertiten erzählen, der gegen die Konventionen verstößt, daraufhin selbst verstoßen wird und sich schließlich zum anarchistischen Gegner des Systems wandelt. Scharfe Gesellschaftskritik und Entwicklungsroman reichen sich hier die Hände.

Diana Wolf (Rosa Fröhlich, genannt Lola Lola)Die Verfilmung Ende der zwanziger Jahre stand schon im Schatten der aufkommenden politischen Rechten. Da passte ein zum Anarchisten konvertierter Gymnasialprofessor nicht ins Bild. Man ließ es daher beim Untergang des Professors bewenden. Rath, Junggeselle und von seinen Schülern wegen seines Dünkels, seiner Prüderie und seines Untertanengeistes „Unrat“ genannt, geht den erotischen Phantasien seiner Schüler über die Varieté-Sängerin Rosa Fröhlich nach und besucht diese in dem „Blauen Engel“, einem für aufrechte Bürger eher anrüchigen Etablissment. Schnell verfällt er der erotischen Wirkung der jungen Frau, die ihre Chance sieht, dem aufreibenden Alltag des Varietés durch eine Heirat mit einem gestandenen Akademiker zu entrinnen. Rath quittiert den Dienst auf Druck der Schule (und der Gesellschaft), heiratet Rosa und geht mit ihr auf Reisen. Als sein Erspartes aufgezehrt ist, verdingt sich Rosa wieder als Sängerin und Tänzerin bei ihrem alten Varieté und hält Rath aus. Dafür muss er in entwürdigenden Trottel-Rollen auftreten. Den Endpunkt setzt ein Gastspiel ausgerechnet in Raths Heimatort, wo sich Honoratioren und ehemalige Schüler über den gesellschaftlichen Absturz des ehemaligen Gymnasialprofessors amüsieren.

Der Film „Der blaue Engel“ hat zwei Archetypen geschaffen: einmal die „femme fatale“ Rosa, gespielt von Marlene Dietrich, und den holzköpfigen, linkischen und reaktionären Professor, der sich heillos verliebt und darüber seine Haltung verliert. Rosa wird geradezu zum Sinnbild der männerverschlingenden Frau, deren erotischer Wirkung sich selbst der standfesteste Bürger nicht entziehen kann und die ihre Liebhaber gnadenlos ausnutzt und dann fallen lässt. Lieder wie „Nimm Dich in Acht vor blonden Fraun“, „Ich bin die fesche Lola“ und „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ stehen eindeutig für diesen Typ Frau. Rath andererseits repräsentiert den bürgerlich-akademischen Riesen auf tönernen Füßen. Hinter seinem ganzen bildungsbürgerlichen Gehabe steckt nichts außer einer armseligen, spießigen Seele, die sich an dem Immergleichen und Gewohnten festkrallt. Eine solche lächerliche Figur fällt natürlich der ersten Versuchung zum Opfer. Der Untergang des Professors Rath wurde weniger als menschliche Katastrophe denn als folgerichtiges Ende eines verkorksten „Leben im Falschen“ betrachtet. Schadenfreude spielte bei der Bewertung dieser Figur durchaus eine Rolle, erhielt doch der heuchlerische Untertanengeist des Professors seine verdiente Strafe. Andere Kritiker wiesen jedoch schon früh darauf hin, dass mit dieser Individualisierung des autoritären Bürgers die Gesellschaft entlastet wurde. Indem sie den gesellschaftlichen Versager ausgrenzte, entzog sie sich selbst der Kritik. Das kommt in der Filmversion dadurch zum Ausdruck, dass der Schuldirektor als Vertreter des gesellschaftllichen Systems nur einmal kurz auftritt, um Rath in gesetzten Worten vom Dienst zu suspendieren.

Diana Wolf (Rosa Fröhlich, genannt Lola Lola), Heinz Kloss (Professor Immanuel Rath, genannt Unrat)
Martin Ratzinger hat sich in Darmstadt zwar auf die Filmversion abgestützt, aber für eine weniger gesellschaftliche als menschlich-individuelle Interpretation entschieden. Das beginnt schon damit, dass er Rath (Heinz Kloss) nicht mit Gehrock und Vollbart auch optisch in das frühe 20. Jahrhundert versetzt. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Anna-Sophia Blersch kleidet ihn stattdessen in einen zwar schwarzen Anzug mit Weste, der allerdings auch noch in die heutige Zeit passen würde. Äußerlich wirkt dieser Rath mit seinem bartlosen Gesicht eher wie ein Banker, den die Finanzkrise umtreibt. Das steht in gewissem Gegensatz zu den Kostümen von Raths Schülern, die unübersehbar der Schulkleidung der damaligen Zeit nachempfunden sind. Heinz Kloss versucht offensichtlich, das Klischee des weltfremd schnarrenden und die Jugend schikanierenden Gymnasialdespoten durch eine individualiserte Darstellung zu ersetzen. Zwar äußert auch sein Professor Rath all die autoritären Anweisungen und engstirnigen Verbote, jedoch scheint er sich dabei jedes Mal ein wenig unwohl zu fühlen, als habe er bereits die Hohlheit seiner Weltanschauung erkannt. Es wird nicht ganz klar, ob dahinter ein klares Konzept der Regie steht, das Stück einmal aus einer ganz anderen Perspektive, nämlich der des Opfers Rath, anzugehen, oder lediglich die Furcht des Schauspielers, eine Chargenrollen herunterzuspielen.

Ähnliches gilt für die Rolle der Rosa Fröhlich, die in dieser Inszenierung Diana Wolf verkörpert. Die Rosa Fröhlich dieser Inszenierung ist kein glutäugiger, dämonisch-erotischer Vulkan, sondern eine Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht und sich durchaus zu wehren weiß. Wie sie mit den um ihre Gunst buhlenden Gymnasiasten Lohmann und von Ertzum umgeht, zeugt von Sympathie einerseits und Distanz andererseits. Sie will diese Gymnasiasten weder verführen noch demütigen. Sie genießt zwar bis zu einem gewissen Grad deren Bewunderung, lässt sich diese aber nicht zu Kopf steigen. Auch den Professor Rath taxiert sie erst einmal als Mann ab, ohne ihn gleich zu umgarnen, Erst als sie merkt, dass er auf ihre Reize reagiert, nutzt sie die Gelegenheit. Dabei drückt sie jedoch echte Freude über seinen Heiratsantrag aus und zeigt zu diesem Zeitpunkt keinerlei Anzeichen kalter Berechnung. Nach der Heirat mutiert sie fast zum Klischee einer gutsituierten Ehefrau, die gerne einkaufen geht, und als Raths Pleite nicht mehr zu verheimlichen ist, entscheidet sie sich nach kurzem Unmut sogar dazu, wieder im ungeliebten Beruf zu arbeiten und ihren Mann durchzufüttern. Auch hier scheint die Abkehr vom dämonischen Weib zugunsten einer von den sozialen Verhältnissen getriebenen Frau Absicht zu sein, denn Diana Wolf könnte ohne weiteres – wie Heinz Kloss das dünkelhafte professorale Abziehbild – den erotischen Vampir spielen.

István Vincze (Schüler), Diana Wolf (Rosa Fröhlich, genannt Lola Lola), Stefan Schuster (Schüler)Diese Interpretation wirkt sich natürlich auf die Aussage des Stücks aus. Die Spannung der Filmvorlage, die in eben diesen Klischees steckt, geht damit weitgehend verloren, und es spielt sich stattdessen ein Sozialdrama ab, das auf einem klassischen fundamentalen Missverständnis beruht: er sucht Liebe und Bestätigung, sie Versorgung. Das reicht jedoch als tragende Grundlage des Stücks nicht mehr aus. Wenn das zur Farce erstarrte gesellschaftliche Selbstverständnis der Epoche nicht in der Person des Rath kompromisslos verdichtet wird, bleibt von der Satire nicht mehr viel übrig. Und wenn als Gegenpart nicht der erotische Vamp aufgebaut wird, geht auch die Spannung im Verhältnis der beiden so ungleichen Protagonisten verloren.

Bleiben noch die anderen Figure dieser grotesken Geschichte. Da setzt Ratzinger ganz auf die Farce, und das gelingt ihm mit Tom Wild als Varieté-Direktor Kiepert und Sonja Mustoff als dessen Frau hervorragend. Die beiden spielen ein heruntergekommenes Paar, das sich bei jeder passenden Gelegenheit ankeift und nur hin und wieder nostalgisch die frühere Liebe beschwört. Dazu singen und tanzen die beiden auf eine groteske Weise, die den unsteten und hochriskanten Hochseilakt des Varieté-Wesens satirisch widerspiegelt. Den Texten zu neueren Liedern wie „Mylord, Mylord“ oder „Du lässt Dich geh´n“ ist Galgenhumor und die sarkastische Verzweiflung über die existenzielle Unsicherheit dieses Berufs eingeschrieben. Dazu wechseln die beiden die Kostüme vom bunten Zirkusdirektor-Dress bis zur Unterwäsche.

Die Bühne hat Anna-Sophia Blersch als „Theater im Theater“ möbliert. Auf der Drehbühne steht eine Varieté-Bühne mit rotem Vorhang, vor dem Tom Wild als Varieté-Direktor und Diana Wolf als Rosa Fröhlich auftreten und ihre Songs zum Besten geben. Wenn sich die Bühne dreht, wird daraus das Klassenzimmer des Gymnasiums, in dem Rath seine Schüler quält oder sie das Gleiche mit ihm tun. Dabei hängen Schulbänke und -tische von der Decke und zeigen damit an, dass in dieser Schule alles Kopf steht.

Die Musik spielt natürlich – wie im Film – auch in dieser Inszenierung eine wichtige Rolle. Wie in einem Musical versorgt eine kleine Band im improvisierten Orchestergraben mit Michael Erhardt am Klavier die Bühne mit der nötigen musikalischen Unterlage für die bekannten Lieder. Neben dem Klavier sind dabei noch Klarinette/Saxophon, Kontrabass und Violoncello aktiv und verleihen der Musik die nötige Fülle, die einem „Kammer-Musical“ zusteht. Diana Wolf interpretiert die berühmten Songs der Rosa – siehe oben – mit Temperament und einiger Frechheit und erzielte dabei mehr als einmal Szenenapplaus. Auch Heinz Kloss singt solo und im Duett mit Diana Wolf und zeigt dabei ein erstaunliches Stimmvolumen. Generell ist zusagen, dass alle Schauspieler als Sänger recht stimmsicher und durchaus „musicalfest“ sind.

In den Rollen der Schüler treten Stefan Schuster (Lohmann), István Vincze (von Ertzum) und Matthias Kleinert (Angst) auf. Letzterer spielt dabei die undankbarste Rolle, da er den petzenden Streber darstellen muss, dessen Name Angst alles über diese Figur sagt. Die beiden anderen spielen dagegen die selbstbewussten Schüler, die den Professor längst durchschaut haben und ihrer eigenen Agenda folgen. Allerdings füllen die Schüler im Personentableau nur Nebenrollen aus und bilden das Gerüst der Handlung, die sich letztlich in den beiden Protagonisten niederschlägt. Gerd K. Wölfle tritt in der Doppelrolle des Schuldirektors und des betrunkenen Kapitäns auf, der Rosa bedrängt und Rath die Gelegenheit gibt, als Retter aufzutrumpfen.

Dem Publikumr hat es sehr gefallen, und der Beifall ging nach dem zweiten Vorhang in rhythmisches Klatschen über. Man darf jetzt schon zu recht vermuten, dass dieses Stück in Darmstadt ein Erfolg wird.

Frank Raudszus

Die nächsten Vorstellungen finden am 30. November sowie am 7., 9., 16.,18. 26. und 31. Dezember statt.  
 

 

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