Widersprüchliche Aktualisierung eines modernen Klassikers
Das Schauspiel des Staatstheaters Mainz aktualisiert Rainer Werner Fassbinders Stück „Katzlmacher“
Im Jahr 1968 brachte der rebellische Regisseur Rainer Werner Fassbinder sein provokantes Stück „Katzlmacher“ auf Deutschlands Bühnen. Damals kam gerade das Problem der „Gastarbeiter“ hoch, das sich aus der massenweise Anwerbung einfacher Arbeiter aus südeuropäischen Ländern ergeben hatte: die meisten sprachen die deutsche Sprache nicht, brachten ihre Landessitten mit und wurden deswegen vor allem von den konservativeren Schichten in Deutschland misstrauisch beäugt. Fassbinder siedelte sein Stück bewusst in einem bayerischen Dorf an, dessen Bewohner von schlichtem Gemüte waren und seit eh und je nur die Dorfgemeinschaft kannten und akzeptierten. Das Fernsehen und damit die Kenntnis fremder Kulturen war nur rudimentär vorhanden, und so konnten sich alte Vorurteile frisch halten und schnell fortpflanzen.
Der „Katzelmacher“ ist eine abschätzige Bezeichnung für Gastarbeiter aus dem Süden Europas, und die bayerische Variante – ohne „Mittel-e“ – verstärkt den ausgrenzenden Charakter noch. In Fassbinders Stück präsentieren sich zu Beginn drei junge Paare. In allen drei Fällen gerieren sich die eher schlichten männlichen Maulaffen als Machos mit Verfügungsrecht über die ihnen zustehenden Mädchen, während diese offensichtlich nur in Ermangelung besserer Alternativen bei ihren Freunden bleiben. Nur die geschäftstüchtige Elisabeth schmeißt ihren Mitarbeiter und Liebhaber Bruno wegen Faulheit und Unfähigkeit aus Firma und Bett, wobei sie ihm auch noch den von ihr bezahlten Anzug vom Leibe reißt. Helga und Marie dagegen bleiben eher leidend als leidenschaftlich bei Paul und Erich.
In diese dumpf-dröge Atmosphäre kommt der griechische Gastarbeiter Jorgos, der jedoch entgegen der allgemeinen Erwartungshaltung fließend deutsch spricht. Die jungen Leute ignorieren seine gute Diktion und weisen ihm freundlich herablassend im Pidgin-Deutsch den Weg zu der angegebenen Adresse. Schon zu diesem Zeitpunkt ahnt man, dass sie seine guten Sprachkenntnisse absichtlich ignorieren, um ihr Vorurteil weiter pflegen zu können. Da ausgerechnet Elisabeth seine Arbeitgeberin ist und er erst einmal mit dem ausrangierten Bruno in dessen Zimmer wohnen muss, erfahren dessen Kumpel bald mehr Details über ihn. Da Jorgos gut aussieht und freundlich ist, werfen auch die jungen Frau einen mehr als kurzen Blick auf ihn. Als er jedoch auf Helgas Avancen nicht eingeht, behauptet sie aus Rache, er habe sie sexuell belästigt, was in der „stillen Post“ des Dorfes schnell zur Vergewaltigung wird. Nur Elisabeth, die ihn für einen guten Arbeiter hält und ihn wohl auch sonst nett findet, bewahrt ihn vor unmittelbaren Angriffen.
Als jedoch die hübsche Marie auf seine südländisch charmante Art fliegt und ihm bei seiner eher zurückhaltenden Annäherung gleich um den Hals fällt, ist der Kriegsfall ausgerufen, denn Maries Freund Erich ist jetzt entehrt und sinnt auf Rache. Zusammen mit seinem Kumpel Paul, der in Jorgos ebenfalls – zu Recht – einen Konkurrenten sieht, provoziert und bedroht er ihn so lange, bis er sich wehrt. Sein überraschender aber im Grunde genommen harmloser Gegenangriff versetzt die beiden dermaßen in Angst und Schrecken, dass sich Erich bei der überhasteten Flucht überschlägt und einige Verletzungen zuzieht. Das fordert natürlich Rache, und das Netz der jungen Männer zieht sich so eng zusammen, dass schließlich der mittlerweile ebenfalls eifersüchtig gewordene Bruno ihm bei der zwangsläufigen Schlägerei die Zunge abbeißt. Nun spricht Jorgos wirklich wie ein sprachloser Ausländer und lallt nur noch vor sich hin, während Elisabeth und Bruno überlegen, wie viele Gastarbeiter sie in Jorgos Zimmer gewinnbringend unterbringen können.
Nun sind seit 1968 mittlerweile über vierzig Jahre vergangen, und die Verhältnisse, „sie sind nicht mehr so“. Durchaus vorhandene Xenophobie richtet sich nicht mehr gegen griechische Gastarbeiter sondern gegen Muslims, und auch die Medienlandschaft und damit das allgemeine Erkenntnisniveau haben sich geändert. Das wusste auch der türkische(!) Regisseur Hakan Sivaş Mican und hat das Stück daher kurzerhand an heutige Verhältnisse angepasst. Unter seiner Regie mutiert der griechische Jorgos zum türkischen Meret, und Mican hat diese Rolle auch gleich seinem Landsmann Mehmet Yilmaz übertragen. Das passt sehr gut, da Yilmaz als offensichtlich in Deutschland aufgewachsener Türke (oder ist er gar Deutscher?) ein akzentfreies Deutsch spricht und damit der Rolle genau entspricht.
Allerdings hat Mican es unterlassen, Fassbinders Text entsprechend abzuändern. Da wird dann Meret weiterhin als Grieche geführt, doch die Dumpfbacken des Ortes unterstellen ihm bösartigen Islamismus sowie Terrorismusum und verbinden dies mit Reizwörtern wie Moschee. Nun gehört es jedoch mittlerweile zum europäischen Allgemeinwissen, dass Griechenland mit seinem orthodoxen Christentum dem bayerischen Katholizismus wesentlich näher steht als dem Islam. Dieser laxe Umgang mit dem Text und den kulturellen Gegebenheiten lässt sich nur schwer unter dem Begriff „Regiefreiheit“ fassen. Gerade in gesellschaftskritischen Stücken sollten die Randbedingungen ihrer inneren Logik gehorchen und nicht beliebig verdreht werden. Da Texttreue heute ja sowieso nicht mehr zu den Haupttugenden des Theaters gehört, hätte man den Text durchaus konsequent von Griechenland auf die Türkei umschreiben können.
Da Mican in der Türkei aufgewachsen ist, hat er einen anderen Lapsus dieser Inszenierung vielleicht gar nicht wahrgenommen. Das Stück spielt in einem niederbayerischen Dorf der sechziger Jahre, und die Sprache der Protagonisten spiegelt die enge Welt der Zeit und der Gegend wider. Über vierzig Jahre später, im Facebook-Zeitalter, spricht man auch in diesen Weilern kein archaisches Bayerisch mehr. So entwickelt das Stück eine bisweilen ungewollte Komik, wenn die jungen Männer und Frauen Redewandungen benutzen, die in den sechziger Jahren üblich waren. Gerade die Aggressivität verliert dadurch ein wenig die ihr innewohnende Bösartigkeit und gerät zeitweise zum Volksschwank. Das wäre jedoch noch hinnehmbar, hätte Mican nicht auch Mainz in die Aktualisierung mit einbezogen. So schaut der angebliche Grieche Meret von „Deck 3“ des Staatstheaters auf den Dom und bewundert eben diesen und den Rhein. Außerdem spielt Mican noch ein Video ein, dass permanent Bezug auf den Rhein nimmt. Da verwundert es natürlich, bayerischen Dialekt auf der Bühne zu hören, vor allem, wenn er nicht von eingeborenen Bayern kommt. Zwar bemühen sich die Schauspieler mit einigem Erfolg um einen bayerischen Tonfall, doch dieser kommt eher aus dem Kopf des Schauspielers als aus dem Bauch eines geborenen Bayern. Warum hat man das Stück nicht auf die lokale, sprich Pfälzer Mundart übertragen, wie es an anderen Theatern üblich ist?
Eine Eigenart dieses Stücks ist seine intellektuelle Schlichtheit. Fassbinder wollte 1968 provozieren, und da war ihm ein grober Keil gerade recht. Der Subtilitätsfaktor des Stücks liegt nahe Null; die drei jungen Männer sind einheitlich dumpf, aggressiv und hohl. Die Frauenrollen sind zwar etwas differenzierter angelegt – die Geschäftsfrau Elisabeth, die „Zicke“ Helga und die romantische Marie -, aber auch sie kann man nicht gerade als ausgefeilte Charakterbilder bezeichnen. So ist das Ende des Stücks von vornherein absehbar, und vor allem die drei Männerfiguren – außer natürlich die des Meret – folgen einem schlichten Strickmuster. Der Erkenntnisgewinn am Ende ist begrenzt, da keine psychologischen Konflikte verhandelt werden. Meret ist reines, staunendes Opfer, das am Schluss dem Mob zum Opfer fällt, und die Welt geht weiter ihren Gang.
Trotz all dieser Einschränkungen ist Mican eine temporeiche Inszenierung gelungen, die dank der schauspielerischen Leistungen zeitweise Betroffenheit auslöst. Weniger am Ende wegen der Gesamtaussage als in einzelnen Szenen, wenn die Vorurteile und der Angsthass gegen alles Fremde sich Bahn brechen. Die sieben Darsteller spielen unmittelbar vor den Zuschauerreihen ohne Requisiten und Bühnenbild und schaffen es tatsächlich, im Kopf der Zuschauer ein Dorf oder eine Kneipe entstehen zu lassen. Soweit es die begrenzten Charakterbilder der Rollen erlauben, hauchen die Darsteller ihren Figuren echtes Leben ein. Ulrike Beerbaum ist eine giftig-berechnende Helga, die ihre Freunde gnadenlos zur Gewalttat aufhetzt, um sich für die Zurückweisung durch Meret zu rächen. Verena Bukal gibt die ausgleichende Geschäftsfrau Elisabeth, die allerdings weniger aus Humanität zur Mäßigung aufruft als aus Angst ums Geschäft. Johanna Paliatsou dagegen spielt überzeugend die liebesbedürftige junge Marie, die den Männern so gerne glauben möchte aber nur schlechte Erfahrungen gemacht hat. Dagegen haben die Männer, wie bereits erwähnt, keine so große Bandbreite abzudecken. Ihren Rollen ist vor allem die Aggressivität gemeinsam. Felix Mühlen (Bruno) überzeugt vor allem durch seine verklemmte Mimik, Aram Tafreshian (Erich) durch seine ungezügelte Spontaneität, sprich Aggressivität, und Tilman Rose (Paul) durch sein liebedienerisches Mitläufertum. Mehmet Yilmaz (Meret) ist zwar die einzige positive Figur, weil Opfer, aber darstellerisch befindet er sich fast permanent in der Defensive. Er macht allerdings das Beste daraus und verleiht der Figur damit eine Art philosophischer Gelassenheit.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Bettina Müller
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