Andreas Manz präsentiert bei den Barfestspielen des Staatstheaters Joshua Sobols Monodrama „Kols letzter Anruf“

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Andreas Manz als Kol
Kolhaas 2.0  

Andreas Manz-Kozár präsentiert bei den Barfestspielen des Staatstheaters Joshua Sobols Monodrama „Kols letzter Anruf“
Zu Beginn dieser Aufführung dreht Andreas Manz-Kozár, Darsteller dieses Einpersonenstücks, in aufreizendem Gleichmut mehrere Runden um die gut gefüllte Bar der Kammerspiele, und eine Zuschauerin kommentiert jedes Mal leise „noch eine Runde“. Erst nach dem fünften wortlosen Rundgang lässt ihn das Klingeln seines Telefons in der auf einer Bank abgestellten Reisetasche anhalten. Der Anruf reißt ihn unerwarteterweise zurück ins aktive Leben, denn Kol, so heißt die einsame Figur, hatte nichts mehr von eben diesem Leben erwartet. Er steht vor dem Tor eines Gefängnisses, wo er eine einjährige Haftstraße antreten muss. Die hat er dafür erhalten, dass er nach einem verlorenen Prozess dem Richter während der Urteilsverkündung einen Aktenordner an den Kopf geworfen hatte.

In dem über zehn Jahr laufenden Prozess hatte Kol einen Arzt verteidigt, der ein Pharmaunternehmen öffentlich der fahrlässigen Tötung bezichtigt hatte und dafür verklagt worden war. Aus Kols Sicht musste die Sachlage zum Freispruch des Arztes führen, doch der aus seiner Sicht von dem Pharmaunternehmen bestochene Richter verurteilte den Arzt, worauf dieser sich das Leben nahm. Kol verlor nach seinem Angriff auf den Richter seine Lizenz und seine Ehefrau und steht jetzt nicht nur vor dem Gefängnistor sondern auch vor dem endgültigen Ruin. All dies erfährt der Zuschauer erst nach und nach aus den nun folgenden Telefonaten.

Der besagte Anruf stammt von einer Frau aus der Gerichtsregistratur, die herausgefunden hat, dass in den USA die Gesundheitsbehörde eben das Medikament, das im Mittelpunkt des Gerichtsverfahrens stand, wegen schwerer Nebenwirkungen aus dem Markt genommen hat. Diese Nachricht elektrisiert Kol, sieht er doch eine neue Chance für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Doch ihm stehen nur noch wenige Minuten zur Verfügung, da er im Gefängnis kein Mobiltelefon benutzen darf. Also ruft er sofort nacheinander die Witwe des verstorbenen Arztes, seine ehemalige Referendarin, Geliebte und Scheidungsgrund und auch noch seine Ex-Frau an, um die Grundlagen für die Wiederaufnahme zu legen. Doch die Witwe des Prozessopfers will von der ganzen Sache nichts mehr wissen und gibt ihm wegen seiner schlechten Prozessführung die Schuld am Tod ihres Mannes. Seine ehemalige Geliebte ist schlecht auf ihn zu sprechen und lehnt ab, obwohl er ihr eine prozentuale Beteiligung an der Entschädigung in Aussicht stellt. Beide Frauen vermengen persönliche Vorwürfe und Abrechnungen mit der neuen Situation des Falls und treiben Kol fast zum Wahnsinn. Dabei muss man sich die Ausführungen der Gespächspartnerinnen aus Kols Antworten herleiten, aus seinem ungeduldigen Zuhören, seinen Einwürfen, Beschwörungen, Entschuldigungen und Erklärungen. Offensichtlich hat dieser Kol im Laufe des Prozesses verbrannte Erde hinter sich gelassen, denn keine der Frauen hat ein offenes Ohr oder gar gutes Wort für ihn übrig. Zu allem Überfluss ruft in kurzen Abständen seine Mutter an, die den  mittlerweile fast Fünfzigjährigen immer noch wie ein großes Kind behandelt und sich am Telefon kaum abwimmeln lässt. Ihr hat Kol erzählt, dass er für längere Zeit nach Afrika reist, da er sich mit der Wahrheit zum Waisen gemacht hätte, wie er zu einer anderen Gesprächspartnerin einmal sarkastisch sagt.

Deprimiert und entnervt wartet er jetzt nur noch auf den Einlass ins Gefängnis, als das Telefon erneut klingelt und seine ehemalige Geliebte (und jetzt Rechtsanwältin) sich bereit erklärt, den Fall zu üebrnehmen. Ob der Sinneswandel auf das lukrativen Honorar oder auf seinen Appell an ihr Juristengewissen zurückzuführen ist, bleibt dahingestellt. Diese Nachricht wirkt wie ein Adrenalinstoß auf Kol, der jetzt die Rundrufaktion intensiviert, während aus dem Gefängnis-Lautsprecher in Abständen Nachfragen bezüglich seiner Person und seines Begehrs kommen und in den unpassendsten Augenblicken wieder seine Mutter anruft. Das emotionale Chaos treibt einem weiteren Höhepunkt zu, weil Kol jetzt auch seine äußerst abweisende Ex-Frau bitten muss, die Prozessakten herauszugeben, und zwar ausgerechnet an seine frühere Geliebte; der Zuschauer weiß nicht, ob Kol diesen Stress übersteht. Denn er alias Manz-Kozár redet sich derartig in Rage, dass ihm die Schweißperlen auf der Stirn und in den Haaren stehen. Verzweifelt versucht er, die losen Fäden noch vor einem Verstummen im Gefängnis zusammenzufügen, und die Frauen am jeweils anderen Ende der Telefonverbindung sind entweder feindlich oder zumindest skeptisch gesinnt. Und die einzige, die ihm wirklich helfen will, vergrämt er fast durch einen emotionalen Aussetzer.

Doch Kol lässt nicht locker und kämpft um die Prinzipien des Rechtsstaats. Dabei ergibt sich auch wie von selbst die Assoziation an Kleists Michael Kohlhaas, der gegen das ihm angetane Unrecht auch mit allen Mitteln und unbändigem Eifer anging. Und so wie Kohlhaas physisch am Galgen endet, stirbt Kol sozial im Gefängnis.

Bis zum Schluss bleibt die Frage offen, ob Kol es schaffen wird, die sich abzeichnende Mafia aus Pharmaunternehmen und Justiz zu besiegen oder ob der besagte Telefonanruf etwa nur eine Finte war, um ihn endgültig zu diskreditieren oder brisante Informationen aus ihm herauszulocken. Wir wollen hier das Ende nicht verraten.

Andreas Manz-Kozár porträtiert diesen einsamen Anwalt, der trotz seiner Niederlage und seines beispiellosen sozialen Absturzes bis zum letzten Ladungsrest seines Mobiltelefons um das (nicht „sein“!) Recht kämpft, mit einer unglaublichen Verve und Kondition. Nein, er spielt diesen Anwalt nicht, er wird zu ihm, verschmilzt mit ihm. Über eine Stunde lang bittet, droht, schimpft er, entschuldigt sich, nimmt Beschimpfungen klaglos hin, nur, um die Gesprächspartnerin zu einer Handlung zu bewegen oder sie zu beruhigen. Nur ein einziges Gespräch bereitet Kol geradezu satanische Lust – das kostet Manz-Kozár aus -, und das führt er mit einem Mann.

Der Israeli Joshua Sobol gilt in der Theaterszene als Provokateur und hat auch in Israel bereits eine Reihe von Theaterstücken verfasst, die an nationale Tabus rühren. Dieses Stück hat er nach einem wahren Fall gestaltet, der ebenfalls lange, entnervende Prozesse nach sich zog. Doch bei diesem Stück geht es ihm nicht um die Machenschaften der Pharmaindustrie sondern um den unermüdlichen Einsatz eines einzelnen Mannes, der Vermögen, Familie und Beruf opfert, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Dass er damit auch seine persönliche Identität verbindet, ist zweitrangig und überdies legitim.

Das Publikum war an diesem Abend sichtlich beeindruckt und spendete Andreas Manz-Kozár und dem Regisseur Reinar Ortmann kräftigen Beifall.

Frank Raudszus 

Die nächsten Vorstellungen finden am 9., 16. und 21. Dezember statt
 

 

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