Der englische Jazzmusiker Chris Barber gastiert mit seiner Band in Bensheim

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Die
„Hot and Bothered“ – mit britischem Humor  

Der englische Jazzmusiker Chris Barber gastiert mit seiner Band in Bensheim
Das Ereignis kündigte sich in Bensheim schon eine Stunde vor Beginn an: vornehmlich reifere Jahrgänge strebten aus allen Richtungen dem „Parktheater“ zu und füllten das Foyer rasch. Wo man hinsah, standen Menschen zusammen, die zumeist schon die frühen Zeiten der „Chris Barber Jazz Band“ in den sechziger und siebziger Jahren erlebt und zu schätzen gelernt hatten. Auch der Rezensent darf sich dieser Generation zurechnen. Die ungebrochene Anziehungskraft des mittlerweile 82jährigen Chris Barber und seiner Band zeigte sich daran, dass Veranstalter Klaus-Peter Becker bei der Begrüßung stolz nicht nur von einem ausverkauften Haus sondern sogar von einer Hunderte zählenden Warteschlange Jazz-Interessierter berichten konnte, die keine Karten mehr bekommen hatten und bis zum letzten Augenblick auf „no show ups“ hofften.

Für jüngere Leser: Chris Barber, Jahrgang 1930, gründete bereits in den frühen fünfziger Jahren seine sechsköpfige Jazz-Band, die aus einer Band des bekannten Jazz-Musikers Ken Colyer hervorging und hinfort Barbers Namen trug. Die Basis von Chris Barners Jazzmusik war stets der klassische „New Orleans“ mit seinen typischen Instrumenten Klarinette, Posaune, Trompete, Schlagzeug, Bass und Banjo. Mit diesem Sextett feierte Chris Barber in den 60er und 70er Jahren Triumphe. Dann  wurde es etwas stiller um ihn, weil der moderne Jazz sich vom New Orleans abwandte und ein puristisches – und oft politisch linkes – Jazz-Publikum den New Orleans als rückständig und kommerziell abtat. Doch es blieb Chris Barber und seiner ungebrochenen Begeisterung für diese vitale Musik des frühen 20. Jahrhunderts stets ein Kernpublikum, das ihm bis heute treu geblieben ist. Das ausverkaufte Parktheater in Bensheim bestätigt diese Tatsache eindrucksvoll.

Trotz seines hohen Alters von nunmehr 82 Jahren spielt Chris Barber immer noch an – im wahrsten Sinne des Wortes – vorderster Front mit. Mit seiner Posaune nimmt er den äußersten rechten Platz (vom Zuschauer aus gesehen) auf der Bühne ein, dirigiert von dort aus das mittlerweile zehnköpfige Ensemble und spielt sogar die Rolle des Conferenciers. In dieser Funktion stellte er an diesem Novemberabend nicht nur die einzelnen Titel vor sondern verband die Ankündigungen stets mit Anmerkungen und Bonmots, die vom typisch britischen Humor gewürzt waren. Dabei bediente er sich der deutschen Sprache, die ihm flüssig von den Lippen kam und nur selten mit englischen Worten durchsetzt war. Sein Alter schlug sich lediglich in einer etwas undeutlichen Sprache nieder, die wohl auf den anderen „Zungenschlag“ der deutschen Sprache zurückzuführen war, und in der kleinen Marotte, dass sein Jackett falsch zugeknöpft war – selbst noch nach der Pause. Wer den Ehrgeiz hatte, alle Bonmots zu verstehen, sah sich enttäuscht, aber dieser Abend war ja auch nicht der Prosa sondern dem Jazz gewidmet.

Und dieser kam von der ersten Minute an mit Macht über das Publikum. Zusätzliche Saxophone und eine zweite Posaune verleihen der Band mehr Fülle und einen speziellen weichen Klang, für den früher die Klarinette alleine zuständig war. Die freie Kombination dieser Instrumente erlaubt Chris Barber wesentlich mehr Klangvarianten als die frühere Besetzung. Er nutzt dies auch durch einen ausgeprägten Variantenreichtum der Arrangements. Im Gegensatz zu vielen Diexieland-Jazzbands, bei denen eigentlich immer alle spontan und mit einem Minimum an Arrangement spielen, gruppiert Barber seine Instrumente gerne, lässt einen kurzen Part nur von Saxophonen und Klarinette spielen, dann treten wieder zwei Trompeten oder zwei Posaunen allein an die Rampe und lassen sich nur von der Rhythmusgruppe begleiten. Zu manchen älteren Stücken des New Orleans schlägt das Banjo seinen harten, hellen Rhythmus, dann wieder wechselt der Spieler zur Gitarre und erzeugt mit ihr ein gefälligeres Klangbild.

Gerne legt Chris Barber auch einmal die Posaune zur Seite und greift zum Bass: so, wenn Bert Brandsma auf der Klarinette den berühmten „Wild Cat Blues“ geradezu zelebriert, nur begleitet von – wie gesagt – Chris Barber am Bass und Jo Farler am Banjo. Dieses Stück hat ähnlichen Kultstatus wie „Petite Fleur“ von Sydney Bechet, das Chris Barbers Jazzband auf einen Schlag berühmt gemacht hat und auch hier nicht fehlen durfte. Aus dramaturgisch-taktischen Gründen hatte Chris Barber diesen „Dauerbrenner“, auf den die meisten Zuhörer mehr oder minder sehnsüchtig warteten, in die zweite Hälfte platziert. Bereits bei den ersten Tönen erhob sich ein spontaner Szenenapplaus, der an diesem Abend jedoch sowieso keine Seltenheit war. Bis dahin hatte die Band jedoch schon einige „Klassiker“ zum besten gegeben, so etwa „Let´s try it“ gleich zu Beginn, die „Bourbon Street Parade“ oder „Django Nights in Haarlem“. Dem klassischen New Orleans hört man bei Chris Barber oft noch seine Herkunft aus dem Gospel an, wenn ein Stück langsam und getragen beginnt, homophon von allen Bläsern gespielt, und dann plötzlich in einen temperamentvollen, vorwärtsdrängenden Rhythmus umschlägt, bei dem alle Musiker ihren Instrumenten freien improvisatorischen Lauf lassen.

Auch großen Vorbildern und Vorgängern zollte Chris Barber an diesem Abend seinen Tribut. So kam von Ken Colyer „Going Home“ zu Gehör. und von Dem großen „Duke“ Ellington spielte er gleich mehrere Stücke: „East St. Louis Rocking Rhythm“, „Black and Tan Fantasy“ oder „Hot and Bothered“. Bei allen Stücken, von wem auch immer komponiert, fiel das sorgfältige und dichte Arrangement auf, sowohl in der Instrumentierung wie auch bei der Klangfarbe. Gedämpfte und gestopfte Trompeten und Posaunen, ein Querflöte als Jazzinstrument oder spezielle rhythmische Arrangement sorgten nicht nur für Abwechslung beim Vortrag der jeweiigen Stücke sondern auch immer wieder für harmonische und klangliche Überraschungen. Dass das Ganze mit hohem Temperament und viel Spielfreude vorgetragen wurde, versteht sich fast von selbst.

Zum Ende des Abends durften natürlich die „Aha-Effekte“ nicht fehlen: langsam und getragen kommt ein Trauermarsch daher, unisono geblasen, dann ziehen die Heiligen ein: „Oh when the Saints go marching in“! Dieser Klassiker wird dann nach allen Regeln der Kunst vorgeführt, mal im Tutti, dann wieder in Soli zerlegt, mit scheinbaren Schlussakkorden und Generalpausen verzögert. Alles ist dabei, was Überraschung und sogar Lacher bringt. Ja, und die Zugabe hatte man auch gleich eingeplant. Hier gelang Chris Barber noch ein leicht kalauerndes Bonmot: Er zitierte einen Ausspruch des großen deutschen Dichters – Langnese. Warum Langneses? – fragt man sich. Doch, es geht um Eiscrem – „Ice cream“!. Dieses in Jahrzehnten von unzähligen Jazzbands fast schon totgespielte Stück kam hier ganz frisch daher und entfesselte noch einmal alle musikalischen Kräfte der Band, und die Zuschauer durften und sollten den Refrain sogar möglichst laut mitsingen.

Nachdem Chris Barber seine Kollegen einzeln namentlich verabschiedet und schließlich mit ihnen hinter der Bühne verschwunden war, spendete das Publikum noch anhaltend rhythmischen Beifall, um weitere Zugaben zu erreichen. Doch Chris Barber war müde und ließ sich nach fast drei Stunden nicht mehr erweichen. So verklang der Applaus leise, und die Zuschauer gingen mit viel Musik im Kopf und einem glücklichen Lächeln auf den Lippen nach Hause.

Frank Raudszus    

 

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